Dominik Helbling

Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft (E-Book)


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geht von der Frage bzw. vom Unterrichtsthema «Warum schwimmen Schiffe?» aus. Zur Beantwortung dieser Frage ist ausschliesslich Wissen und Können aus der naturwissenschaftlich-technischen Perspektive angesprochen. Im Lehrplan 21 zum Fachbereich NMG deckt dieses Unterrichtsthema innerhalb des Kompetenzbereichs 3 («Stoffe, Energie und Bewegungen beschreiben, untersuchen und nutzen») die Kompetenz 3 («Die Schülerinnen und Schüler können Stoffe im Alltag und in natürlicher Umgebung wahrnehmen, untersuchen und ordnen») mit der Kompetenzstufe 3d («Die Schülerinnen und Schüler können mit Objekten und Stoffen laborieren und ihre Erkenntnisse festhalten») und den vorgeschlagenen Inhalt «Verhalten im Wasser: schwimmen, sinken» ab. Der Fokus der genannten Kompetenzstufe liegt, neben dem inhaltlichen Aspekt, das physikalische Phänomen zu verstehen, auf den Handlungsaspekten des «Laborierens» und «Dokumentierens».

      Das zweite Beispiel in Abbildung 2a thematisiert den perspektivenaddierenden Unterricht. Diesmal steht nicht eine Frage, sondern das Stichwort «Wasser» im Zentrum der Unterrichtseinheit (siehe auch das Beispiel zum «Apfel» in Abb. 1). Zu diesem Stichwort kommt einem vieles in den Sinn, wie das Beispiel eines Themenhefts für die dritte/vierte Klasse zu «Wasser» zeigt.[26] Dort werden Inhalte genannt, die vom Wasservorkommen auf der Erde, von den unterschiedlichen Aggregatszuständen von Wasser, von der Oberflächenspannung und davon, wie Pflanzen ‹trinken›, über den Kreislauf des Wassers, Trinkwasserversorgung, Kläranlagen, Meeresschutz, Flossbau und Wassertiere bis hin zu Händels Wassermusik reichen. In der Art eines Brainstormings werden hier Wissensbestände bzw. dazugehörige fachliche Perspektiven zu einem Stichwort addierend aneinandergereiht. Die Folge davon ist, dass kaum ersichtlich wird, was zum Beispiel das Herstellen eines Wasserflosses mit dem Wasserkreislauf und Händels Wassermusik mit der örtlichen Wasserversorgung zu tun hat. Viele Materialien des Themenhefts beziehen sich auch auf sprachliche, mathematische und musische Inhalte, ohne einen ersichtlichen Zusammenhang zum eigentlichen Sachthema. Zudem dienen die musischen Fächer oft nur der Abwechslung, Rhythmisierung oder Dekoration. Kinder erwerben auf diese Weise unverbundene, oft belanglose Wissensinseln und keine Gesamtsicht zu einem Gegenstand. Sie werden nicht dazu angeregt, sich in einem komplexen Themenfeld eine eigene fundierte Meinung zu bilden und sich mit verschiedenen (fachlichen) Perspektiven bewusst auseinanderzusetzen. Ein Bezug zu den Kompetenzen des Lehrplans ist deshalb nur in Form einer beliebigen Aneinanderreihung denkbar. Als Ausgangspunkt für eine Studien- oder Projektwoche könnte ein Stichwort wie «Wasser» unter Umständen sinnvoll sein, wenn den Schülerinnen und Schülern eine möglichst hohe inhaltliche Wahlfreiheit angeboten werden soll. Aber die Auseinandersetzung beschränkt sich dann auf einen spezifischen und isolierten Aspekt, der aufgrund des Eigeninteresses vertieft behandelt wird.

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      Beim dritten Beispiel in Abbildung 2a zum perspektivenübergreifenden Unterricht geht es immer noch ums Wasser, aber diesmal eingebettet in die übergeordnete Fragestellung «Ist Wasser kostbar?». Was ändert sich dadurch in Bezug auf den NMG-Unterricht? Zunächst wird durch die übergeordnete Fragestellung eine inhaltliche Präzisierung und Fokussierung vorgenommen: Ausgehend vom alles umfassenden Stichwort «Wasser» wird von der Lehrerin, vom Lehrer überlegt, was daran für das Lernen der Kinder, für ihre Auseinandersetzung mit der Welt relevant, grundlegend und exemplarisch sein könnte (z. B. im Sinne von Heymanns Teilaufgaben von Bildung, siehe Tab. 3). Die Formulierung der vorliegenden übergeordneten Fragestellung führt auch dazu, dass es zu einer bewussten Auswahl und Reduzierung der fachlichen Perspektiven und ihrer entsprechenden Wissensbestände kommt. Denn im Gegensatz zum perspektivenaddierenden Beispiel schränkt die übergeordnete Fragestellung die Anzahl der infrage kommenden fachlichen Perspektiven ein. Zur Beantwortung dieser Frage benötigen wir Wissen hauptsächlich aus Kompetenzbereichen des Lehrplans, die sich an der sozialen (Zugang zu Trinkwasser), wirtschaftlichen (Wasser als Wirtschaftsfaktor, Kosten der Wasserversorgung in der Gemeinde) und geografischen Perspektive (Wasservorkommen und deren Nutzung) orientieren. Wissensbestände anderer Perspektiven von NMG oder anderer Fächer sind in diesem Fall nur am Rand oder gar nicht gefragt. Da die zur Beantwortung der Frage hinzugezogenen Wissensbestände und Handlungsaspekte sich alle auf diese zentrale Fragestellung beziehen, ist bei den Kindern eine Vernetzung des erworbenen Wissens, das zu vertieftem Verstehen führen soll, zu erwarten.

      Eine vierte Variante, wie die vielperspektivische Ausrichtung von NMG im Unterricht umgesetzt werden kann, lässt sich als «transperspektivisch» bezeichnen (siehe Abb. 2b).

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      Komplexe gesellschaftliche Fragen, wie sie zum Beispiel von einer «Bildung für eine nachhaltige Entwicklung» (BNE) aufgeworfen werden, lassen sich selten allein durch die inhaltlichen und methodischen Angebote der fachlichen Perspektiven von NMG beantworten. Werden durch perspektivenübergreifendes Arbeiten Wissen sowie Denk- und Arbeitsweisen verschiedener fachlicher Perspektiven miteinander verbunden, so geht transperspektivisches Arbeiten darüber hinaus, indem ausserwissenschaftliches Akteurswissen zur Bearbeitung komplexer gesellschaftlicher Fragestellungen miteinbezogen wird.[27] Gemeindemitarbeitende und Angestellte von Wasserwerken könnten durchaus wertvolle Erkenntnisse beitragen, zum Beispiel zu unserem Unterrichtsthema «Ist Wasser kostbar?».

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      Eine fünfte Variante betrifft schliesslich das fächerübergreifende Arbeiten (siehe Abb. 2c). Während die perspektivenübergreifende Variante in Bezug auf eine übergeordnete Fragestellung Wissensbestände und Handlungsaspekte aus fachlichen Perspektiven von NMG ins Auge fasst, werden im fächerübergreifenden Unterricht neben Wissensbeständen verschiedener fachlicher Perspektiven von NMG auch Wissensbestände anderer Schulfächer zur Beantwortung einer übergeordneten Fragestellung hinzugezogen. Wenn wir wieder von der Fragestellung «Ist Wasser kostbar?» ausgehen, könnten dies die Fächer Mathematik (Wasserkosten oder Wasserverbrauch berechnen) oder Deutsch (Texte aufgrund von Interviews mit Gemeindevertretern entwerfen) sein. Der fächerübergreifende Unterricht in NMG bietet, wie der Lehrplan betont, «die Möglichkeit, die Grenzen der einzelnen Fachbereiche aufzulösen und Themen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Erst damit werden Komplexität und Zusammenhänge von Phänomenen und Situationen deutlich.»[28] Das, so heisst es weiter, trägt «zu einem bereichernden und vertiefenden Unterricht» bei.[29] Konkret kann fächerübergreifender Unterricht für NMG dann angebracht und sinnvoll sein, wenn die übergeordnete Fragestellung durch das Hinzuziehen von Wissensbeständen anderer Fachbereiche vertiefter und breiter beantwortet werden kann. Entscheidend ist dabei, dass es auch aus der Sicht der hinzugezogenen Fächer sinnvoll ist, sich auf diese Frage einzulassen. Blosse Alibibeiträge, Lückenfüller oder reine Unterhaltungsaktivitäten wären damit ausgeschlossen.

      Fassen wir zusammen: Was ist die beste Unterrichtsform in NMG – perspektivisches, perspektivenaddierendes, perspektivenübergreifendes, transperspektivisches oder fächerübergreifendes Arbeiten? Entscheidend ist, dass man als Lehrerin oder Lehrer die Stärken und Schwächen dieser Möglichkeiten kennt und bewusst für die Planung und Umsetzung des eigenen Unterrichts berücksichtigt. Und bei allen dargestellten Varianten müssen sie sich Fragen stellen wie: Warum sollen sich Kinder eine gewisse Zeit lang mit diesem Unterrichtsthema auseinandersetzen bzw. inwiefern ist es bildungsrelevant für sie? Werden sie in der Beschäftigung mit diesem Unterrichtsthema zu «Spezialistinnen und Spezialisten für Zusammenhänge», erwerben sie dadurch vernetztes Wissen? Dient das erworbene Wissen dazu, «grundlegende Fragestellungen, die uns als Menschen oder unsere soziale, kulturelle und natürliche Um- und Mitwelt betreffen»,[30] anzugehen? Die zunehmende Komplexität und Widersprüchlichkeit vieler Probleme und Fragen heutzutage erfordert allerdings immer stärker eine perspektivenübergreifende bzw. transperspektivische Betrachtung. Am Beispiel des Ersatzes fossiler durch erneuerbare Energieträger kann dies gut illustriert werden: Einheimisches Rapsöl oder aus Indonesien importiertes Palmöl wird zunehmend als (sauberer) Biotreibstoff vermarktet. Daneben findet Palmöl auch in der Kosmetik, in Reinigungsmitteln und in Nahrungsmitteln (Margarine, Süsswaren) Verwendung. Durch die Rodung von Regenwäldern für den Plantagenbau ist die CO2-Bilanz von Palmöl jedoch höchst bedenklich: Eine Tonne Biokraftstoff aus Palmöl setzt zwei- bis