Gusti Adler

"...vergessen Sie nicht die chinesischen Nachtigallen."


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Du sprichst von meinen Fähigkeiten, an die ich fast gar nicht mehr glaube. Kannst Du Dir einen Begriff machen, wie mir zu Muthe ist? Ich wollte, es wäre schon October, November und die Situation etwas geklärter.

      Unabhängig davon war er aber natürlich von den Schauspielern, von Proben und Aufführungen, die er sah, begeistert. Das Deutsche Theater hatte ein herrliches Ensemble: Josef Kainz, Agnes Sorma, Emanuel Reicher, Else Lehmann, Rudolf Rittner, Oscar Sauer, Hermann Nissen und viele andere.

      Sein größtes Erlebnis war Kainz, von dem er sich aus der Entfernung eine vollkommen falsche Vorstellung gemacht hatte. Nun sah er in ihm die stärkste Persönlichkeit dieser Zeit. Der Einfluss von Kainz hat in Reinhardts geistiger Entwicklung eine entscheidende Rolle gespielt. Eine große Freundschaft verband ihn später mit ihm. Kainz, der fünfzehn Jahre älter war als Reinhardt, nahm den jungen Menschen oft nach der Vorstellung mit nach Hause. In stundenlangen Diskussionen in seiner Bibliothek erschloss er ihm den Reichtum seiner geistigen Welt. Reinhardt lebte sich schnell in Berlin ein, obwohl er sich des gefährlichen Bodens dieser Stadt bewusst war. Darüber schrieb er im September 1894:

      Bei uns ist schon alles in vollem Gange. Die erste Vorstellung erregte tendenziös (realistisch) manchen Widerspruch. Die folgenden Aufführungen: Nora, Esther, Tartuffe waren berechtigte Triumphe! Die Gunst der Kritik ruht hier auf Messerschneide und zwar auf der denkbar schärfsten. Merina Luc. ist heute im Tageblatt grausam verrissen. Die Ärmste! Ebenso Klein. Dasselbe Los, ahnst Du’s auch kaum, es kann Dich auch erreichen. Ich habe große Bange! Serafin und Klein sind bereits gekündigt. Düstere Pausaniasse schwingen unbarmherzig ihre Sensen und glattrasierte Köpfe kollern in den Spreesand und die Tinte spritzt nur so!

      Seine Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. Er spielte beinahe täglich, u. a. in den Webern und dann den Ersten Schauspieler in einer Glanzaufführung von Hamlet, die monatelang im Deutschen Theater lief. Nach dem Tode Hermann Müllers fielen ihm überdies später noch alle Rollen dieses beliebten, vielbeschäftigten Darstellers zu.

      Das Leben in Berlin war ungemein anregend für Reinhardt. Er las viel, besuchte mit seinem Freund Marx Konzerte und entdeckte zum ersten Mal den Zauber, den Musik auf ihn ausübte.

      Ich verstehe von Musik nicht viel, bin aber trotzdem oder vielleicht gerade darum sehr empfänglich für sie. Als Schuljunge begann ich einige Monate herumzuklimpern, konnte dem Scalenspielen jedoch keinen besonderen Geschmack abgewinnen und ließ es bald. Ich bin also in akademischer und technischer Beziehung ein Ignorant in der Musik. Aber ich habe mir jedenfalls die volle empfängliche Naivität darin bewahrt, die mir als Zuschauer im Theater naturgemäß schon öfters fehlt. Jedenfalls übt gute Musik stets eine mächtige Wirkung auf mich aus, die mich überrascht und die ich mir nicht recht erklären kann. Neue ungeahnte Stimmungen erwachen in mir. Alles erweitert sich und ich freue und wundere mich darüber wie ein Kind mit einem farbigen Kaleidoskop.

      Er empfahl seinem Freund Held, Musik zu hören und ihm dann über seine Eindrücke zu berichten.

      Reinhardt war bedeutend jünger als seine Freunde, aber der Einfluss, den er schon damals auf sie ausübte, war stark und entscheidend. Sie ließen sich von ihm beraten und führen. Ein Gespenst störte das Glück dieser Zeiten: die Militärdienstpflicht, die ihm drei kostbare Jahre zu rauben drohte. Brahm hatte ihm 1893 geraten, sein Freiwilligenjahr zu absolvieren, aber Reinhardts Wunsch, endlich zu spielen, war überstark gewesen. Nun musste er sich im Ausland immer wieder stellen und, wie sein Freund Held, gewärtig sein, aus allem herausgerissen zu werden.

      In den neun Jahren seines Engagements als Schauspieler am Deutschen Theater beschäftigte Brahm ihn ununterbrochen. Reinhardt spielte in der deutschsprachigen Erstaufführung von Henrik lbsens John Gabriel Borkman, in Maurice Maeterlincks Monna Vanna, in Shakespeares Romeo und Julia, er spielte Mephisto und König Philipp. Natürlich aber vor allem in den Stücken der Naturalisten. Reinhardt schrieb über diese Zeit:

      Brahm war ein Naturalist und spielte daher fast ausschließlich die Klassiker aus dieser Schule – Hauptmann, Schnitzler, Ibsen. Die Premieren waren oft wirkliche Schlachten, und es gab tolle Skandale – meist bei den Stücken von Hauptmann, der übrigens fast immer selbst Regie führte. Ich sah damals zum ersten Mal einen Dichter Regie führen. Sonderbar, wie wunderschön das einerseits ist und gleichzeitig wie schwer für den Schauspieler, den der Dichter eigentlich niemals berücksichtigt. Er sieht immer nur das Stück. – Brahm ging in seinem Naturalismus so weit, daß er sagte, solange man im Leben keine Verse spräche, wolle er auch keine auf der Bühne haben. Also bildete sich natürlich eine Front gegen ihn. Die richtigen Klassiker wurden fast nur nachmittags gespielt, und selbstverständlich gab es viele, die das übel nahmen. Ich war neun Jahre lang an seinem Theater und sehr befreundet mit ihm – er war wirklich ein wertvoller Mensch. Im Ganzen war es eine wundervolle Zeit. Aber ich begann langsam darunter zu leiden, daß ich jeden Abend spielen mußte. Es war nicht das Spielen selbst – sondern das ewige Bärte-Kleben, das Masken machen – das immerwährende Hantieren mit Mastix (da ich fast immer alte Leute spielte, durfte ich nie »natürlich« aussehen, sondern mußte täglich mein Gesicht, meine Haare, meine Zähne verschminken). Auch wurde in diesen naturalistischen Aufführungen fast immer auf der Bühne gegessen, meist Knödel und Kraut, was zwar gut war, aber einem mit der Zeit auch über werden kann – jedenfalls fing mich die ganze Atmosphäre zum Schluß zu quälen an, und ich wurde direkt unglücklich.

      An Regie dachte ich damals überhaupt nicht – obwohl es eigentlich keinen einzigen wirklichen Regisseur gab. Brahm saß zwar im Parkett und machte unfehlbare kritische Bemerkungen, aber auf der Bühne gab es nur Techniker, von denen nie eine künstlerische Anregung kam. Die Schauspieler mußten sich das alles selbst machen. Manche Dichter brachten durch das Vorlesen ihrer Stücke Anregungen – Hauptmann zum Beispiel, der wunderbar las, im Gegenteil zu Schnitzler und Hofmannsthal.

      Reinhardt hatte viele Freunde in Berlin, darunter auch Christian Morgenstern. Dieser Kreis von Dichtern, Schauspielern und Malern traf sich im damaligen Café Metropol am Bahnhof Friedrichstraße. Sie beschlossen, einen Verein zu gründen. Er hieß »Die Brille« und war eine halb mystische, halb lustige Angelegenheit. Neue Mitglieder wurden mit verbundenen Augen in den Saal geführt und bekamen dann eine Brille, durch die sie erst imstande waren zu sehen. »Die Brille« beschränkte sich zunächst darauf, kleine Parodien aufzuführen. Sie spielten zuerst im Künstlerhaus in der Bellevuestraße. Silvester 1900 fand die erste Aufführung vor geladenen Gästen statt. Der Erfolg war so überraschend groß, dass man sich entschloss, das Programm Ende Januar 1901 vor einem größeren Kreis zu wiederholen. Angesichts des schwierigen Problems, einen Namen für das neue Unternehmen zu finden, hatte Reinhardt schließlich erklärt, dass dies doch gar nicht so wichtig sei, denn schon Goethe habe gesagt: »Name ist Schall und Rauch«. So empfingen drei junge Schauspieler in Pierrot-Kostümen – Max Reinhardt, Friedrich Kayssler und Martin Zickel – die Gäste und erklärten in einem Terzett, wie wenig es auf einen Namen ankomme, denn Name sei Schall und Rauch …

      Parodien, meist auf die klassischen Vorstellungen im Deutschen Theater, wurden auch weiterhin aufgeführt, daneben aber auch Stücke. Es war ein ungeheurer Erfolg. Reinhardt begann Einakter zu schreiben, die auch später noch oft gespielt wurden: Das Regiekollegium (bestehend aus dem Dichter, dem Direktor und dem Regisseur, die den armen Schauspieler auf der Bühne quälen), Die Parkettreihe und einige andere. Das Ganze fand so viel Anklang, dass Reinhardt schließlich beschloss, ein richtiges Theater daraus zu machen. Er mietete Arnims Festsäle Unter den Linden, die eine kleine Bühne hatten. Sie wurden nach Ideen Reinhardts und Kaysslers von dem Baumeister Peter Behrens umgebaut und am 9· Oktober 1901 eröffnet. Ende Januar 1902 erhielt »Schall und Rauch« den Beinamen Kleines Theater. Stücke traten an Stelle der Einakter. In diesem Moment brach aber der Erfolg des Unternehmens ab, ja, es wurde ein ausgesprochener Misserfolg. Reinhardt hat darüber geschrieben:

      Das war ein Wendepunkt in meinem Leben. Ich beschloß nämlich, es jetzt »erst recht« zu machen. Zum Teil aus Überdruß an der Art von Schauspielerei, die ich bis dahin ausgeübt hatte; zum Teil für meinen Bruder, den ich nach Berlin hatte kommen lassen, weil er nicht ganz gesund war und für den zu sorgen das größte Glück meines Lebens war.

      Der Entschluss, das Schall-und-Rauch-Theater weiterzuführen, bedingte aber den Abbruch seiner