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Kirchlicher Dienst in säkularer Gesellschaft


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Bürger stärken, mit anwaltschaftlichen oder fachpolitischen Argumenten zurückzuweisen, wo einen doch in Wirklichkeit die Sorge umtreibt, noch nicht ausreichend gewappnet zu sein, wenn Hilfesuchende mehr Wahlrechte erhalten. In der Auseinandersetzung über das Persönliche Budget sind diese beiden Ebenen anfangs immer wieder vermischt worden. Im Folgenden sollen die letztlich nicht aufzulösenden Dilemmata angesprochen werden, die sich bei Arbeit der verbandlichen Caritas im Spannungsfeld zwischen Marktbehauptung und Leitbild prägen.8

      1. Zwischen Dezentralität und Konzernimage

      Die Caritas hat ein verfestigtes Konzernimage. Die Zahl „ihrer“ beschäftigten beruflichen Mitarbeitenden von mehr als 600.0009 wird mit den Beschäftigtenzahlen großer Unternehmen (Deutsche Bahn, Siemens etc.) verglichen und daraus geschlossen, die Caritas sei der größte private deutsche Arbeitgeber. Dieses Konzernimage ist früher von der Caritas (unbewusst?) befördert worden, wenn zur Hebung der eigenen Bedeutung auf die vielen Mitarbeitenden bei ihren Mitgliedern als Mitarbeitende des Verbandes selbst verwiesen wurde. Das Konzernimage ist aber durch die Binnenstruktur der verbandlichen Caritas in keiner Weise gedeckt. So wird die Mitgliedschaft außerhalb des verbandlichen Einflusses vom jeweils zuständigen Bischof geprüft und anerkannt. Die Organe des Verbandes auf Bundesebene können die Mitgliedschaft im Verband nicht an bestimmte weiterreichende Voraussetzungen (z. B. Qualitätsstandards, Transparenzregeln) binden oder gar Mitglieder ausschließen, wenn sie diese nicht erfüllen.

      Dennoch wird dieses Gebilde als eine vielfältig gegliederte Einheit empfunden. Es gibt durchaus so etwas wie das Bewusstsein einer „Marke“ Caritas in der Bevölkerung. Sie ist eine der Marken mit sehr hohem Bekanntheitsgrad in Deutschland. Dass es ein solches Markenbewusstsein gibt, zeigt sich auch und gerade bei Negativmeldungen, etwa bei fehlender Transparenz, Missständen in einer Einrichtung oder Konflikten um die Bezahlung. Somit bleibt die Spannung zwischen Konzernimage und Dezentralität. Die Caritas ist hier gut beraten, die Grenzen ihrer Steuerungsmacht offen zu kommunizieren. Man muss jeder Rhetorik klar wiedersprechen, die aus der Caritas einen zentral geleiteten Konzern macht. Denn sonst verfestigen sich Erwartungen an die Einheitlichkeit unternehmerischen Handelns der Mitglieder der Caritas, die in einem Verband rechtlich selbstständiger Träger nicht sicherstellt werden können.

      2. Zwischen Marktbehauptung und öffentlicher Erwartung

      Die Dienste und Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände stehen untereinander und mit privatgewerblichen Trägern in einem Wettbewerb, der politisch gewollt ist. Weit verbreitet ist hierzu aber eine schizophrene Haltung bei Politik und Öffentlichkeit: Einerseits soll sich die Caritas im Wettbewerb behaupten, andererseits werden aber unternehmerische Entscheidungen, die damit notwendigerweise verbunden sind, als in Teilen anrüchig empfunden. Dies gilt für alle gemeinnützigen Akteure, für die kirchlichen Verbände aber in verschärfter Weise. Will ein Träger aus Caritas oder Diakonie beispielsweise aufgrund wegbrechender Finanzierung eine Dienstleistung reduzieren oder einen Dienst aufgeben, wird ihm vorgeworfen, „allein des Geldes wegen“ hilfesuchende Menschen im Stich zu lassen. Mit besonderen Risiken der öffentlichen Reputation sind betriebsbedingte Kündigungen verbunden, die angesichts der hohen Abhängigkeit der Leistungserbringer von öffentlicher Refinanzierung ebenfalls nicht immer vermieden werden können. Häufig findet eine den Kritikern nicht bewusste Vermischung zwischen einer individualethischen und einer sozialethischen Argumentationsebene statt. Es erfordert von den Leitungskräften erhebliches Rückgrat, unangenehme unternehmenspolitische Entscheidungen, die zur Sicherung eines Dienstes bzw. der sie tragenden Organisation notwendig sind, gegen die Erwartung durchzusetzen, dass die Kirche „so was nicht tun darf“.

      3. Zwischen Refinanzierungsbedingungen und Qualitätsstandards

      Die beruflichen und ehrenamtlichen Mitarbeitenden und die Nutzer ihrer Dienste und Einrichtungen erwarten, dass unter dem Dach der Caritas eine Hilfe erbracht wird, die hohen fachlichen Standards entspricht, wohnortnah angeboten wird und möglichst flexibel den unterschiedlichen Bedarfen der hilfesuchenden Bürger entspricht. Ob ein solcher Anspruch erfüllt werden kann, hängt aber nicht allein von der Bereitschaft und den unternehmerischen Leistungen der Caritas ab, sondern wird in starkem Maße durch die leistungsrechtlichen Bestimmungen und die Refinanzierung seitens der Leistungsträger bestimmt. Der Zusammenhang zwischen Preis und Qualität, der den Konsumenten in anderen Märkten bestens vertraut ist, ist im Bereich der sozialen Dienstleistungen verdeckt, weil häufig die Finanzierung der Leistungserbringer direkt durch die Leistungsträger erfolgt und die Kosten dem Hilfeberechtigten oft nicht einmal bekannt sind. Eine aus Sicht der Nutzer unbefriedigende Qualität wird dann vorschnell als Defizit der Leistungserbringer attribuiert, auch wenn sie Folge nicht verrückbarer Grenzen der Personalausstattung ist. Latent oder offen wird der Caritas entgegengehalten, wenn „es um den Menschen geht“, dürfe „das Geld“ keine Rolle spielen.

      Allerdings sollen die Ausführungen zum Spannungsverhältnis zwischen den Refinanzierungsbedingungen und den Qualitätsstandards die Leistungserbringer nicht pauschal exkulpieren. Nur wer unter den gegebenen Refinanzierungsbedingungen am Qualitätsoptimum arbeitet, kann mit Verweis hierauf berechtigt jeglichen Anspruch auf Qualitätsverbesserung abwehren. Zwar sind Personalschlüssel als eine zentrale Determinante der erreichbaren Dienstleistungsqualität ohne Vereinbarung mit den Leistungs- und Kostenträgern nicht erweiterbar. Aber es bleibt ein weites Feld von Dimensionen der Leistungserbringung, die darüber entscheiden, welches Maß an Teilhabe und Nutzerzufriedenheit unter den Refinanzierungsbedingungen geleistet werden kann.

      Die Grenzen, die die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit setzen, können Wohlfahrtsverbände ein Stück weit dehnen, wenn sie ihre Stärken ausspielen. Das berufliche Hilfesystem und das bürgerschaftliche Engagement sind im Miteinander gefordert. Zum Glück gehen die über lange Zeit gepflegten Vorbehalte hauptamtlicher Kräfte gegenüber dem ehrenamtlichen Engagement in den Diensten und Einrichtungen zurück: sie verdränge berufliche Arbeit, schwächte professionelle Standards, lüde den Staat ein, sich aus der sozialen Verantwortung zurückzuziehen. Erst in der kooperativen Verschränkung von beruflichem Hilfesystem und zivilgesellschaftlichem Engagement kann es gelingen, Dienste niederschwelliger zu gestalten und Kooperationen im Sozialraum zu erschließen.

      4. Zwischen Tarifbindung und Marktlöhnen

      Die Caritas soll sich nicht nur mit guter Qualität in den Märkten sozialer Dienstleistungen behaupten, sie soll auch ihre Mitarbeitenden gut bezahlen. Hierbei ist sie deutlich besser als ihr Ruf, auch wenn die Umbrüche seit Mitte der 1990er Jahre die Spannungen zwischen Ansprüchen und Möglichkeiten erhöht haben. Unter den Bedingungen eines stark korporatistisch geprägten Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses orientierte sich die Caritas wie die anderen frei-gemeinnützigen Dienstleistungserbringer, die damals in nahezu allen Hilfefeldern ohne privat-gewerbliche Konkurrenz agierten, an der Vergütung des öffentlichen Dienstes. Heute treten auf einigen Märkten sozialer Dienstleistungen auch privat-gewerbliche Anbieter auf, die nicht tariflich gebunden sind bzw. Haustarife abschließen; sie können ihre Leistungen billiger anbieten als ihre tarifgebundenen Wettbewerber. Seit Mitte der 1990er Jahre entstand ein Entlohnungswettbewerb zwischen gemeinnützigen und privatgewerblichen Anbietern und in der Folge auch innerhalb der Wohlfahrtspflege selbst. In den 2000er Jahren war der daraus resultierende wirtschaftliche Druck insbesondere auf Anbieter von Pflegeleistungen ein intensiv diskutiertes Thema im Deutschen Caritasverband. Mit einer Neuordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission wurden Möglichkeiten geschaffen, Tarife nach Regionen und Branchen zu differenzieren, um so eine Anpassung an unterschiedliche Wettbewerbslagen zu ermöglichen. Allerdings sind diese neuen Instrumente der Entlohnungsgestaltung nur in geringem Umfang genutzt worden, weil entsprechende Beschlüsse nicht die notwendige Drei-Viertel-Mehrheit fanden. In den Regionalkommissionen waren und sind Konflikte zwischen Markterfordernissen und Gerechtigkeitsvorstellungen auszuhandeln. Norbert Feldhoff hat in diesen Auseinandersetzungen den Dritten Weg des kirchlichen Arbeitsrechts verteidigt, dabei aber stets deutlich gemacht, dass dieser nur dann zukunftstauglich ist, wenn dabei das Verhandlungsgleichgewicht der abhängig beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewahrt wird und wenn die unternehmerisch verantwortlich Handelnden und die bischöfliche Aufsicht