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Nick Francis 3


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eingekleidet, es ist also auch egal, was ich vor Antritt einer Reise trage.«

      »Ach ja, stimmt, ich vergaß. Und was glaubst du, was dich in der Festung erwarten wird?«

      »Das kann alles Mögliche sein. Ich kann bei den Rittern landen oder wieder bei irgendwelchen Horrorfiguren, vielleicht bin ich am Bau der Festung beteiligt, vielleicht soll ich sie von einer Belagerung befreien oder ich gehöre zu den Eroberern. Alles ist möglich, das ist ja das Spannende.«

      »Oh, wie gerne wäre ich an deiner Stelle!« sagte Willi. Er war ganz atemlos.

      Ich nickte. Für einen Mann wie Willi, der sein Leben mit Büchern verbracht hatte, gäbe es sicher nichts Schöneres, als mit mehr als nur seiner Fantasie in ein Buch zu reisen. Nach einer knappen Stunde verabschiedeten wir uns voneinander. Willi schloss mich in die Arme, so als würde er mich nicht wiedersehen, als sei es ein Abschied für immer.

      »Ruf an, wenn du angekommen bist«, sagte er an der Tür und zwinkerte mir zu.

      »Meistens kann ich leider nicht nach Hause telefonieren, deshalb sei nicht traurig, wenn ich mich nicht melde«, entgegnete ich und grinste. »Morgen zum Frühstück bin ich wieder hier mit frischen Brötchen – versprochen.« Ich lächelte, drehte mich um und ging zu meinem Fahrrad. Das müsste ich auch mal wieder putzen.

      ***

      Zunächst trat ich gemächlich in die Pedalen, aber je mehr ich über mein bevorstehendes Abenteuer nachdachte, desto schneller pochte mein Herz und desto schneller radelte ich. Nach kurzer Zeit raste ich den Feldweg entlang. Erst im letzten Augenblick bemerkte ich, dass ich die Neunziggradkurve, hinter der sich einige Meter weiter das Ende des Feldweges befand, erreicht hatte. Ich riss den Lenker ruckartig nach links, das Fahrrad blockierte und ich stürzte auf den Kiesweg. Kaum gelandet fuhr ich auch schon hoch, schaute mich um und war erleichtert – ich war alleine, keiner hatte meinen peinlichen Auftritt gesehen. Tief durchatmend schwang ich mich wieder auf den Sattel.

      Als ich endlich zu Hause angekommen war, verstaute ich den Drahtesel in der Garage und ging in meine Wohnung. Im Treppenhaus traf ich Frau Maier aus dem ersten Stock.

      »Hallo Nick! Oh, sind Sie gestürzt?«, fragte sie.

      »Gestürzt? Wie ... woher wissen Sie das?«

      »Hoffentlich ist nichts Schlimmes passiert?«

      »Nein, gar nicht. Danke der Nachfrage«

      »Dann bin ich ja beruhigt. Schönen Abend noch!«

      »Danke, Ihnen auch Frau ... Frau Maier!«

      In meiner Wohnung zog ich die Jacke aus, hängte sie an den Garderobenhaken, ging in die Küche, um mir einen entkoffeinierten Kaffee zuzubereiten. Dabei freute ich mich wieder über den neuen Kaffeeautomaten, mit dem das Kaffeekochen kaum mehr war als ein Druck auf einen Knopf. Schon nach kurzer Zeit setzte ich mich mit der dampfenden Kaffeetasse an den Küchentisch und beim Setzen entdeckte ich das Malheur. Die dünne Stoffhose hatte ein Loch am linken Knie und darunter war die Haut abgeschürft. Ein wenig Blut klebte an einem Stofffetzen. Jetzt spürte ich auch einen pochenden Schmerz. War ich so von der Rolle, dass ich es nicht mal merkte, wenn ich mich verletzte? Na ja, jetzt weiß ich wenigstens, woher Frau Maier wusste, dass ich gestürzt bin. Es gibt doch für alles eine Erklärung! Ich zog mir die Hose aus, um mir mein Knie genauer anzusehen. Sofort stellte ich die großmütterliche Diagnose: Bis zu meiner Hochzeit ist das wieder gut. Beruhigt setzte ich mich wieder hin, trank den Kaffee und gönnte mir noch ein Käsebrot mit Tomaten dazu.

      Schließlich, als Kaffee, Brot und das letzte Tomatenstück in meinem Bauch verschwunden waren, war es an der Zeit, mich dem Buch zuzuwenden. Ich holte es aus dem Wohnzimmer und ging samt Buch ins Schlafzimmer. Dem Buch war es mit Sicherheit ziemlich egal, wo ich mich zum Schlafen hinlegte, aber dennoch machte ich es mir traditionsgemäß im Bett gemütlich und nicht auf dem Wohnzimmersofa. Routiniert legte ich meine rechte Handfläche auf die Buchseite mit dem Titel Die Festung, warf noch einen Blick auf den Wecker, 22.36 Uhr, und wartete. Ich war schon ziemlich müde, denn in der letzten Nacht hatte ich extra nicht viel geschlafen. Wenn dieses Buch elektronisch funktioniert, woher kommt dann die Energie? Gibt es da einen Akku, der so lange hält?, war das Letzte, was ich dachte, und dann ging es los.

      Wie ein seichter Stromstoß durchfuhr es mich, als meine Hand mit der warm gewordenen Buchseite, die wieder weich wie Schaumstoff wurde, verschmolz. Als Erstes kribbelte die Hand, dann der Arm, dann beide Arme, schließlich der Oberkörper bis runter zu den kleinen Zehen und schon sauste ich los. Beam me up, Scotty!

Kapitel 1 Angekettet

      Das Erste, was ich spürte, war ein schneidender Schmerz, der sich über meinen Rücken zog, und ich hörte eine raue Stimme in mein Ohr krächzen.

      »Wenn du hier pennst, Freundchen, werde ich weitermachen, bis deine Haut nur noch in Fetzen an dir runterhängt. Willst du das?«

      »Nein!«, brüllte ich erschrocken und noch halb im Dämmerzustand. Da krakeelte die Stimme auch schon weiter. »Dann leg dich gefälligst in die Riemen.«

      Freunde, ich hatte es mal wieder geschafft, ich steckte mitten im dicksten Schlamassel. Konnte mir nicht ein ruhiger Anfang erlaubt werden wie das letzte Mal im Zug, mit dem ich gemütlich in Die Stadt gefahren bin? Hier war es leider alles andere als gemütlich. Allem Anschein nach befand ich mich im Rumpf eines Schiffes. Auf jeden Fall war ich an einer Sitzbank angekettet. Neben mir saßen zwei Männer, die das Ruder – oder fachmännisch gesagt, den Riemen – vor mir im Kreis bewegten. Eilig griff ich danach und ruderte gemeinsam mit den anderen im Takt der Trommel, die im Hintergrund dröhnte. Der Mann, der mir am nächsten saß, schien etwas größer und älter zu sein als ich. Feste Muskelpakete zeichneten sich auf seinem braun gebrannten Oberkörper ab. Bei der gesunden Hautfarbe kann der noch nicht so lange hier unten sein.

      »Na Junge, endlich zur Besinnung gekommen?«, fragte der Muskelmann.

      »Ja, leider.«

      »Die haben dich ganz schön fertiggemacht, so lange wie du weggetreten warst.«

      »Wer hat mich fertiggemacht?«

      »Frag doch nicht so blöd, das solltest du wohl am besten wissen.«

      »Sollte ich?«

      »Haltet eure verdammten Schnauzen, ihr erbärmlichen Hunde. Sonst bekommt ihr die Peitsche zu spüren«, brüllte der Kerl, der mich so unsanft aus dem Schlaf gerissen hatte.

      Eine Weile sagten wir nichts mehr. Insgesamt schufteten hier unten dreißig Mann an zehn Riemen, fünf Riemen auf jeder Schiffsseite, und wir alle waren diesem Peitschenkerl ausgeliefert, der keine Minute verstreichen ließ, ohne uns anzubrüllen oder seine Peitsche zischen zu lassen. Zwei weitere Typen standen mit verschränkten Armen beim Trommler und ihre einzige Aufgabe bestand darin, uns grimmig zu fixieren. Kann ich nicht diesen Job haben? Ich bin dafür ganz sicher qualifiziert!

      Schweigend ruderten wir weiter. Ich fiel in eine Art Trance. Meine Bewegung verschmolz mit den Paukenschlägen. Nach einiger Zeit stiegen zwei Männer mit einem Topf in der Hand die enge Treppe zu uns nach unten. Bei uns angelangt, stellten sie den Topf in den schmalen Gang. Mit zwei Kellen schöpften sie den Inhalt, so etwas wie eine klare Brühe, heraus, gingen von Mann zu Mann und flößten jedem von uns Ruderern davon etwas in den Mund. Danach wurde uns der zweite Gang, ein Stückchen Brot in den Mund gestopft. Während der Fütterung durften wir unsere Arbeit nicht unterbrechen, darüber wachten die Aufseher mit stechenden Blicken. Selbst unsere Kellner wurden angetrieben.

      »Nun beeilt euch, sonst könnt ihr gleich einen Platz hier unten bekommen, dann ist das schöne Leben in der Kombüse aus für euch zwei Seepocken.« Ein heftiger Peitschenknall unterstützte die Worte.

      Plötzlich, als der Peitschenmann auf der Höhe der Bank war, auf der ich saß, rief der Braungebrannte neben mir:

      »Jetzt!«

      Was jetzt?, fragte ich mich, doch da spürte ich schon einen Ruck. Die beiden Männer neben mir stießen den Riemen wie einen Rammbock in die Rippen des Peitschenmanns