wieder auf, und der glanzvollen Premiere im Century Theatre am 15. Januar 1924 folgte eine Tournee, die, mit Unterbrechungen, bis 1930 die Vereinigten Staaten durchquerte. Norman Bel Geddes, der geniale amerikanische Bühnenbildner, schuf die Dekorationen. Sein Vorläufer war Ernst Stern, und später, in Wien, zog Max Reinhardt einen der größten Bühnenbildner, Oskar Strnad, heran. Die letzte Aufführung des Mirakels fand 1932 in London statt. Abermals war es Cochran, der Reinhardt dazu bewog.
Die Wiederholung bestimmter Werke zieht sich durch Reinhardts Leben. Angefangen vom Sommernachtstraum, den er in immer neuen Fassungen herausbrachte, Faust, Goldoni, Tolstoi und zahllose andere, von ihm immer wieder aufs neue durchblutet und seinen Zeitgenossen nahe gebracht. Jedermann ist das einzige Stück, an dem Reinhardt, nach der Entdeckung für den Domplatz in Salzburg, nie mehr gerührt hat. (Mit Ausnahme eines kleinen Experimentes mit moderner Kleidung in seiner Schule in Hollywood.) Der Dom von Salzburg als Hintergrund für den Jedermann ließ sich eben auf einer Bühne nicht ersetzen. Dieser Schauplatz war ein einmaliger Fund. Reinhardt hat darüber immer wieder gesagt: »Ein Erfolg wie der Jedermann ist etwas derart Seltenes: nicht daran rühren!«
Die Wiederholung gewisser Inszenierungen motiviert er in seinen Notizen:
Warum immer dieselben Stücke – Sommernachtstraum, Faust, Goldoni, Tolstoi? Würde man aufhören wollen, immer wieder die Neunte, die Fidelio-Ouvertüren, gewisse Stücke von Mozart, Bach, Haydn zu spielen? Diese Werke sind unerschöpflich, und es ist in ihnen mehr Neues als in neuen Stücken, die viel Geschrei machen, aber im nächsten Winter ganz still und tot für immer sind.
1914
Der Winter dieses verhängnisvollen Jahres war für Reinhardt durch die Arbeit an seinem Shakespeare-Zyklus überaus fruchtbar. Glanzvolle Inszenierungen in den Kammerspielen – Scheiterhaufen von August Strindberg, Vom Teufel geholt von Knut Hamsun, Der Snob von Carl Sternheim und Die gelbe Jacke von George Cochran Hazelton und J. Harry Benrimo – ließen auch zeitgenössische Autoren zu Wort kommen. Nach der anstrengenden Arbeit war es verlockend, dem heißen Vorkriegssommer zu entfliehen, um in Italien zu arbeiten. Reinhardt erzählte viele Jahre später darüber:
Wir waren damals in Forte dei Marmi. Dort hatten wir ein Haus gemietet – so ein richtiger verwahrloster italienischer Barockpalazzo. Gersdorff war nach Florenz gefahren, um Kasten und Truhen und was man sonst damals noch sehr billig haben konnte, zu besorgen. Denn wir wollten uns für die Dauer einrichten. Es war wunderschön dort. Am Tage des Kriegsausbruches hatten wir eine Autotour nach Siena gemacht. Gersdorff hat uns dort mit der Nachricht vom Ausbruch des Krieges empfangen. Er hatte uns vorher auch als erster von der Ermordung des Thronfolgers gesagt. Zunächst versuchten wir noch zu bleiben. Aber dann wurde die Stimmung doch so feindselig, daß man fort mußte. Wir hatten ein ungewöhnlich großes Auto, einen Mercedes, den ich noch gar nicht fix gekauft hatte und nur ausprobieren wollte. Wie dieser Wagen in der kleinen Stadt angeschaut wurde …!
Es folgte eine panikartige Rückfahrt nach Berlin. Ins Ungewisse. Die Zukunft des Theaters schien ins Wanken geraten zu sein. Der Hurra-Patriotismus auf den Straßen Berlins konnte düsterste Befürchtungen nicht bannen. Reinhardt hat oft von diesen Tagen erzählt und vor allem von der Reaktion der einzelnen Schauspieler auf das Elementarereignis des Krieges. Wie der junge Karl von Gersdorff, der sich freiwillig gemeldet hatte, in Uniform ins Theater kam, in jedem Knopfloch eine Blume. »Geschmückt wie ein Opferstier.« Strahlend, voll Optimismus – um kurz darauf als einer der ersten an der Front zu fallen. Und der Komiker Victor Arnold, der während einer Vorstellung, von Kriegsangst gepeinigt, einen Wahnsinnsanfall erlitt und sich kurze Zeit danach die Adern mit Glasscherben aufschnitt.
Der Unsicherheit der ersten Wochen nach Kriegsausbruch folgte wie in allen Zeiten und während aller Kriege und Revolutionen – eine Epoche fieberhaften Aufschwunges in allen Theatern. Nur zu gerne ließen sich die Menschen ablenken, und gerade das war auch an »höchster Stelle« erwünscht. Sorgen sollten während der kurzen Stunden im Theater, die in eine vergangene Zeit zurückzauberten, vergessen werden. Hochdramatische Konflikte wurden zu willkommenem Maß für eigene Probleme. So spielte man vor ausverkauften Häusern. Zunächst in Reinhardts Inszenierung den Prinz von Homburg und die Wallenstein-Trilogie. Deutsche Dichter beherrschten das Repertoire neben Shakespeare, dessen Werke unentwegt weitergespielt wurden.
Die Panik der ersten Kriegsmonate wich einer zuversichtlicheren Stimmung im Hinterland. Die Armeen waren im Vormarsch. Man durfte wieder lachen, man wollte wieder lachen. Max Pallenberg war Reinhardt damals der liebste unter den Komikern, die er in seinem Ensemble hatte. Er wurde nicht müde, sich an dem Bitteren, Galligen dieser Komik, an dem Genialen im Wesen Pallenbergs zu freuen. Viele Jahre hindurch, bis er ihm schließlich, ein Jahr vor Pallenbergs Tod, den Mephisto bei den Salzburger Festspielen anvertraute. Aber schon im Jahre 1914 wusste er, dass kein anderer die hintergründige Gestalt des Rappelkopf in Der Alpenkönig und der Menschenfeind, das Unheimliche und dabei so typisch Österreichische dieser Raimundfigur so schlagend darstellen könne wie Pallenberg. Reinhardt führte das Märchenstück in die Tiefen zurück, aus denen Raimund Stoff und Sinn seiner Handlung geschöpft hatte. Es wurde eine glanzvolle Aufführung und auch ein Triumph für Pallenberg. Max Reinhardt war vorher mit Ernst Stern, der die Dekorationen entwarf, in die Alpen gefahren. So wie einst, während der Arbeit am Regiebuch des Sommernachtstraums, hatte er bei Tag Sonne und Schnee genossen und erst abends an seinem Regiebuch gearbeitet.
Um aber auch bodenständigen Humor zu Worte kommen zu lassen, dessen Breite norddeutschem Verstehen näher liegt als das österreichisch Feinsinnige, Geistreiche in einem Stück von Ferdinand Raimund, waren Ende 1914 in den Kammerspielen Die Deutschen Kleinstädter von August von Kotzebue in glänzender Besetzung neuinszeniert worden.
Der Regierung lag damals besonders viel daran, Deutschland dem neutralen Ausland gegenüber als Kulturmacht auszuweisen. Die Inszenierungen Max Reinhardts waren so repräsentativ, dass seine Gastspielreisen nach Skandinavien staatlich subventioniert wurden. Die Kosten des Transportes einer praktikablen Drehbühne, aller Dekorationen, Requisiten und Kostüme wären für ein Privattheater viel zu hoch gewesen.
Max Reinhardt hatte zuletzt 1911 in Skandinavien mit Ödipus gastiert. Diesmal, im November 1915, brachte er Die Räuber, Faust, Sommernachtstraum, Was ihr wollt, Minna von Barnhelm und Strindbergs Totentanz nach Stockholm und Christiania. Er wurde jubelnd empfangen. Nordische Kunst verdankte ihm sehr viel. Als Regisseur und vorher als Schauspieler. Seine Inszenierungen hatten aus den Tiefen der Werke von Ibsen, Strindberg, Björnson, Hamsun ungeahnte Schätze gehoben. Maler wie vornehmlich Edvard Munch hatte er herangezogen, um einen Bühnenraum zu schaffen, der die Wirkung noch steigerte. Unvergessen war aber auch der Schauspieler Reinhardt in Ibsenrollen, wie etwa Foldal oder Engstrand. Ihm selbst war die Kunst nordischer Schauspieler sehr ans Herz gewachsen. Er versäumte niemals, Vorstellungen in Stockholm, Christiania oder Kopenhagen beizuwohnen, und wenn er mit skandinavischen Schauspielern arbeitete, waren ihre feinen Nuancierungen, das Sparsame verhaltener Leidenschaft (das freilich in vielen Fällen nur vom Regietisch, von der Bühne aus, genossen werden konnte), ein besonderes Fest für ihn.
Auf dieser Nordland-Tournee verfolgte Reinhardt noch ein anderes Ziel. Die tänzerische Begabung dänischer und norwegischer Künstler war ihm seit Jahren bekannt. So hoffte er, in Skandinavien Tänzer für ein Ballett-Ensemble zu finden, das, für Berlin neu, in Tanzspielen das Repertoire seiner Berliner Theater beleben sollte. Von der Stockholmer Oper wurde ihm ein Saal zur Verfügung gestellt. Dort konnten Kandidatinnen vortanzen. Aber erst in Christiania kam es zu einer entscheidenden Begegnung: Lillebil Christensen und ihre Mutter Gydda Christensen. Lillebil debütierte später im Deutschen Theater als Prinzessin Fay-yen in Hofmannsthals Tanzspiel Die Grüne Flöte.
Bei seiner Rückkehr nach Berlin fand Max Reinhardt verschärfte Kriegszustände vor. Der Gegensatz musste nach den Wochen im neutralen kriegsfernen Ausland doppelt fühlbar sein. Die Polizeistunde war auf halb zwölf verlegt worden. Das bedeutete früheres Schließen der Theater, da der Nachtverkehr auf Straßenbahn, Hoch- und Untergrundbahn ebenfalls um anderthalb Stunden verkürzt worden war. Rationierungen erschwerten die Anschaffung von Dekorationen und Kostümen. Aber trotzdem war die Stimmung im Hinterland noch immer gut. Beim Fall von Bukarest dröhnten Salutschüsse über der Stadt, die Häuser