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Kirchlicher Dienst in säkularer Gesellschaft


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Sozialsektor hat als Ganzes den Ruf, schlecht zu bezahlen, das erschwert die Gewinnung von Auszubildenden. Aber das Bild ist deutlich differenzierter, wie am Beispiel der Altenhilfe erläutert werden soll. Erfahrene Fachkräfte der Altenpflege verdienen, wenn sie tariflich entlohnt werden, etwa wie Fachkräfte in der Chemieindustrie, dem Baugewerbe und der Energiewirtschaft. Gehaltsnachteile haben sie vorrangig in den ersten Jahren nach dem Berufseinstieg zu tragen. Allerdings sind bei einem Gehaltsvergleich auch die deutlich unattraktiveren Arbeitszeiten zu berücksichtigen, die in der Pflege mit Nacht-, Schicht- und Wochenenddienst nicht vermieden werden können. Das Friseurhandwerk ist weiterhin ein von Frauen häufig gewählter Ausbildungsberuf. Nach einer Ausbildung zur Altenpflegerin könnten sie bis zum Doppelten dessen verdienen, was im Friseurhandwerk gezahlt wird.

      Pflegedienstleitungen verdienen etwa so viel wie Meister im Kfz-Gewerbe oder der Chemieindustrie.11 Manchmal hat man den Eindruck, dass Vertreter der Wohlfahrtsverbände aus einem Übereifer im Kampf mit den Kostenträgern die eigenen Vergütungen in undifferenzierter Weise schlecht reden und damit ungewollt die Probleme der Rekrutierung von Personal noch verschärfen.

      Zu den Merkwürdigkeiten der Sozialdebatte gehört, dass den Vergütungen, die im Dritten Weg vereinbart werden, ein schlechter Ruf anhängt. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di greift den Dritten Weg der Kirchen an; doch die kirchlichen Entlohnungssysteme, insbesondere die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) des Deutschen Caritasverbandes, leisten weiterhin eine nahezu flächendeckende Regelbindung der Entlohnung, die sich an der Entgeltstruktur und den Eurowerten des öffentlichen Dienstes ausrichtet. Ver.di hat mit unterschiedlichen Dienstleistungserbringern Tarife deutlich unterhalb der im öffentlichen Dienst üblichen Vergütung abgeschlossen, um – was sehr verständlich ist – überhaupt zu tariflichen Vergütungen zu kommen. Ver.di bemüht sich derzeit, die gute Beschäftigungssituation zu nutzen, um diese Lücke wieder zu verkleinern.

      An dieser Stelle soll auch das heikle Thema der Vergütung von Leitungskräften angesprochen werden. Auch Führungskräfte der Caritas vergleichen ihr Gehalt mit dem, was sie anderenorts verdienen könnten. Das ist auch in Ordnung. Auch an der Spitze kann sich die Caritas nicht völlig vom Markt abkoppeln. Aber hier sollte man es sich nicht zu einfach machen. Auch wenn man zu einem gewissen Maß unterhalb dessen bleibt, was privat-gewerbliche Konkurrenten für ihre Führungskräfte bezahlen, kann man Leistungsträger finden. 20 % mehr Gehalt führt nicht automatisch zu einer um 20 % besseren Führungskraft. Eine Gehaltspolitik für Führungskräfte, die etwas hinter der privat-gewerblichen Konkurrenz zurückbleibt, hat einen Vorteil, der nicht auf den ersten Blick offensichtlich ist: Er führt zu einer Selbstselektion der Führungskräfte: Die Caritas gewinnt diejenigen, die sich bewusst für einen caritativen Träger entscheiden, auch wenn sie damit monetär nicht das maximal mögliche erreichen. Gut leben kann man ja auch mit Gehältern, die im Vergleich mit anderen Gutsituierten ein wenig zurückstecken.

      5. Zwischen Dezentralität und leitbildkonformer Angebotspolitik

      Die Caritas ist (aus guten Gründen) kein Konzern. Das „Angebot der Caritas“ ist die Summe vieler dezentral getroffener Entscheidungen. Die Glaubwürdigkeit der Caritas hängt dennoch davon ab, dass diese Summe mit ihrem anwaltschaftlichen Anspruch zur Deckung zu bringen ist. Eine Angebotspolitik, die unausgesprochen allein dem Grundsatz folgte, „gemacht wird das, was refinanziert wird“, würde letztlich die Legitimationsgrundlage der Caritas untergraben. Natürlich kann es keine Angebotspolitik geben, die sich von den Refinanzierungsbedingungen abkoppelt, aber es muss Teil der Unternehmenspolitik der Caritas sein, auch unter widrigen Bedingungen Hilfen für Menschen in prekären Lebenslagen vorzuhalten, deren soziale Bedarfe bisher nicht durch sozialrechtlich kodifizierte Leistungsansprüche gedeckt sind, oder die, wie Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität, außerhalb unseres Sicherungssystems stehen. Die Caritas muss hierzu politische Unterstützung, Spenden und ehrenamtliches Engagement einwerben. Diesen Anspruch zu stellen und ihm trotz Widrigkeiten einigermaßen gerecht zu werden, sollte ein Markenzeichen der Caritas bleiben.

      V. Nicht die Schlachten der Vergangenheit schlagen

      In der Literatur mangelt es nicht an harschen Urteilen daran, wie die Wohlfahrtsverbände und mit ihr die verbandliche Caritas die Umbrüche auf den Märkten sozialer Dienstleistungen bewältigt haben. Sie hätten die Marktorientierung verinnerlicht, dies habe „zu starken Einbußen des traditionellen verbandlichen Selbstverständnisses [geführt], welche die Identität und Legitimität der Freien Wohlfahrtspflege dauerhaft in Frage stellen.“12 „Das neue Leitmedium: Geld entfernte die Wohlfahrtsverbände vom Gedanken der gelebten Solidarität. Ein freiwilliges Engagement der Bürger in Wohlfahrtsverbänden – als nunmehr zu Wirtschaftsverbänden konvertierten Organisationen – wird immer unwahrscheinlicher.“13 Auch werfen sie den Wohlfahrtsverbänden eine „passive Anpassungsstrategie“ und „ein offenkundiges Strategie- und Philosophiedefizit“ vor.14 Und Möhring-Hesse konstatiert „die langsame Auflösung der Freien Wohlfahrtspflege bei gleichzeitiger Stabilität ihrer Institutionen“:

      „Sie entwickelt sich in der Bundesrepublik prächtig, aber sie entwickelt sich in eine Richtung, dass sie immer weniger die Freie Wohlfahrtspflege ist, die man unter dem Begriff „Freie Wohlfahrtspflege“ u. a. in normativer Absicht erwartet, – und dies obgleich die Institutionen, an die diese Erwartungen adressiert werden, in hoher Kontinuität bestehen.“15

      Diese Kritiken beruhen auf der Grundposition, eine stärker wettbewerbliche Steuerung der Erbringung sozialer Dienstleistungen sei ein Irrweg; den Wohlfahrtsverbänden wird implizit oder offen vorgeworfen, diese Entwicklung nicht verhindert zu haben. Ob sie den dazu erforderlichen politischen Einfluss gehabt hätten, ist mehr als zweifelhaft. Der Vorwurf der Strategielosigkeit stimmt für den Caritasverband, wie die obigen Darlegungen zum verbandlichen Einsatz zur Sicherung eines offen gestalteten Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses zeigen, nicht – auch wenn die eingeschlagene Strategie zweifelsohne nicht diejenige war, die die Kritiker sich gewünscht hätten.

      Das Bild der „Auflösung“ der Freien Wohlfahrtspflege durch die „Vermarktlichung“ hat Elemente der Verklärung der Verhältnisse unter den Bedingungen des Neokorporatismus. Unternehmerische Interessen, die mit den Interessen der Nutzer im Konflikt stehen können, gab es auch zu Zeiten des Selbstkostendeckungsprinzips, es wurde über sie aber wenig gesprochen. Auch in diesen Zeiten war Geld ein „Leitmedium“. Auch damals gab es zum Beispiel ein Spannungsverhältnis zwischen den Interessen an Bestandssicherung großer stationärer Einrichtungen und Bedürfnissen der Nutzer nach stärker individualisierten, dezentralen, wohnortnahen Hilfeformen. Die Auseinandersetzung hierzu war etwa in der Behindertenhilfe von Bedeutung.

      Ohne Zweifel haben die Herausforderungen der Marktbehauptung die Wohlfahrtsverbände verändert. In Leitungspositionen arbeiten vermehrt Betriebswirte statt allein oder vorrangig Fachkräfte sozialer Professionen; in Vorständen örtlicher Gliederungen arbeitet häufig ein Tandem beider Qualifikationen. Eine gewisse Mitverantwortung an dieser Verschiebung zwischen den Professionen dürften auch die Hochschulen für Soziale Arbeit tragen; wenn in der Ausbildung für die Sozialberufe Studierende in einer Aversion gegen „das Ökonomische“ bestärkt werden, werden sie nicht darauf vorbereitet, fachliche und betriebswirtschaftliche Herausforderungen gemeinsam im Blick zu behalten. Die Hochschulen haben so auf Leitungsebene zu jener „Verbetriebswirtschaftlichung“ beigetragen, die aus ihren Reihen so vehement kritisiert wurde.

      Ob Wohlfahrtsverbände, wie unterstellt, ihr sozialanwaltschaftliches Engagement reduziert haben, ist eine empirische Frage. Bis heute halten alle Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege den Anspruch hierauf aufrecht. Nicht plausibel ist, dass die stärker wettbewerbliche Erbringung sozialer Dienstleistungen einen solchen Rückzug erzwingen würde oder, falls er zu konstatieren wäre, erklären könnte. Wenn man argumentiert, dieser erfolge aus Rücksichtnahme auf die Interessen der Leistungs- und Kostenträger, so wird man konzedieren müssen, dass auch im „Ancien Régime“16 des gefestigten Korporatismus die Leistungserbringer von den Leistungs- und Kostenträgern abhängig waren. Man kann sogar vermuten, dass die Abhängigkeit unter den Bedingungen der Objektfinanzierung höher war als sie heute bei der