Roland Lange

Harzhunde


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bestellt hatte. Er sah auf seine Armbanduhr. Etwa eine Stunde blieb ihm, bis sie eintraf. Unschlüssig schaute er sich um. Es gab nichts in unmittelbarer Nähe, das einen kurzen Besuch gelohnt hätte. Daher steuerte er auf die Tür des Imbisses zu und trat ein. Er fand einen freien Tisch direkt am Schaufenster. Einige Augenblicke beobachtete er das Paar am Nachbartisch. Ordentliche Portionen, die da auf ihren Tellern lagen. Die Hamburger sahen appetitlich aus, hielten aber auf den ersten Blick keinem Vergleich mit den Burgern stand, die Katja in ihrem Saloon servierte. Egal, es war Mittagszeit, er hatte Hunger, und etwas Besseres würde er in der Zeit bis zu seinem Rendezvous nicht finden. Die Bedienung trat an seinen Tisch, er bestellte einen Großburger mit Pommes frites und Cola.

      Die Praxisangestellte war pünktlich. Ohne sich lange umzusehen, kam sie auf seinen Tisch zu und setzte sich ihm gegenüber. Ihr Gesicht war gerötet, was sicher nicht daran lag, dass sie sich auf dem Weg hierher übermäßig angestrengt hatte. Vielmehr schien sie vor Aufregung und Mitteilungsdrang zu platzen!

      „Sie wollen wissen, was mit Karsten ... Dr. Dreyling passiert ist?“, kam sie sofort zur Sache.

      „Ja. Das würde ich tatsächlich gern“, antwortete Blume. „Ihre Kollegin war nicht sehr auskunftsfreudig.“

      „Hach! Unser Praxisdrachen! Wenn die wüsste, dass ich mich hier mit Ihnen treffe, hätte ich heute noch meine Kündigung auf dem Tisch.“

      „Ist sie so schlimm?“

      „Sie ist schrecklich! Und Sie? Sie sind doch nicht der Freund von Karsten ... von Dr. Dreyling. Sie sind von der Presse, oder?“

      „Wieso glauben Sie, dass ich nicht sein Freund bin?“

      „Ich ... na ja, dann hätte er mit mir, also mit uns, ganz sicher mal über Sie gesprochen. Einen Richard Parschau hat er aber nie erwähnt.“

      „Hätte er das? Ihnen von mir erzählt? Sie haben ein derart persönliches Verhältnis in Ihrer Praxis?“

      „Nein, das nicht. Aber man unterhält sich ja ab und zu mal über Privates“, versuchte sie, zu erklären. „Also ... was ist jetzt? Sind Sie von der Presse oder nicht?“

      Blume zuckte mit der Schulter. „Na ja, ich bin zumindest genauso neugierig.“ Er beugte sich zu ihr hinüber. „Und Sie? Sie haben mir noch nicht mal Ihren Namen gesagt.“

      „Oh, ’tschuldigung. Ich heiße Mareike Jahn.“

      „Schön, Frau Jahn. Dann erzählen Sie mal. Was wollten Sie loswerden? Es geht um Dr. Dreyling und diese Vermisstenanzeige, stimmt’s?“

      Sie nickte eifrig. „Die Anzeige haben Frau Thunert und Frau Bach aufgegeben. Das sind die beiden Psychologinnen, mit denen Karsten ... Herr Dreyling die Praxis führt. Es ist ja seine Praxis, und Frau Thunert und Frau Bach sind bei ihm angestellt. Aber das ist jetzt egal.“

      „Es war kein Angehöriger?“, vergewisserte sich Blume.

      „Nein. Er hat ja keine Verwandten. Jedenfalls keine, mit denen er ständig Kontakt hat.“

      „Eigene Familie? Frau und Kinder?“ Blume hätte nicht fragen müssen. Er kannte Dreylings familiäre Situation. Er wollte es dennoch von der Angestellten hören. Vielleicht gab es etwas, das er im Zuge seiner Recherche übersehen hatte.

      „Nein, hat er nicht. Nur seine Eltern und einen Bruder. Aber die leben nicht hier, und er hört kaum von ihnen. Jedenfalls, als er vor einer Woche nicht in der Praxis erschienen ist, haben wir uns schon sehr gewundert. Er ist weggeblieben, einfach so. Hat sich nicht gemeldet und uns gesagt, was los ist. Er hätte ja krank sein können oder durch etwas anderes verhindert. So ein Verhalten kennen wir gar nicht von ihm. Wir haben dann bei ihm angerufen. Ohne Erfolg. Zwei Tage später gab es noch immer kein Lebenszeichen. Da bin ich zu ihm nach Hause gefahren, um nachzusehen. Er hat ja in seinem Behandlungszimmer einen Ersatzschlüssel für die Wohnung liegen.“

      „Ersatzschlüssel?“, wunderte sich Blume. „Wieso das?“

      Mareike Jahn lächelte verlegen. „Ach, wissen Sie, Karsten ... Herr Dreyling ...“

      „Bleiben Sie ruhig bei Karsten“, unterbrach Blume sie. „Dann müssen Sie sich nicht ständig korrigieren.“

      „Ja. Also, Karsten ist manchmal etwas schusselig. Verlegt gern mal seine Sachen. Außerdem hat er ... er ist ...“ Sie druckste herum. Die richtigen Worte kamen ihr nicht so leicht über die Lippen. „Na ja, Karsten hat es nicht so mit der Treue. Er hatte eben öfter mal eine neue Partnerin, die dann meist einen Haustürschlüssel von ihm bekommen hat. Er war da immer ziemlich schnell bei der Sache, auch wenn es nur etwas mehr als ein One-Night-Stand war. Wenn er die Beziehungen wieder beendet hatte, war manchmal nicht nur die Frau, sondern auch der Schlüssel weg. In Liebesdingen war Karsten echt chaotisch, das kann ich Ihnen sagen! Und bevor er dann vor seiner Wohnungstür stand und nicht reinkam ...“

      „Verstehe. Und das hat sich geändert?“

      „Hm ... er ist zuletzt etwas ruhiger geworden, denke ich.“

      „Ich nehme an, Sie sprechen aus eigener Erfahrung“, setzte Blume einen gezielten Stich. „Sie waren mit ihm liiert, habe ich recht? Deshalb nennen Sie ihn beim Vornamen. Es ist nicht so, dass Sie in der Praxis einen lockeren Umgangston pflegen.“

      Mareike Jahn lief rot an. Volltreffer, stellte er genüsslich fest.

      „Ja, ich war mit Karsten zusammen“, stammelte sie, um sofort zu versichern: „Aber das ist eine ganze Weile her! Ich bin längst drüber weg. Glauben Sie bloß nicht, dass ich eifersüchtig bin und nur hier sitze, um ihn schlechtzumachen.“

      „Keine Bange, das glaube ich nicht“, beruhigte Blume sie. „Was ist mit dem Schlüssel zu seiner Wohnung? Haben Sie Ihr Exemplar etwa noch?“

      „Nein! Den hat er zurückbekommen! Ich habe den Ersatzschlüssel aus seinem Behandlungszimmer genommen. Das wissen alle in der Praxis.“

      „Und? Ist Ihnen bei Dr. Dreyling zu Hause etwas aufgefallen? War etwas merkwürdig? Anders als sonst? Ich nehme an, Sie kennen seine Wohnverhältnisse aus Ihrer gemeinsamen Zeit.“

      Sie überlegte kurz. Dann schüttelte sie den Kopf. „Nein. Alles war wie immer bei ihm, wenn er die Wohnung morgens verlässt. Aufgeräumt. Sauber. In der Küche, ja, da lag das dreckige Besteck vom Frühstück herum. Seine Tasse, der Teller und die Müslischale. Völlig normal. Eigentlich. Er räumt jeden Abend vor dem Schlafengehen alles, was er tagsüber benutzt hat, in den Spüler und stellt ihn an. Nimmt es morgens wieder raus. Aber als ich in der Wohnung war, lag das Geschirr da schon länger. Nicht erst einen Tag. Die Essensreste am Teller und in der Schale waren angetrocknet.“

      „Und im Bad? Sein Rasierzeug, Zahnbürste, Deo, Shampoo, alles da?“, hakte Blume nach. „In seinem Kleiderschrank, fehlte da was?“

      „So genau habe ich nicht hingesehen, aber ...“ Sie spielte ein paar Sekunden mit ihren Haaren, wickelte eine Strähne um ihren Finger, überlegte. „Ich glaube, da fehlte nichts.“

      „Es sah also nicht so aus, dass er verreist war.“

      Mareike Jahn lachte auf. „Nein! Ganz bestimmt nicht! Sein Auto stand ja noch unter dem Carport. Nur sein Motorrad war weg. Wenn er hätte verreisen wollen, hätte er das Auto genommen. Das Bike, das ist mehr so ein Angeberding. Der leidenschaftliche Motorradfahrer ist er nicht.“

      „Und nachdem Sie aus seiner Wohnung zurück waren, haben Ihre Chefinnen die Polizei informiert?“

      „Ja. Wir wussten uns keinen anderen Rat. Das Ganze sah ihm so gar nicht ähnlich.“

      „Und warum sitzen Sie dann jetzt hier und erzählen mir das alles? Wenn sich schon die Polizei darum kümmert?“

      „Pah! Was tun die denn? Die halten schön die Füße still. Warten erst mal ab. Hoffen vermutlich, dass irgendjemand Karsten sieht und sich bei ihnen meldet. Oder dass er von allein wieder auftaucht.“

      „Der Polizei ist bekannt, dass er mit dem Motorrad unterwegs ist?“

      „Ja