werden. Peter Behrens, Hans Poelzig, Bruno Paul und andere, wenn auch minder bedeutende Architekten nahmen an dem Wettbewerb teil. Und noch blieb die Freude am Theater von den Einschränkungen unberührt. Der Andrang des theaterhungrigen Publikums wuchs in solchem Ausmaß, dass sich Reinhardts Deutsches Theater und die Kammerspiele als unzulänglich erwiesen. Die Volksbühne am Bülowplatz war 1914 eröffnet worden. Von Oskar Kaufmann gebaut und mit allen, damals neuen, Errungenschaften der Bühnentechnik ausgestattet. Ein Haus, das mit seiner warmen dunkelbraunen Mahagonitäfelung einen würdigen Rahmen für Reinhardts Inszenierungen bot. Verhandlungen mit der Neuen Freien Volksbühne führten März 1915 zum Abschluss eines zweijährigen Pachtvertrages, und die Übernahme erfolgte am 1. September 1915.
Die kurzen Sommerferien, die sich Reinhardt gönnte, verbrachte er in Hiddensee. Dort arbeitete er an seinem Regiebuch für Shakespeares Sturm für die Volksbühne. Er liebte das Meer, den Strand, Sonne und Wind. Ob er nun im Norden, am Mittelmeer oder in Kalifornien war: immer suchte er nach Häusern in der Nähe des Ozeans, immer ging er viele Stunden dem Wasser entlang im Sand. So begleitete das Rauschen von Wind und Brandung seine Arbeit an dem Regiebuch in den Nächten von Hiddensee.
Wieder schuf Ernst Stern den Bühnenrahmen, Humperdinck die Musik. Trotz der glänzenden Besetzung – Ludwig Wüllner, Rudolf Schildkraut, Maria Fein, Camilla Eibenschütz, Katta Sterna – konnte diese erste Inszenierung Reinhardts in der Volksbühne das dortige Publikum nicht sofort vollkommen erobern. Instrument und Zuhörer müssen aufeinander abgestimmt sein. Erst spätere Aufführungen brachten diesen Einklang. Viele der Repertoirestücke des Deutschen Theaters wurden in die Volksbühne verpflanzt. Die Räuber, Der Kaufmann von Venedig, Ödipus wurden dort gegeben, neben Gerhart Hauptmanns Werken und Schönherrs Volk in Not.
Shakespeare-Zyklus – Deutscher Zyklus –
Probenarbeit
1916: Shakespeares 300. Todestag. Ein äußerer Anlass für Reinhardts Shakespeare-Zyklus. Seine innerste Andacht zu dem Werke Shakespeares war nicht an ein Datum gebunden. Er hat sie mit glühender Liebe, wie eine nie verlöschende Fackel, sein Leben hindurch bis zu seinem Tode getragen. Vom Sommernachtstraum (1905) angefangen, durch Städte und Länder, auf große und kleinste Bühnen (München), auf Freilichtbühnen (Florenz, Boboli-Gärten; Oxford; Schloss Kleßheim bei Salzburg; Hollywood Bowl), immer lebendig, vertieft mit zunehmenden Jahren, durchleuchtet, in ewigem Fließen wie das Leben selbst.
Im Wilhelminischen Zeitalter hatten die Klassiker, und vor allem Shakespeare, etwas von Herbariumpflanzen. Sorgfältig gepresst, des Lebenssaftes beraubt, vom Publikum mit ehrfürchtiger Langweile betrachtet. Max Reinhardt brachte sie wieder zum Blühen, entriss sie der Gruft, in der sie verdorrt waren. Unter seiner Direktion des Deutschen Theaters allein legen über 2000 Shakespeare-Aufführungen in den ersten 25 Jahren Zeugenschaft dafür ab. Dazu gesellen sich noch zahllose Aufführungen in späteren Jahren und in allen anderen Theatern der Welt, in die er Shakespeares Ruhm trug.
So war der Shakespeare-Zyklus, den er schon 1913 und 1914 begann, nur ein Glied in einer Kette, die längst in seinem Herzen und bei seinem Publikum verankert war. Trotzdem gab es noch immer Steigerungen. Seine Macbeth-Aufführung im Jahre 1916 übertraf alles, was ihr vorangegangen war. Die Fülle der Gestalten zog vorüber, litt, kämpfte und riss Erleben und Begreifen ganz in ihren Kreis. Im Mittelpunkt dieses Kreises, treibend, bewegend, wie giftige Pflanzen, Macbeth und die Lady, hemmungslos, triebhaft. Was Reinhardt hier aus Paul Wegener, Bruno Decarli, Hermine Körner und einem ebenbürtigen Ensemble herausholte, war einmalig. Gleichsam ein Spiel mit lebendigen Schachfiguren, deren Schicksal vom ersten Zuge an vorausbestimmt, mit unerbittlicher Folgerichtigkeit dem vernichtenden Ende zuschritt. Ernst Stern hatte die Dekorationen geschaffen, die in ihrer dunklen Wucht, in ihrem flammenden Rot wie eine stumme Anklage hinter dem Mord standen.
Elf andere Shakespeare-Werke waren Macbeth vorangegangen. Darunter Hamlet, Othello, beide Teile König Heinrich IV., Romeo und Julia, Der Kaufmann von Venedig, Was ihr wollt, Viel Lärm um nichts – alle in Glanzbesetzungen, mit Albert Bassermann, Alexander Moissi, Paul Wegener, Hans Waßmann, Gertrud Eysoldt, Else Heims, Camilla Eibenschütz, um nur einige zu nennen. Reinhardts Ensemble war durch viele Jahre des Zusammenspiels unter seiner Regie wie ein Orchester aufeinander abgestimmt.
Der Spielzeit 1916/17 verlieh Max Reinhardts »Deutscher Zyklus« besonderen Glanz. Den Auftakt gab das Sturm- und Drang-Drama Die Soldaten von Jacob Michael Reinhold Lenz, das mit heißem Atem am Beschauer vorbeijagte. Aneinandergereiht einzelne Szenen, scheinbare Zerrissenheit, der die geschlossenste Einheit zugrunde lag. Vibrierende Vielheit des Lebens in einem Spiegel aufgefangen, zu einem Bild vereinigt. Zahnrädern gleich griffen die Szenen ineinander. Während des Dunkelwerdens, wenn sich die Bühne drehte, legte sich oft nur der Gleichklang der Stimmen wie eine Brücke zwischen sie und führte so zum nächsten Bild hinüber. Die Schauspieler: Hermann Thimig, Camilla Eibenschütz – und Werner Krauß in einer unvergesslichen Episode. Alles leidenschaftlich, innerlich, Sturm und Drang, und doch so sehr ein Schrei aus unserer Zeit. Einheitlich der Rahmen, der für alle Bilder geschaffen war: zwei Pfeiler, rechts und links, in deren Nischen Armleuchter standen. Von ihrem Strahlen ging eine Ruhe aus, die das Leben, das vorbeizog, nur noch hob. Max Reinhardt hatte mit dieser Inszenierung den Ausdruck für die Sprache einer Zeit gefunden, die in solchem Maße niemals vorher zum Leben erweckt, dem Heute so nahe gebracht worden war. Farben, Licht und Klang! Auferstehung eines Feuergeistes, dem die glättende Zeit nichts anhaben konnte. Kurz darauf folgte Das Leidende Weib von Friedrich Maximilian Klinger, in einer Bearbeitung von Sternheim, mit der Höflich in der Rolle der Gesandtin. Diese Aufführung musste neben der Vollblütigkeit des Stückes von Lenz etwas verblassen, und das Publikum nahm sie nicht gut auf. Dann aber kam Dantons Tod von Georg Büchner, diese Symphonie der Leidenschaften, von Reinhardt sein Leben hindurch immer wieder dirigiert. Das Bühnenbild stammte von Ernst Stern. Steil verloren sich die Reihen des Konvents in einer Art Nebel, aus dem Stimmen in scharfem Kontrapunkt zum Zuschauer drangen. Im Gegensatz dazu das Quartett der Kerkerszene – ein Adagio von unbeschreiblicher Harmonie. Der schnelle Wechsel der Szenen wurde durch Licht ermöglicht, das grell auf einzelne Gestalten und Dekorationen fiel, sie aus der Dunkelheit rings herum heraushob. Hinter allem Geschehen die Revolution, deren Grauen zwei Jahre später Europa zutiefst erschüttern sollte. Kabale und Liebe, Minna von Barnhelm und Judith von Friedrich Hebbel beschlossen den »Deutschen Zyklus«.
Um diese Zeit begann Reinhardt mit den Proben zu Figaros Hochzeit in der Bearbeitung von Josef Kainz. In geschliffener Sprache führt diese Übersetzung von Fuldas süßlicher Fassung fort, zu Beaumarchais’ Zeit zurück. Kainz hatte diese Übersetzung für sich selbst gemacht und mit großem Erfolg gespielt. Max Reinhardt fand in Pallenberg für die Rolle des Figaro einen Darsteller besonderer Art. Dieser Figaro kam aus dem Volk. Mit breiten Gebärden, gleichsam von unten herauf, schleuderte er seine Herausforderung in die Dunkelheit des Hauses, immer wieder geduckt, um dann an seinem eigenen Wort zu wachsen. Ein Anklageschrei – Symbol für die Vielheit eines Volkes, Symbol für die Tat, zu der es sich später zusammenschloss. Pallenbergs Figaro ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass diese Tat schwerblütiger Menschen nicht von Sanftmut diktiert sein würde. Langgenährter Hass der Unterdrückten fand hier eine Stimme.
In diesen frühen Zeiten leitete Max Reinhardt seine Proben von einem kleinen Haus aus, das knapp an der Rampe stand und nur zur Bühne hin offen war. Ein Schreibpult und zwei Stühle fanden darin Platz: für Reinhardt und seinen Hilfsregisseur. Dort, gedeckt, geschützt, wie in einem kleinen Arbeitszimmer, saß der Mensch, in dem sich alle Regungen der einzelnen Gestalten des Dramas wie in einem Brennpunkt fanden. Von dort aus strahlten sie wieder zurück.
Ob nun in Worten, im Tonfall oder in der Gebärde. Plötzlich stand er dann neben dem Schauspieler, ging neben ihm her, schmiedete mit suggestiver Gewalt die Bewegung an das Wort. In ihm war die Wasserwaage für das Gesetz, unter dessen Zwang die Gestalten eines Stückes handeln. Aus dem gegebenen Gemütszustand des einzelnen entwickelte sich ihm selbst noch die kleinste unwillkürliche Bewegung in ihrer scheinbaren Unlogik. Er fühlte den Rhythmus seelischer Vorgänge, der für Betonungen, für Pausen bestimmend ist. Ein Beispiel: der Graf Almaviva ist in das Zimmer der Gräfin eingedrungen. In tödlicher Verlegenheit steht sie vor ihm. Er fühlt, dass er betrogen wird – aber noch fehlt es ihm an Beweisen.