kann ich dafür, wenn die Bullen den Schnee klauen? Ich kann von Glück sagen, dass ich gerade nicht da war, als die Schmiere aufgeschlagen ist, sonst wäre ich jetzt auch im Knast. Mann, Scheiße, ich habe keine Kohle gekriegt, also kriegen die Pisser auch nix.“
Krachend fiel der Stuhl zu Boden, als Albaner-Klaus aufsprang und Denis am Kragen packte. Er schlug ihm mit der Faust direkt auf die Nase. Denis hörte es knacken. Der helle Schmerz schoss ihm durch die Schädeldecke und Tränen in die Augen. Er ekelte sich über den eisenhaltigen Geschmack seines Blutes, das ihm in den Mund rann. Mit der Außenfläche seiner Hand wischte er sich über die Mundwinkel.
Albaner-Klaus schrie ihn mit hochrotem Kopf an. „Ich werde ihnen sagen, wo sie dich finden, du wirst dich wundern, wie schnell sie dich am Arsch haben.“ Er stieß Denis zur Seite, rannte aus dem Raum, legte der verdutzten Kellnerin zwanzig Euro auf den Tresen und donnerte aus der Kneipe. Denis verließ ebenfalls das kleine Hinterzimmer, erbat sich bei der Frau an der Bar ein Taschentuch und reinigte sich notdürftig. Fluchend knallte er die Lokaltür zu, hetzte zu seinem in der Nähe abgestellten roten Benz und startete seinen Wagen.
Er hatte weder den auf dem Kiez in der Nähe seines Wagens abgestellten weißen Van noch die dunkel gekleideten Gestalten bemerkt, die ihn beobachtet hatten. Die Scheinwerfer des weißen Sharans leuchteten auf, und die beiden Männer nahmen die Verfolgung auf.
Denis verlangsamte das Tempo, als er knirschend in den kleinen, von großen Bäumen beidseitig gesäumten Feldweg einbog, der so schmal war, dass die kahlen, beschneiten Zweige von beiden Seiten des Weges wie ein Dach wirkten. Es schien, als würde man in einen von innen mit Bäumen bewachsenen, dunklen Tunnel fahren, für den kein Ausgang vorgesehen war. Denis schaltete das Abblendlicht an, um den Weg besser sehen zu können. Seine kleine Bauernkate war das letzte Haus im Dorf, und gelegentlich mochte er die Abgeschiedenheit. Er betrat sein Häuschen und suchte den Lichtschalter. Das war das Letzte, woran er sich erinnern konnte, bevor ein harter, schmerzhafter Schlag auf den Hinterkopf ihm das Bewusstsein nahm.
Kapitel 6
Spuren-Personen-Treffer
Früh am Morgen wickelte Nora der schwanzwedelnden Isa eine Leuchtweste um den Rumpf, schwang sich auf ihr Rennrad, an ihrem Kopf eine hell leuchtende Stirnlampe befestigt, und startete ihre morgendliche Radrunde entlang der Kollau durchs Niendorfer Gehege. Der Wind pustete eiskalt unter ihre Sportjacke, die sich zu einem Ballon aufblähte, und ließ sie frösteln. Um warm zu werden, trat sie die Pedale immer schneller und erkundete das dunkle Gehege mit den schwarzen, knorrigen Bäumen. Ihr Stirnlicht und der silberfarbene, hell leuchtende Mond wiesen ihr mit bizarren Schatten den Weg. Gelegentlich drehte sie sich zu Isa um. Mit beklemmenden Gefühlen im Bauch ließ sie die gestrigen Ereignisse Revue passieren. Vor allem dachte sie über die Begegnung mit ihrer Schwester nach. Sie und Lotta hatten in Hamburg viele Jahre nebeneinanderher gelebt, ohne von der jeweils anderen zu wissen. In dieser großen Weltstadt waren sie sich nicht ein einziges Mal begegnet. An Familientreffen nahm Lotta auch schon lange nicht mehr teil. Trotzdem hatte sich Nora mehr als einmal vorgestellt, wie die Begegnung zwischen ihnen verlaufen würde. Was sie tun müsste, um Lotta zurückzugewinnen. Aber sie hatte auch ihre Härte und Unnachgiebigkeit gefürchtet. Ungeachtet ihrer Bedenken hatte sie Lotta trotzdem gesucht. Über Facebook und über die Einwohnermeldedaten hatte sie schnell ausgemacht, wo sie wohnte. Schon einige Male hatte sie mit ihrem Fahrrad vor Lottas Wohnung gestanden und zum erleuchteten Fenster hochgeschaut. Sie hatte es auch einige Male geschafft, bis zur Haustür vorzudringen, den Impuls zu klingeln hatte sie jedoch immer unterdrückt. Wenn ihr Zeigefinger auf dem Klingelknopf geruht und sie sich mit einem klebrigen Kloß im Magen vorgestellt hatte, was sie ihr sagen könnte, hatte ihr stets der Mut gefehlt zu klingeln. Gestern war nun der Moment gekommen, wo sie sich Lotta hätte nähern können, stattdessen musste sie ihr die Todesnachricht ihrer Lebensgefährtin überbringen.
An ihrem Hosenbein rüttelte und brummte das Handy und holte sie aus ihren Gedanken.
„Ja.“
„Guten Tag, Doktor Manz von der Rechtsmedizin hier, spreche ich mit Frau Kardinal?“
„Ja, guten Morgen, Herr Doktor Manz.“
Nora wunderte sich, zu so früher Stunde schon die Obduktionsergebnisse erfahren zu können, und war beeindruckt von den schnellen Resultaten. Sie lauschte dem vorläufigen Bericht des Rechtsmediziners und konnte es kaum glauben. Beide Leichen waren mit einem mehr oder weniger aufgesetzten Kopfschuss hingerichtet worden. Das konnte die Spurensicherung über die Schmauchspuren feststellen. Überdies hatte man beim Auswickeln der weiblichen Toten an der innenliegenden Plastikverpackung eine Kontaktlinse gefunden.
„Die dürfte für eine DNA-Untersuchung von Interesse sein, aber das wissen Sie sicher selbst“, kommentierte Dr. Manz den Fund und beendete das Gespräch. Nachdem Nora das Handy wieder eingesteckt hatte, drehte sie suchend ihren Kopf und entdeckte Isa mit der blinkenden Weste. Diese hatte nach einem fest verwurzelten Ast geschnappt und zog nun verspielt immer wieder daran. Ihr Hintern bewegte sich durch das Zerren rhythmisch hin und her, jedoch gab sie nach einer Weile entmutigt ihr Vorhaben auf. Nora beobachtete Isa und musste leise lächeln.
Sie wählte die bereits eingespeicherte Nummer ihres Kollegen Alexander Berend und informierte ihn über die Neuigkeiten. Alexander entschied, mit unterschiedlichen Kräften sowohl die Wohnung des weiblichen Opfers als auch das Bordell zu durchsuchen, in dem sie gearbeitet hatte. Er instruierte Pieter Struck, damit er sich um die beiden richterlichen Durchsuchungsbeschlüsse für die Objekte kümmerte, und organisierte die Spurensicherung für das Bordell „Flow“, welches seiner Vermutung nach noch geöffnet und vielleicht der Tatort war. Nora beauftragte er damit, das Handy, welches Lotta Kardinal ihr übergeben hatte und dem letzten Freier von Simone Maar zuzuordnen war, über die technische Abteilung auslesen zu lassen.
„Ach, und kläre bitte, ob eine männliche Person vermisst wird!“
***
Am Freitagnachmittag kamen alle mit dem Fall befassten Kollegen der Mordkommission zusammen und betrachteten das von Nora aufgestellte Schaubild auf dem Smartboard, auf dem die Namen der in den Fall verwickelten Personen aufgelistet waren. Während ihres Vortrages lief Nora in ihren schwarzen Sneakers vor der Tafel hin und her. Sie trug diese Turnschuhe fast immer, weil sie fand, dass ihre zu groß geratenen Füße darin kleiner wirkten. Sie projizierte die Bilder der beiden Toten an die Tafel, beschriftete diese und malte für die bessere Verständlichkeit Pfeile und Bögen auf das Brett. Zufrieden schob sie ihre Nickelbrille ins Gesicht und drehte sich zu ihren Kollegen, die sie erwartungsvoll anblickten. Pieter Struck, Andreas Schmid, Tanja Richter, Martina Mann und Alexander Berend waren pünktlich erschienen, während Michael Kloss verspätet dazukam, weil er mit einer neuen Vermisstenanzeige und der Einvernahme von Lisa Fels befasst war.
Lisa Fels hatte ihren Freund Denis Berend am Dienstagabend das letzte Mal gesehen und seitdem nicht mehr telefonisch erreicht. Während sich Michael Kloss in dem Drehstuhl wog, wandte er sich an seine Kollegen. „Entschuldigt, es hat länger gedauert als erwartet.“ Dabei schielte er besorgt zu Alexander und schien ein ungutes Gefühl zu haben.
Nora referierte über das weibliche Opfer Simone Maar, die in dem Edelpuff gearbeitet und mit der dort beschäftigten Lotta Kardinal eine Liebesbeziehung gehabt hatte. Dabei beschloss sie, zunächst Stillschweigen darüber zu bewahren, dass es sich bei Lotta Kardinal um ihre Schwester handelte.
„Die Identität der Frau konnte durch ihre Lebensgefährtin festgestellt werden. Des Weiteren haben wir mit der speziellen Superlite S 04 Blut gefunden und DNA extrahieren können. Es wurden alle Spurenträgerflächen mit der Lichtquelle illuminiert. In einem der Bordellzimmer sind wir an Wand und Boden fündig geworden. Die Untersuchung des Blutes hat ergeben, dass es sich um Mischspuren handelt, das Blut aber trotzdem Simone Maar zugeordnet werden kann.“
Nora machte eine Pause und schaute in die Runde.
„Wir haben somit den Tatort gefunden“, gab sie feierlich bekannt. Sie wandte sich mit erhobenem Arm dem zweiten Bild an dem Brett zu.
„Diese männliche Leiche haben wir anhand des Handys identifiziert, welches uns Lotta Kardinal überlassen hat. Es handelt sich bei dem