Группа авторов

Nick Francis 4


Скачать книгу

fiel es mir schwer, einfach nur zuzugucken, so gewohnt war ich es, mit der Maus im Spiel rumzuklicken. Doch ein Handeln meinerseits war nicht mehr erforderlich. Eine neue, eigenständige Welt war entstanden.

      Warum langweile ich euch mit diesem Kram? Seht ihr vielleicht, was ich sehe? Wobei diejenigen unter euch, die diese Spiele kennen, vielleicht eher auf das kommen, was ich meine. Denn als ich dem laufenden Spiel zusah, kam mir plötzlich ein Gedanke, der mit meinem Leben in dem Torbuch zu tun hatte. Dieser Einfall dürfte für uns alle ziemlich interessant sein, deshalb behalte ich ihn für mich.

      ***

      Nein, natürlich nicht. Selbstverständlich teile ich meine Gedanken wie immer mit euch, aber damit ich sie nicht zweimal erzählen muss, nehme ich euch mit zum Telefon, denn Willi möchte ich auch davon berichten. Wo ist denn jetzt seine Nummer? Natürlich im Telefon gespeichert. So, Achtung, es klingelt.

      »Funke!«

      »Hallo Willi, wie geht’s? Gerade in ein spannendes Buch vertieft, oder hast du ein wenig Zeit, mit mir zu telefonieren?«

      »Klar lese ich, aber mit dir zu telefonieren kann genauso inspirierend sein.«

      »Dann mach dich mal auf was gefasst. Ich hab da nämlich so eine Idee zu dem Torbuch …« weiter kam ich nicht, denn Willi fragte ziemlich aufgeregt:

      »Was für eine Idee? Hast du das Geheimnis des Torbuches etwa ohne mich gelöst?«

      »Nein, es ist nur eine Idee. Wie könnte ich das Geheimnis ohne dich lösen?! Also, hör zu: Ich habe dir doch vor einiger Zeit von meinem Computer-Strategiespiel erzählt.«

      »Nicht nur erzählt, du hast mir mal einen ganzen Nachmittag gezeigt, was du so in manchen Nächten treibst, aber deine Begeisterung konnte ich auch nach zwei Stunden nicht einmal ansatzweise teilen. Ganz im Gegenteil, die reinste Zeitverschwendung! Du erinnerst dich?«

      »Ja. Danach habe ich auch nicht mehr davon gesprochen. Aber du kannst dich sicher noch in etwa erinnern, wie das Spiel ablief.«

      »Natürlich kann ich mich erinnern«, prustete er empört, »ich bin doch kein seniler alter Knacker. Soweit ich weiß, musstest du eine virtuelle Welt aufbauen, die unserer Welt im Mittelalter sehr ähnlich war.

      »Ja, und um ganz genau zu sein: unserer Welt im Jahr 1503. Genau das Spiel habe ich wieder zum Leben erweckt. Dabei ist mir etwas aufgefallen.«

      »Dass du eine Menge Zeit vergeudet hast?«

      »Sehr witzig! Aber nein, ganz im Gegenteil. Also, hör zu, du weißt doch, dass alle Figuren in dem Spiel spezielle Aufgaben haben: Der Förster hackt Holz, der Jäger erlegt Wild im Wald und sorgt so für Fleisch, der Fischer, der Farmer, der Schmied, der Schafhirte und die Angestellten in der Weberei …«

      »Ich kann mich sehr gut daran erinnern! Du brauchst mir nicht jeden Berufsstand aufzuzählen. Komm lieber zum Wesentlichen.«

      »Ist ja gut. Also was ist, wenn man diesen Kameraden nicht nur ihre Aufgabe einprogrammiert hat, sondern auch … ich meine, so etwas wie ein Ich-Bewusstsein und Gefühle, eben all das, was einen Menschen ausmacht. Ich weiß zwar nicht, wie so was möglich wäre, aber jetzt mal rein theoretisch gesprochen.«

      »Und was ist dann?«

      »Merkst du denn nicht, worauf ich hinauswill?«

      »Du meinst, dass es sich dann um eine Parallelwelt handeln würde, in der die Individuen denken, dass sie leben, und von unserer Existenz nichts wissen? Sie meinen, alles was sie tun, machen sie aus sich selbst heraus, hmm … eine interessante Überlegung, auch wenn es sich nach sehr überschäumender Fantasie anhört, doch zum Glück für dich bin ich ja ein großer Fan von überschäumender Fantasie. Und du denkst also, dass in dem Torbuch solche Welten stecken, und du jedes Mal irgendwie in einer von ihnen landest.«

      »Stimmt genau, der Kandidat hat die volle Punktzahl erreicht. Einen Preis gibt es dafür aber nicht.«

      Willi schwieg und ich wusste im Moment auch nichts hinzuzufügen. Dann meinte mein Gesprächspartner:

      »Also, was du sagst, erinnert mich jetzt auch an etwas. Ich habe schon mal einen Roman gelesen, in dem es um ein Computerprogramm ging, das menschliches Leben simulierte, indem die Leute dachten, dass sie wirklich lebten, dabei waren es nur programmierte Schaltkreise in einem Mikrochip oder so. Ich glaube, das Buch ist aus den Sechzigern und wurde in den Siebzigern verfilmt ... ach Mensch, wie war das doch gleich? Wie kann es sein, dass ich es vergessen habe?«

      Ich merkte, dass Willi vollkommen abwesend war, denn nichts wurmt ihn mehr, als sich an ein Buch zu erinnern und nicht mehr genau zu wissen, was darin passierte und wie der Titel lautete. Ich versuchte noch, mit ihm über meine Entdeckung zu sprechen, aber er war nur noch mit dem Buch aus den Sechzigern beschäftigt. Darum verabschiedete ich mich und Willi entgegnete abwesend:

      »Tschüss, Nick, und gute Nacht.«

      »Nacht, Willi.«

      Der Arme, er wird sicher die ganze Nacht nicht zur Ruhe kommen, bis er endlich weiß, um welches Buch es sich handelt. Ich konnte ihm leider nicht helfen, denn bei mir klingelte nichts. Wisst ihr vielleicht, von welchem Roman er sprach?

      ***

      Kaum zu glauben, aber Willi schaffte es doch tatsächlich in der ganzen Woche nicht, darauf zu kommen, welches Buch er meinte. »Ich war so beschäftigt«, entschuldigte er sich. »Doris hat mich auf Trab gehalten und auch sonst kam immer was dazwischen. Zudem habe ich mich von Professor Hinrichsen mal wieder zu einer Vorlesung an der Uni überreden lassen, ich musste mich also vorbereiten. Dann war da noch der monatliche Lesezirkel« − den leitete Willi. Da muss ich mich wohl auch mal wieder blicken lassen. – »Und zu guter Letzt noch der Theaterbesuch.« Seinen ehelichen Pflichten nachgehen, sagte er zu dem Schauspielhaus-Abonnement, das sie schon seit Jahren hatten.

      Am Samstagnachmittag wählte ich wieder Willis Nummer. Solange ich noch die Möglichkeit habe zu telefonieren, sollte ich sie nutzen.

      »Funke!«

      »Hallo Willi, hier Nick.«

      »Na, dich wollte ich auch gerade anrufen. Stell dir vor, ich habe heute herausgefunden, welchen Roman ich meinte, und ich glaube sogar, dass wir noch ein Exemplar im Laden haben. Ich würde gerne morgen zu dir kommen und danach suchen. Heute kann ich leider nicht. Karl-Heinz, einer der ehemaligen Kanzleipartner von Doris, feiert seinen Geburtstag, und wir müssen gleich los zu dieser Party, wo alle diese Wichtigtuer rumrennen und mich mit trockener Geschäftsmaterie vollquatschen werden.« Na, das klingt ja nicht gerade begeistert.

      »Gerne, komm morgen vorbei, dann kann ich dir auch erzählen, wie es mir in Der Keller ergangen ist.«

      »Im Keller? Was meinst du? Ist etwa wieder Wasser eingedrungen? Ich hatte doch alles sanieren lassen!«

      Bevor sich mein Vermieter weiter unnötig aufregte, beruhigte ich ihn:

      »Hallo?! Ich wollte nachher los in die Geschichte Der Keller, du erinnerst dich? Dieses große, in Leder eingebundene Buch, das uns schon seit einiger Zeit beschäftigt?«

      »Ach, das war heute. So schnell willst du wieder los? … Finde ich gut, umso eher erfahren wir vielleicht, was es mit der ganzen Sache auf sich hat.«

      »Das hoffe ich auch.«

      »Schön, also viel Glück, ich komme morgen so gegen Mittag zu dir, ist dir das recht?«

      »Ist es!«

      Dann hörte ich im Hintergrund die Stimme von Doris:

      »Willi, komm schon, wir wollen los!«

      »Tut mir leid Nick, aber ich muss Schluss machen.«

      »Dann will ich dich nicht aufhalten, viel Spaß auf der Party und bis morgen dann!«

      »Danke, ich werde mir Mühe geben mit dem Spaß, du weißt doch, wie ich solche Veranstaltungen liebe«, erwiderte er mit einem ironischen Unterton, den ich nur allzu gut dekodieren konnte.