Roland Lange

Harzhunde


Скачать книгу

ja ...“, setzte sie an und zwinkerte ihm verschwörerisch zu, „mir ist egal, ob Sie Pressemann sind oder nicht. Aber neugierig, das sind Sie auf jeden Fall. Haben Sie selbst gesagt. Und Sie sind von sich aus in die Praxis gekommen. Mit Ihrem Märchen von wegen Freund und so. Sie suchen Karsten und wollen wissen, was los ist. Sie hätten genauso zur Polizei gehen können. Haben Sie aber nicht getan. Keine Ahnung, was Sie für Gründe haben, ihn zu suchen. Wollen Sie ihm was Böses?“ Sie betrachtete ihn einen Augenblick, schüttelte dann den Kopf. „Ach was, ich denke nicht. Ich mache mir jedenfalls Sorgen um Karsten. Sie ja vielleicht auch. Wenn ich Ihnen mit meinen Informationen geholfen habe, ihn zu finden, nutzt das uns beiden.“

      Blume starrte nachdenklich vor sich hin. Sorgte sich Mareike Jahn um ihren Chef und Ex-Liebhaber so sehr, dass sie lieber einen Fremden um Hilfe bat, anstatt der Polizei zu vertrauen? Nein, so groß war ihre Not nicht! Er vermutete, dass sie sich nur mit ihm getroffen hatte, um sich wichtig zu machen. Um nicht im Schatten des Praxisdrachens zu verkümmern. Sie hatte die Gelegenheit beim Schopf gepackt, die sich ihr mit seinem Auftauchen in der Praxis geboten hatte. Spätestens jetzt war er froh, sich mit falschem Namen vorgestellt zu haben. Diese Mareike Jahn suchte Aufmerksamkeit. Und sie war geschwätzig – zu geschwätzig. Sie würde nicht zögern, jemandem von ihrem Gespräch mit ihm zu erzählen, sobald sich die Gelegenheit bot. Da war es besser, es gab keine verwertbare Spur, die zu ihm führte.

      Er blickte auf, sah ihr direkt in die Augen. „Wissen Sie, dass Dr. Dreyling eine Beziehung mit Sandra Kullmann hat?“, fragte er.

      Sie winkte ab. „Aber sicher! Das ist kein Geheimnis. Alle in der Praxis wissen das. Geht ja schon eine Weile. Es gab deswegen schon richtig Stress zwischen ihm und seinen beiden Kolleginnen. Von wegen Beziehung mit ’ner Patientin und so. Fand ich voll daneben. Bei all seinen anderen Abenteuern haben sie auch nie was gesagt.“

      Sie tat so cool, so abgeklärt. Ein bisschen zu dick aufgetragen, fand Blume.

      „Und was, wenn ich Ihnen außerdem sage, dass Dr. Dreyling mit Sandra Kullmann gemeinsam untergetaucht ist, weil er mit ihr ein neues Leben beginnen will? Weit weg, wo niemand die beiden findet?“

      Mareike Jahn lachte auf. „Karsten? Mit einer seiner Tussen durchbrennen? Gemeinsames Leben? Das ist doch ein Witz! Das würde er nie tun. Für eine Frau sein Leben hier aufgeben. Er hängt an seiner Praxis und dem allen!“ Sie schüttelte vehement den Kopf.

      „Dem allen? Was ist das?“, fragte Blume. Sie meinte wohl in erster Linie sich selbst, vermutete er.

      „Na, die Stadt, die Kultur, seine Bekannten ... Darauf würde er nicht verzichten. Nie!“ Das behauptete sie im Brustton der Überzeugung. „Sie sind tatsächlich kein Freund von Karsten. Sie kennen ihn nicht ein bisschen! Sonst würden Sie das nicht mal im Traum für möglich halten. Wie kommen Sie überhaupt auf so eine ... eine bescheuerte Idee? Neues Leben beginnen?“

      „Frau Kullmann hat es ihrem Mann gebeichtet. Der ist genau im Bilde, warum sie ihn verlassen hat.“

      Mareike Jahn starrte ihn an. Mit offenem Mund. Fassungslos. Suchte nach Worten. „Das ... das ist nicht Ihr Ernst“, stammelte sie. „Karsten haut nicht einfach mit der ab. Er hätte mir ... uns das nie angetan. Das ... das kann er nicht machen.“ Sie stand von ihrem Stuhl auf. Ihre Bewegungen wirkten fahrig. Der Schreck war ihr in die Knochen gefahren. „Ich gehe dann mal wieder“, sagte sie tonlos.

      „Entschuldigung, würden Sie mir Ihre Telefonnummer geben?“, hielt Blume sie zurück. „Falls ich noch Fragen habe.“

      Sie nickte geistesabwesend und diktierte ihm die Nummer in sein Smartphone. Dann drehte sie sich um und verließ überstürzt den Imbiss. Ihr Abgang hatte etwas von Flucht an sich.

      Blume sah ihr grübelnd hinterher. Seine Gedanken hingen an einer ihrer Äußerungen fest. Dreylings Motorrad war verschwunden, aber sein Auto stand unter dem Carport? Wie konnte das sein? Wenn der Mann mit seiner Geliebten hatte untertauchen wollen, wäre er dann nicht mit seinem Wagen gefahren? Diesem protzigen Audi Q7, aus dem er ihn und Sandra Kullmann bei seiner Observation einige Male hatte aussteigen sehen? Unter dem Carport, der zu seiner Penthouse-Wohnung gehörte? Mit dem er zur Hütte im Wald gefahren war, nachdem er seine Geliebte auf einem abgelegenen Parkplatz abgeholt hatte? Und wenn die beiden für ihr Verschwinden Sandra Kullmanns kleinen Mazda MX-5 Roadster benutzt hätten, wäre Dreyling etwa mit seinem Motorrad zu einem geheimen Treffpunkt gefahren, um dann mit ihr gemeinsam die Reise fortzusetzen?

      Blume konnte sich nicht vorstellen, dass sie nur mit kleinem Handgepäck gereist waren. Oder gar nichts mitgenommen hatten. Und sei es nur zum nächsten Flughafen. Eine Hals-über-Kopf-Flucht? Nein, das konnte nicht sein. Ihr Abgang wies planerische Züge auf. Allein schon der Zeitpunkt, an dem Sandra Kullmann ihren Ehemann eingeweiht hatte. Dass sie überhaupt noch einmal Kontakt zu ihm aufgenommen hatte! Aber Dreylings Verhalten! Wie passte das? Gehörte sein stillschweigendes Verschwinden zum Plan? Gab es einen Grund, bewusst eine Suchaktion heraufzubeschwören?

      Blume brauchte Gewissheit! Zunächst einmal darüber, ob Mareike Jahns Geschichte von dem fehlenden Motorrad stimmte. Er würde auf der Rückfahrt einen Abstecher zu Dreylings Penthouse machen.

      8. Kapitel

      Die Praxisangestellte hatte nicht gelogen. Dreylings Audi stand unter dem Carport. Von einem Motorrad keine Spur. Blume hatte am Hauseingang geläutet. Nur um sich zu vergewissern, dass sich niemand in der Wohnung aufhielt. Die Gegensprechanlage war stumm geblieben, und er hatte seinen Heimweg fortgesetzt. Klüger war er durch diesen Kurzbesuch nicht geworden. Unterwegs ein Anruf. Von Katja. Er möge doch bitte bei Maria Hübner vorbeifahren. Die wolle ihn dringend sprechen. Es gehe um einen Auftrag. Ein Schafzüchter mache ihr zu schaffen.

      Wenn Maria Hübner sagte, es sei dringend, dann war das nicht übertrieben. Nur wenige Tage, nachdem Blume bei Katja ins Geschäft eingestiegen war, hatte er die Wolfsexpertin kennengelernt. Sie war Stammgast im Ponytale Saloon. Eine sympathische, umgängliche Frau. Klein und kräftig, mit einem Gesicht, das keine Schminke benötigte. Dazu die kurzen, immer etwas struwweligen Haare – der attraktive Freiluft-Typ.

      Blume hatte sich schnell mit ihr angefreundet. An manchen Abenden hatten sie zusammengesessen, über Gott, die Welt und Wölfe geredet und dabei die Zeit vergessen. Schon lange war er nicht mehr ein derart enges Freundschaftsverhältnis mit jemandem eingegangen. Genau genommen war es das erste Mal gewesen. Von Katja einmal abgesehen. Aber das war eine andere Geschichte. Maria war vor allem eine ehrliche Haut. Die wichtigste Voraussetzung für ihn, sich einem Menschen zu öffnen und ihm Vertrauen zu schenken. Eine Konkurrenz für Katja war sie nicht! Nur eine gemeinsame Freundin.

      Als Blume den kleinen Bauernhof erreichte, hatte sich der Himmel komplett zugezogen, und erste Tropfen fielen auf die Windschutzscheibe seines Toyotas. Wenige Meter weiter, bei der Fahrt durch das Tor und über den Hof, schüttete es schon wie aus Kübeln. Von der Sonnenwärme des Vormittags war nichts übrig geblieben. Der angekündigte Wetterumschwung hatte in der letzten halben Stunde mit Macht eingesetzt, und mit dem Regen übernahm der Herbst endgültig die Regie. Maria stand mit vor der Brust verschränkten Armen in der Haustür. Es schien, als habe sie dort auf ihn gewartet.

      „Schön, dass du so schnell kommen konntest“, rief sie ihm entgegen. Blume war ausgestiegen und überbrückte im Laufschritt die wenigen Meter zur Tür.

      „Katja hat mich informiert. Ich war auf dem Rückweg von Nordhausen und dachte mir, ich schaue sofort bei dir vorbei. Sie sagte, du hast es dringend gemacht.“

      „Na ja, ich meinte eher, sobald du Zeit hast“, relativierte Maria.

      „Jetzt habe ich Zeit“, sagte Blume. „Wenn es dir recht ist?“

      „Aber klar! Komm erst mal rein. Musst dich ja nicht nassregnen lassen. Willst du ’nen Kaffee?“

      „Oh ja. Den kann ich gebrauchen.“ Blume schüttelte sich und trat an ihr vorbei ins Haus.

      „Du glaubst, dieser Thiele ist der Urheber der Briefe und er hat dir die beiden Reifen zerstochen?“

      „Und vorletzte Nacht hat er mein Gemüsebeet verwüstet“, ergänzte Maria.