Karolin Freund

Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels


Скачать книгу

liegt die nachgeholte Handlung nach dem point of attack.3 Die Unterteilung der internen Analepsen in kompletiv und repetitiv ist für die Monologanalyse insofern relevant, als mit den kompletiven Analepsen Zeitsprünge und Ortswechsel nachträglich vermittelbar sind. Bleibt das Geschehen zwischen Szenen und Akten durch Ellipsen zunächst verborgen, wird es im Monolog der auftretenden Figur nachträglich vermittelt.4 Repetitive Analepsen dagegen greifen ein bereits dargestelltes Geschehen erneut auf.5

      Beispielhaft für eine Enthüllung ist der Monolog Gittas (vv. 61–74) aus dem Fastnachtspiel G 46 Das Weib im Brunnen:

Nun hab ich mein Saw bracht in Stal.
Nun wil ich gehn aber ein mal
Auff meinen alten Finken strich.
Heint bin aber gantz sicher ich,
65 Das mein voller Man nicht erwacht,
Biß ein zwo stund nach Mitternacht.
Erst greifft er vmb nach mir allwegen,
Meint, ich sey die gantz nacht da glegen.
Diß Affenspiel ich vorwar
70 Mit jm fast trieben ein halb jar.
Weil jm so wol ist mit dem Wein,
Ist mir wol mit der Bulschafft mein.
So bricht er Haͤssn, so brich ich Kruͤg,
Und wo ich anderst redt, ich luͤg.

      Gittas Entüllung erfüllt als Auftritt-Abgangs-Monolog eine zeitraffende Funktion zwischen dem Zubettgehen des Ehemannes, der vortäuscht betrunken zu sein, und seinem Wiederauftritt. Die enthüllende Funktion zeigt sich sowohl in den analeptischen als auch in den proleptischen Passagen, in denen Gitta über bereits feststehende Absichten informiert. Mittels externer Analepse enthüllt Gitta, dass sie ihren Mann schon ein halbes Jahr auf dieselbe Art und Weise hintergeht, proleptisch erläutert sie mit Zeitangaben die weitere Vorgehensweise ihres Betruges. Neben der externen Analepse und der Prolepse weist der Monolog eine interne kompletive Analepse auf, die sich lediglich auf den ersten Vers beschränkt, aber als Vermittlung des Zeitsprungs hervorgehoben werden muss. Nachdem Gitta mit ihrem Mann die Bühne verlassen hat, tritt sie monologisierend mit den Worten „Nun hab ich mein Saw bracht in Stal“ wieder auf. Damit wird verständlich, dass zwischen Ab- und Auftritt eine nichtgezeigte Handlung geschehen und somit Zeit vergangen ist. Die kompletive Analepse zur Vermittlung des Zeitsprungs ist ein häufig am Anfang eines Monologs stehendes Mittel, mit dem Sachs die Rezipienten über die neue Ausgangslage für die folgende Szene informiert.

      2.1.2.3 Ortswechsel

      Häufig fallen Zeitsprung und Ortswechsel zusammen. Der Ortswechsel ist dabei ebensowenig figurenspezifisch wie der Zeitsprung. Ihre Nähe zeichnet sich besonders durch die vorhergehende Ellipse in den Szenen- bzw. Aktpausen aus, die mit der Nennung im Monolog ausgefüllt wird. Dabei handelt es sich um eine explizite handlungsleitende Funktionalisierung der Monologe, mit der Sachs das Verständnis der Rezipienten sichert und Leerstellen innerhalb der Dramaturgie umgeht, gleichzeitig aber auch komprimiert den neuen Ort präsentieren kann. Mit dem Ortswechsel geht gehäuft eine Selbstcharakterisierung oder Enthüllung einher, d.h. die neu aufgetretene Figur befindet sich an einem für sie typischen Ort und erfährt dadurch eine Kennzeichnung. In anderen Fällen, wie im Monolog Gittas zu sehen war, kann dem Monolog eine Leerstelle voraus gehen, die zu Anfang gefüllt wird und die Figur in einer neuen Szenerie situiert.

      2.1.2.4 Reflexion

      Mit der Reflexion ist es möglich, das ‚Innenleben‘ der Figur zum Ausdruck zu bringen, weil das wesentliche Merkmal das Nachdenken über die vergangene und zukünftige Handlung sowie die gegenwärtige Situation aus der Perspektive der Figur ist. Die Diskussion von Handlungsalternativen sowie implizite oder explizite Selbst- oder Fremdcharakterisierungen können mit der Reflexion einhergehen und unterstützen maßgeblich die Figurenzeichnung. Aufgrund der analeptischen Konstruktion vollzieht sich in Reflexionen nicht unmittelbar situationsveränderndes Handeln, d.h. sie sind nicht-aktional.

      Beispiele für Reflexionen, die alle genannten Merkmale einschließlich des Abwägens einer Handlung in Für und Wider beinhalten, lassen sich im Fastnachtspiel selten finden. Ein Grund dafür ist die häufige Ergänzung der Reflexion durch einen Entschluss in der Gesamtrede.

      Im Fastnachtspiel G 84 Die juͤng witfraw Francisca, so durch ain list zwayer pueler abkom1 kommt die für Sachs eher untypische abwägende Reflexion zwei Mal vor. Dies lässt sich durch die Vorlage, Dekameron IX, 1, erklären, in der an gleicher Stelle beide Monologe stehen, die Sachs etwas verkürzt überträgt. Eine ausführliche Reflexion zeigt einer dieser Monologe (Rinuczo vv. 290–321), der systematisch in vier Schritte aufgeteilt ist. Dem Monolog geht die Anweisung seiner Angebeten voraus, sich in ein Grab zu legen und die Kleidung des Toten anzuziehen. In vv. 290–296 beschreibt Rinuczo, dass er auf dem Weg ist, um in das Grab zu steigen, worauf eine Fremdcharakterisierung des Toten folgt, die den Toten als zu Lebzeiten schlechten Menschen darstellt:

290 Ich pin aufm weg vnd sol hinab,
Den doten holen auͤs dem grab,
Der doch der aller poͤst man war,
Zenkisch vnd hedrisch imerdar.
Niemant het gern mit im zv schaffen,
295 In flohen leien vnd die pfaffen,
Die weil er noch war lebentig.

      Von vv. 297–310 an geht die Fremdcharakterisierung in eine Reflexion über die eigene Dummheit und ihre Folgen über. Rinuczo bezeichnet sich als „narr“ (v. 297) und bemerkt, sich selbst charakterisierend, dass auch alle anderen ihn für dumm halten. Er reflektiert über das Handeln der Freunde des Toten und stuft es als große Gefahr für sich ein:

Ich groser narr, was zeich ich mich,
Das ich wil zw im steigen nab,
In zihen auͤs dem doten grab?
300 Es ist werlich ein grose gfar,
Mir stent gen perg alle mein har,
Vor forchtent zittert al mein leib.
Sol ich das wagen durch ein weib?
Der dot sol mir woln hals abrechen.
305