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Nick Francis 4


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Geschichte, die Neugier war zu groß. Besonders nach meiner Idee, die mir durch das Computerspiel gekommen ist. Ich wollte mit Sam sprechen und nahm mir vor, mich dieses Mal nicht so von der Stimme ausquetschen zu lassen. Bei unserer Begegnung würde es stattdessen heißen: Quid pro quo!

      Doch bevor ich meine Reise antrat, musste ich mich noch auf ein zusätzliches Experiment vorbereiten. Ich gehöre eigentlich nicht zu denen, die sich bewusst einen antütern, aber für die Wissenschaft tut man ja so einiges, und so machte ich mich nach drei Lütt un Lütt auf den Weg in den Keller – Prost!

      Die Getränke nahm ich in der Küche zu mir und torkelte … nein, ich konnte noch normal gehen, ins Schlafzimmer, wo schon alles für das Ritual vorbereitet war. Bettdecken und Kissen hatte ich vom Bett geräumt. Nur das aufgeschlagene Buch lag auf der Matratze. Ich legte mich rücklings in die Mitte und zog das Buch auf meinen Bauch. Die rechte Hand platzierte ich auf den eingravierten Titel Der Keller – das Tor zu einem weiteren Abenteuer.

      Also Augen zu, ruhig atmen und Schäfchen zählen. Die Seite fühlte sich wie immer kühl und hart an, und dann passierte es. Schon im Halbschlaf und damit in dem Zustand, in dem ich in die Welt des Buches gelangen konnte, spürte ich, wie die metallähnliche Oberfläche des Buches warm und weich wurde. Meine Hand versank in der Seite wie in Schaumstoff und wurde eins mit ihr, worauf sich das bekannte Gefühl einstellte: Es war, als krabbelten mehrere tausend Ameisen aus dem Buch heraus auf meine rechte Hand. Danach kribbelte mein rechter Arm, so als würden die Ameisen ihre Reise über diesen fortsetzen. Schließlich war es, als breiteten sich die kleinen Tierchen auf meinem ganzen Körper aus. Es kribbelte überall wie bei einem leichten, sanften Stromstoß. Es war angenehm und entspannend, auch wenn der Vergleich mit den Ameisen und dem Strom was anderes vermuten lässt. Ich hatte also das erforderliche Stadium erreicht. Der Zauber erfasste mich und brachte mich in eine neue Geschichte, die dieses Mal den Titel trug: Der Keller.

Kapitel 1 Roter Schnee

      Das Erste, was ich wahrnahm, war ein Knistern und eine blecherne Stimme: »Nächster Halt: Gänsemarkt!«

      Langsam öffnete ich die Augen. Aus einem Fenster sah ich verschneite, in der aufgehenden Sonne liegende Häuser an mir vorbeiziehen. Zischend wie eine Schlange zog das Gefährt, in dem ich saß, über die Schienen, dann tauchte es ab in den Untergrund und schlängelte sich durch einen dunklen Tunnel. Also mal wieder ein Zug. Allerdings war dieser im Gegensatz zu dem Zug in meinem Wildwest-Abenteuer recht modern. Ich war wohl nicht in der Vergangenheit gelandet, aber auch nicht in der Zukunft. Was bleibt da noch übrig? Was sagte die Frauenstimme eben? »Nächster Halt: Gänsemarkt!« Dabei fällt mir nur Hamburg ein. Na, sehr weit ins Ausland hat es mich dann nicht verschlagen. Ich habe wohl nur die Billigreise in die nächstgrößere Stadt gewonnen. Nichts mit Karibik oder dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

      Neonröhren tauchten den Waggon in ein grelles Licht. Mein Kopf fühlte sich schwummerig an von der kleinen Zecheskapade, die ich vor Reiseantritt zelebriert hatte. Das Fazit lautete also: Experiment geglückt, Proband besoffen … Nein, so nun auch wieder nicht! Ich hatte genau die richtige Menge Lütt un Lütt intus. Ich war nicht betrunken, aber auch nicht nüchtern – hicks! Autofahren dürfte ich bestimmt nicht mehr, aber wozu auch, ich fuhr ja mit der Bahn.

      Doch kommen wir zurück zum Eigentlichen: Angenehmerweise befand ich mich nicht in einer unbequemen, dahinrasenden Kutsche, nicht in einem antiken Zug und schon gar nicht in einer Sklavengaleere, die mit einem Peitschenschwinger bestückt war, der mich durch einen heftigen Hieb in die Welt der Festung brachte.

      Nein, ich saß in einer U-Bahn, wir fuhren durch eine Röhre und kamen nur selten ans Tageslicht. Während ich nun meinem mir noch unbekannten Ziel entgegenratterte, nahm ich die Leute in dem Waggon etwas genauer unter die Lupe.

      In dieser Saison schienen für die jungen Herren der Schöpfung geföhnte, gern auch gegelte, hochstehende, mit schwarzen und blonden Strähnen versehene Frisuren angesagt zu sein. Auf einigen weniger gestylten Häuptern entdeckte man bunte, aber auch schlichte Wintermützen, vereinzelte Exemplare waren gestrickt und mit einem Bommel versehen. Die Herren trugen enge Röhrenjeans, Lederjacke mit Stehkragen, wahlweise auch Mantel und Winterjacke. Das Schuhwerk war dem Outfit angepasst: Cowboystiefel, Winterstiefel, auch Turnschuhe wurden vereinzelt getragen. Zwei Anzugträger mit langen Kaschmirmänteln waren ebenfalls an Bord.

      Die meisten Mädels trugen ihre langen Haare offen. Vier Frauenköpfe waren durch Dauerwellen aufgeplustert. Einige bunte Leggins schauten unter den Winterjacken hervor, aber auch Jeans und zwei Röcke, alle Damenfüße steckten in Winterstiefeln. Dieser modische Look, der mir in die Augen sprang, kam mir total bekannt vor. Ich hatte ihn schon einmal gesehen. Und nicht nur das − ich hatte ihn auch selbst mit stolzgeschwellter Brust und aus tiefster Überzeugung getragen.

      Doch nicht zu diesem Zeitpunkt, denn ich selber trug eine schlichte Winterjacke, Schal, Mütze und Handschuhe – Mann, war mir warm.

      Als ich nach einigen Minuten alles um mich herum inspiziert hatte, tauchte die Neonbeleuchtung einer U-Bahn-Station auf. Erst jetzt bemerkte ich den Reisekoffer zwischen meinen Füßen. Die Lautsprecher knisterten erneut und die Blechstimme verkündete: »Gänsemarkt!«

      Wir wurden langsamer, dann kam der Waggon mit einem Ruck zum Stehen. Die Reisenden, die sich bereits erhoben hatten, bemühten sich, das Gleichgewicht zu halten. Die U-Bahn stand und ich saß. Sollte ich aussteigen? Weiterfahren? Ich musste mich schnell entscheiden. Die Leute öffneten die Türen und verließen in Windeseile das Abteil, genauso schnell stiegen neue Fahrgäste ein. Als sich die Türen schon wieder zu schließen begannen, sprang ich mit einem Satz auf, griff instinktiv nach dem Gepäckstück zwischen meinen Beinen und hechtete hinaus.

      Da stand ich nun auf dem Bahnsteig, die U-Bahn hinter meinem Rücken setzte sich in Bewegung. Na, wenn das hier man richtig ist. Ich entschied, der Menge zu folgen, die vermutlich zum Ausgang strömte. Nach wenigen Metern teilte sich der Menschenstrom; es gab also mehr als einen Ausgang. Ich ließ mich von der Menge, die Richtung Dammtorstraße und Staatsoper strömte, mitnehmen. Wir durchschritten einen Gang, dessen weiß gekachelte Wände Graffiti und andere Schmierereien schmückten. Einige Kunstwerke waren mit Veranstaltungsplakaten übertapeziert. Ich blieb stehen und betrachtete die Plakate genauer. Sie verkündeten, dass David Bowie am 26.06.1982 im Hamburger Volksparkstadion auftreten würde. Ich bin also wirklich in Hamburg, und zwar nicht wie bisher üblich in einer weit zurückliegenden Zeit, sondern im Jahr 1982! Ich starrte auf den Aushang und bekam kaum mit, wie die Menschenmassen an mir vorbeihasteten und mich dabei rücksichtslos anrempelten. Schließlich ließ ich mich erneut im Strom der Menge mitreißen. Es ging eine Treppe hinauf.

      Also 1982 − der modische Trend meiner Mit-U-Bahnfahrer hatte mich ja schon vorgewarnt. Also, Leute! Habt ihr Bock auf die Achtziger? Dann folgt mit mir dem Sog der Menge. Macht euch, meine lieben Zuhörer, einmal mehr bereit, mich auf meiner abenteuerlichen Reise zu begleiten. Macht es euch gemütlich, stellt das Telefon auf lautlos und das Handy aus, legt die Beine hoch, schaltet ein behagliches Licht an und seid gespannt auf das, was auf uns lauern wird, wenn wir gemeinsam hinab in den Keller steigen, wo das Grauen sicher schon auf uns wartet.

      ***

      Je höher wir die Treppe hinaufstiegen, desto schärfer wehte mir ein eisiger Wind ins Gesicht. Klasse, dass ich Mütze, Schal und Handschuhe bekommen habe! Danke, großer Unbekannter. Als ich die obersten Stufen erreichte, ertönten die verschiedensten Autohupen und allmählich wurde der Menschenstrom, der sich aus der U-Bahn-Station nach oben in den grauschummrigen Morgen hinaufarbeitete, langsamer. Grün-weiße Polizeiautos parkten mit Blaulicht zwischen den Schneebergen. Ein Martinshorn heulte auf, und der dazugehörige Krankenwagen mit hektischem Blaulicht tauchte hinter einem Häuserblock auf.

      Abrupt blieben die Leute vor mir stehen. Unten waren alle noch so in Eile gewesen, als sei der Leibhaftige hinter ihnen her, und hier oben … Stillstand. Nun schienen sie alle Zeit der Welt zu haben. Die Menschentraube wurde immer größer. Wir reckten die Hälse und versuchten, über die Leute vor uns hinwegzuspähen.

      Da ich trotz meiner wackeligen Versuche, auf Zehenspitzen zu stehen, nichts erkennen konnte,