auch immer wir es nennen wollen, gehen ohne deinen Körper in das Buch, wo sie sich in einen Körper, der deinem vollkommen gleicht, einnisten?«
»So könnte es sein. Nehmen wir mal an, es wird eine künstliche Person hergestellt, ein Avatar, der meinem Körper in dem Moment, in dem ich mit einer Hand auf dem Buch einschlafe, aufs Haar gleicht. Es wird also auch eine Knieverletzung mit übernommen, die normalerweise nicht zur Grundausstattung des Körpers gehört.«
»Aber um diesen Avatar zu erzeugen, müsste das Buch wissen, wie du aussiehst − hat es vielleicht deine DNA?«
»Keine Ahnung, vielleicht hat es Augen, die wir noch nicht gefunden haben.« Ich grinste.
»Witzig ... Ich meine, du solltest noch einmal mit Herrn Schubert von der PC-Klinik reden und ihn fragen, ob er sich noch etwas intensiver mit dem Buch befassen kann.«
»Das würde er sicherlich gerne machen, aber dazu muss ich ihm auch mehr darüber erzählen. Er war schon beim ersten Mal nicht gerade erfreut über die dürftigen Informationen, die ich ihm gegeben habe.«
»Dann weihst du ihn eben ein!«
»Ich weiß nicht recht, ob das eine gute Idee ist. Sicher, Herr Schubert scheint sehr nett und hilfsbereit zu sein …«
»Du musst ihm ja nicht gleich alles erzählen. Denk dir eine kleine plausible Geschichte aus. Du würdest vermuten, dass das Buch einen zum Träumen bringt und sich nach dem Traum manchmal eine Buchseite geglättet hat – so was in der Art. Denn, ehrlich gesagt, wissen wir nicht hundertprozentig, ob du wirklich in ferne Länder gereist bist. Einen richtigen Beweis haben wir nicht, gerade dann nicht, wenn sich dein Körper bei der Rückkehr in demselben Zustand befindet, in dem er war, bevor du eine Geschichte erlebt hast.«
»Hallo?! Richtiger Beweis? Was ist mit der Stimme, die sich Sam nennt?«
»Hallo?! Es ist wohl ein Leichtes, von einer Stimme zu träumen.«
»Du meinst, von einer Stimme, die mal aus der Luft, mal aus einem Schlafwagenschaffner oder gar aus einem Papagei kommt?«
»Wieso nicht?«
»Du glaubst also, dass es nur Träume sind, und zweifelst an der Avatar-Theorie?
Willi zuckte mit den Schultern und ich überlegte laut:
»Zumindest können wir davon ausgehen, dass es noch weitere Geschichten in dem Buch gab.«
»Du meinst wegen der glatten Seiten, in die vermutlich auch mal Titel von Geschichten eingraviert waren? Aber wer hat die Geschichten gelebt und vor allem, wo ist derjenige jetzt?«
»Sam zufolge war das Buch doch eigentlich für jemand anderen bestimmt, vielleicht für den Verstorbenen aus Die Stadt? Der kam definitiv aus unserer Zeit.«
»Wie wir es auch drehen und wenden, wir kommen so nicht weiter. Wie gesagt, mein Vorschlag ist, dass du dich noch einmal mit Herrn Schubert unterhältst.«
»Du hast vermutlich recht, vielleicht ist meine Total-Recall-Idee, die ich hatte, als ich aus Die Stadt zurück war, doch nicht so verkehrt. Vielleicht werden mir diese Geschichten nur in Form von Gedanken eingepflanzt. Könnte doch sein, wenn man die technischen Innereien des Buches berücksichtigt, die Herr Schubert beim Durchleuchten des Buches entdeckt hat.«
»Hmm … hmm …«, brummte Willi und wir beide betrachteten nachdenklich die Zimmerdecke, bis ich damit aufhörte:
»Okay, aber bevor ich Herrn Schubert aufsuche, möchte ich noch eine Geschichte leben, vielleicht kann ich darin Sam ein bisschen mehr ausquetschen.«
»Wo soll es denn hingehen?«, fragte Willi, der seine Denkeraugen gegen Entdeckeraugen eingetauscht hatte.
»Da ich seit der zweiten Geschichte dabei bin, das Buch der Reihenfolge nach abzuarbeiten, ist es jetzt Zeit für Der Keller.«
»Und wann willst du den Keller inspizieren?«
»Ich weiß noch nicht, so schnell wie möglich, und dann will ich mal sehen, ob nicht mehr aus Sam rauszuholen ist. In Die Festung hat er mich ziemlich gelinkt. Erst hat er mir mehr Fragen gestellt als ich ihm, und dann war er verschwunden.«
»Und wenn du wieder zurück bist, gehst du zu Herrn Schubert?«
»Ja, und du kannst in der Zwischenzeit das Internet nach der Insel Kordina und den anderen Stichpunkten durchforsten.« Ich kramte in meiner Hosentasche. »Die habe ich hier aufgeschrieben«, verkündete ich und reichte Willi den Zettel. Während er einen Blick darauf warf, bat ich:
»Versuch doch noch einmal herauszubekommen, ob nicht doch noch irgendwo so ein Buch existiert.«
»Das haben wir nun schon so oft getan.«
»Aber vielleicht nicht oft genug. Durchsuche mal die ganzen Foren im Internet, da bist du doch jetzt Experte.«
»Ich versuche es gern. Wenn ich was finde, schicke ich dir ein E-Mail-Dings.«
Das erste E-Mail-Dings kam ein paar Tage nach unserem Gespräch. Darin teilte Willi mir mit, dass er nichts über Kordina gefunden habe und auch nichts über Rollins Eiland. Na tolle Info – und so hilfreich! Über Tortuga fand er natürlich was. Kunststück, die Insel gibt es ja wirklich. Über das Torbuch ohne Titel fand er wieder nichts. Weder in den Foren noch auf irgendwelchen anderen Plattformen. Anscheinend war mein Buch das einzige seiner Art, das es in dieser, unserer Welt gab. So vergingen die nächsten Monate wie im Flug, denn in meiner Buchhandlung gab es noch diverse Bücher zu sortieren und zu katalogisieren. Allerdings wurde ich immer ungeduldiger und dachte immer öfter daran, eine weitere Reise mit Hilfe des Torbuches zu unternehmen.
Achtung, Achtung, eine wichtige Durchsage: Wer jetzt so gar nicht weiß, was für ein Buch das Torbuch ist, von dem hier die ganze Zeit die Rede ist, der kann sich auf der Homepage www.nick-francis.de den Prolog aus meiner ersten Erzählung – Die Burg – zu Gemüte führen, den habe ich da für euch hinterlegt. Darin wird alles Weitere erklärt. Oder ihr besorgt euch gleich die ersten drei Bände von meinen Abenteuern, um, wie viele andere auch, von Anfang an dabei sein zu können. Doch versteht mich nicht falsch, ich will euch auf gar keinen Fall davon abhalten, mir bei dieser Erzählung zu lauschen. Ich verspreche euch, dass ihr dem Verlauf der Geschichte auch ohne näheres Vorwissen über das Torbuch und meine früheren Erlebnisse folgen könnt. Habt also erst einmal viel Spaß mit der Geschichte, die ich in Der Keller erlebt habe. Alles andere könnt ihr später noch in Ruhe nachholen.
***
Eine Woche vor meiner geplanten Reise, als ich meine E-Mails checken und noch einige Sonderwünsche meiner Kunden erfüllen wollte − also, mich auf die Suche nach antiquarischen Büchern oder einer speziellen Ausgabe begab − passierte es wieder. So ein Mist! Da half auch kein Herumhämmern auf der Tastatur. Der olle Kasten hatte sich mal wieder aufgehängt, nichts ging mehr, festgefahren, ein glatter Absturz oder was man sonst noch dazu sagen kann. Ihr habt da bestimmt auch so eure Erfahrungen. Ich versuchte, mich zu beschwichtigen und sagte mir: »Nick, bleib ganz ruhig, nicht noch eine Tastatur zerhackstückeln, die kann gar nichts dafür.«
Was war zu tun? Computer abstöpseln und zur Reparatur bringen oder ihn gleich verschrotten? Er hatte doch schon sieben Jahre auf dem Buckel, in Menschenjahren sind das so an die siebzig. Aber als ich mir den Kabelsalat unter dem Tisch anschaute, entschied ich mich dazu, erst einmal zu Herrn Schubert in die PC-Klinik zu gehen. Vielleicht könnte er eine Ferndiagnose stellen. Man darf doch wohl noch hoffen!
»Hallo Herr Francis, wie nett, Sie zu sehen! Sie haben sich lange nicht blicken lassen.«
»Hallo Herr Schubert! Ja äh … tut mir leid, aber ich hatte so viel um die Ohren, Sie kennen das sicher aus eigener Erfahrung − wenn man einen eigenen Laden hat, ist immer was zu tun.«
»Ich erinnere mich. Sie haben eine Buchhandlung.«
»Richtig!«
»Unsereins