Maike Rockel

Das Konzerthaus


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      „Einen schnellen Spumante kann ich aber wohl mit euch trinken. Wo sind denn Alexander und Denis?“

      „Alexander hat geschrieben, dass er wegen einer Besprechung im LKA später kommen würde.“ Sevinc schwieg für einen Moment und sprach mit leiser Stimme: „Vielleicht kommt er sogar gar nicht … Dabei habe ich mir doch so gewünscht, dass wir heute alle zusammen sind.“

      Es war nicht irgendein Geburtstag. Sie wurde fünfzig Jahre alt, und dieses Ereignis wollte sie mit ihren Kindern, Albert und vor allem mit ihrem neuen Freund im ganz kleinen Kreis feiern. Sie war sehr gespannt, wie ihre Kinder ihren Lebenspartner wohl aufnehmen würden.

      „Aber ich bin doch da, Mama!“, hörte Sevinc eine Stimme in ihrem Rücken. Sie drehte sich um und versank glücklich in den Armen ihres Sohnes Denis.

      Denis Berend war groß gewachsen und stämmig. Er hatte längeres, glänzendes Haar, welches jedoch an den Seiten sehr kurz rasiert war. Er trug einen Kinnbart und hatte eine Narbe, die den Schwung seiner Augenbraue durchbrach. Eine Tätowierung zierte seinen teilrasierten Schädel mit „OE“, eine Abkürzung für Osman Eternal. Sevinc küsste ihren Sohn und strich mit ihrem Finger über seine Kette. Die Hand der Fatima. All ihren Kindern hatte sie zum zehnten Geburtstag diese Kette geschenkt. Zwischen dem drängenden Bedürfnis nach Spiritualität und der lenkenden Kraft ihres Verstandes hin und her gerissen, glaubte sie trotz allem an die Energie der schützenden Hand vor dem Bösen.

      Gegenüber seiner Familie hatte Denis aus der Mitgliedschaft im Verein der OE, dem Konkurrenzclub der Thunder Devils, ebenfalls eine Rockergruppe, die sich im Rotlichtmilieu verdingte und einträgliche Geschäfte machte, kein Geheimnis gemacht. Zum Thema wurde es aber trotzdem nicht gemacht, damit kein Streit aufkam. Dennoch war Denis froh, seinem Bruder Alexander heute noch nicht begegnet zu sein. Die Brüder waren sich nicht „grün“, wie man so sagt. Denis setzte sich neben seine Schwester und seine Mutter an den runden Tisch und wirkte an dem sagenhaft hergerichteten Geburtstagstisch mit seiner plumpen Massigkeit fehl am Platze, so als säße er mit seiner Rockerkutte zwischen Ritter Sir Lancelot und Percival an der Tafelrunde.

      Abrupt begannen Sevincs Augen zu leuchten, als ein hochgewachsener Mann mit gepflegtem Äußeren und weißem, vollem Haar die Glastür öffnete. Er ging freudig auf Sevinc zu, die sich sofort erhob, kaum dass sie ihn erblickte. Den Arm um ihn legend, sprach sie mit feierlichem Unterton in der Stimme. „Endlich kann ich euch meine neue Liebe vorstellen. Matthias Schmitz.“

      Der Neuankömmling begrüßte alle mit Handschlag, stieß dabei beinahe ein gefülltes Sektglas vom Tisch und setzte sich verlegen auf einen der rot gepolsterten Stühle.

      Sevinc löste auf ihre natürliche, warmherzige Art schnell die Anspannung ihres Freundes, registrierte aber an Denis’ abweisender Körperhaltung, dass ihr Freund es mit Denis schwer haben würde. Julia hingegen schien Matthias zu mögen, und Sevinc freute sich, dass sie mit ihm angeregt plauderte.

      Bereits nach einer Stunde verabschiedete sich Albert von der inzwischen gelockerten und fröhlichen Runde. Als er sein Auto aufschloss, nahm er aus dem Augenwinkel einen südländisch aussehenden Mann wahr, der wütend das Restaurant betrat und sich dort suchend umschaute.

      Als er Sevinc entdeckt hatte, stampfte er über die hellen Pitchpine-Dielen des Lokals mit großen Schritten auf sie zu. Sie erkannte den Mann, es war Mesut Aslan, und ihr Gesicht verfinsterte sich.

      „Was willst du hier? Du darfst dich mir bis auf hundert Meter nicht nähern! Verschwinde!“

      Mesut gratulierte Sevinc ungerührt und übertrieben herzlich, als wäre er der letzte fehlende Gast gewesen, auf den alle gewartet hätten.

      Er baute sich vor ihr auf und flüsterte in einem unterdrückt aggressiven Tonfall: „Sevinc, du wirst nie glücklich werden ohne mich, deswegen werde ich immer da sein, wo du bist und dich nie vergessen lassen, dass man einen Aslan nicht so behandelt ...“

      Weiter kam er nicht, da packte Denis ihn am Kragen und zog ihn aus dem Lokal. Mit einem kräftigen Stoß brachte er Mesut zum Taumeln, der, über seine eigenen Füße stolpernd, endgültig das Gleichgewicht verlor.

      „Wenn du meine Mutter noch einmal nervst, polier‘ ich dir richtig die Fresse. Leg dich nicht mit mir an, du Wichser. Ey, ich fick dich und deine Mutter.“ Dabei warf er ruckartig seinen Kopf in den Nacken.

      Mesut Aslan rappelte sich auf und verschwand schnellen Schrittes in der ersten Seitenstraße, während Denis wieder zu seiner Familie zurückging. Lange blieb er jedoch nicht mehr, sondern erhob sich gegen dreiundzwanzig Uhr, klopfte kurz auf den Tisch und verabschiedete sich von der Runde. Seine Mutter nahm er in den Arm, drückte sie, hob sie einmal kurz hoch und setzte sie dann ab, wie er es immer beim Abschied tat.

      „Feier noch schön, Mama, ich habe noch einen wichtigen Termin, du weißt, die Geschäfte rufen.“ Er zwinkerte Sevinc zu und verließ das Lokal. Sevinc wusste nicht, welchen Geschäften er jetzt nachgehen wollte. Darüber machte sie sich keine Gedanken. Sie war stolz auf ihren Erstgeborenen und darauf, was er erreicht hatte. Mit einer Speditionsfirma hatte er sich selbstständig gemacht und führte sein kleines Unternehmen sehr erfolgreich. Immerhin konnte er sich ein teures Auto leisten und sich sein verrücktes Motorradhobby in seinem Männerclub finanzieren.

      Denis drückte den Knopf der Fernbedienung, vernahm ein zweifaches, kurzes, helles „Klack-Klack“ und entriegelte die Fahrerseite seines roten Mercedes Benz AMG Coupé mit gold lackierten 22-Zoll-Felgen. Er ließ sich in seine Ledersitze fallen und fuhr mit aufheulendem Motor auf die Reeperbahn, wo er eines seiner „Pferdchen“ treffen wollte.

      Lisa Fels schaffte neben anderen „Freundinnen“ für Denis an und war inzwischen bis unten an der Ecke der Davidstraße aufgerückt. Sie fror und sah aus, wie die meisten Prostituierten aussehen. Große Silikonbrüste, die die Haut zum Bersten brachten, falsche lange Nägel, aufgepumpte Lippen und bis zur Unkenntlichkeit geschminkt. Als sie Denis sah, glänzten ihre Augen.

      „Du, Schatz“, sagte er, und seine Stimme ließ erkennen, dass er ein Nein nicht akzeptieren würde. „Ich brauch dringend Kohle, wie viel hast du gerade da?“

      Enttäuscht kramte sie in ihrer Bauchtasche und übergab ein Bündel Scheine.

      „Sei nicht immer so wählerisch und mach‘, was die Kunden wollen. Du stehst ja in der Poleposition. Morgen will ich mehr Kohle sehen. Ich fahre nachher zu mir nach Hause, brauchst also nicht auf mich zu warten, Schatz.“

      Mit diesen Worten verließ er die Davidstraße und betrat angespannt den legendären Club „Ritze“, um sich in einem Hinterraum mit dem Mann zu treffen, der ihm – so seine Vermutung – wegen des geplatzten Kokaindeals eine Menge Ärger machen würde.

      Albaner-Klaus richtete sich auf und ging Denis mit großen Schritten entgegen, als dieser den kleinen, von Nebelschwaden durchzogenen Raum betrat. Er baute sich vor ihm auf.

      „Ich hab es schon gehört, Denis, aber es ist mir scheißegal, dass die Bullen das Kilo sichergestellt haben. Ich will meine Kohle, 35000 Euro schuldest du mir.“

      Ohne darauf einzugehen, schimpfte Denis über die einige Tage zurückliegende Polizeiaktion. „Irgendeiner von den Schweinen hat den Deal an die Bullen verpfiffen, wir waren so vorsichtig, Scheißdreck, wenn ich den Verräter erwische, ist der tot, ich schwör‘...“

      „Heute war deine letzte Chance zu bezahlen. Ich habe die Thunder Devils im Nacken, die wollen ihre Kohle.“

      „Ich scheiß auf die Wichser, sollen die doch kommen, wenn sie was wollen. Ich bin ein Osmane. Wir Osmanen haben keine Angst.“

      Dabei klopfte sich Denis mit seiner Faust auf das Osman-Abzeichen. Ein asiatisch anmutender, auf einer Harley Davidson sitzender Glatzkopf mit Sonnenbrille und einem nach hinten gerutschten Fes, dem orientalischen, kegelstumpfförmigen, roten Hut, der aussah wie ein umgedrehter, runder Blumentopf.

      Diese Geste wirkte eine Spur übertrieben, als wäre er ein Gladiator und wollte Cäsar vor dem Kampf huldigen. Die Todgeweihten grüßen dich.

      „Scheiße, Mann, die knallen