Karolin Freund

Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels


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Dem narren ist nicht vnrecht gschehen. Was wuͤrt Stanadio freuͤntschaft jehen, So ich in auͤs dem grab het gstoln, Die weil int leng nichs pleibt verholn? 310 Die wuͤrn mich in als ungluͤck pringen,

      In vv. 311–314 wägt er unter konkreter Nennung das Für und Wider zwischen der angebeteten Frau und der drohenden Gefahr ab. Der Monolog endet mit einem Entschluss: In vv. 315–321 entscheidet sich Rinuczo, nicht zuletzt aufgrund eines Sprichwortes, für die Geliebte. Während die Reflexion situationsaffirmativ bleibt, bringt der Entschluss durch seine zukunftsungewisse proleptische Ausrichtung die Handlung voran.

Ich weis nit, wie ich thet den dingen;
Thw ichs, so stet darauf gros gfar,
Thw ichs nit, hab ich vrlob gar
Meinr lieb vnd dienst, die ich ir trueg.
315 Weil ich icz hab zv kumen fueg
Zw der, der mein herz hat pegert
Wil ich gleich wagen die gefert,
Weil doch ein sprichwort sagt pekant,
Ein doter man der peis niemant.
320 Gerecz, so schwer ich pey mein trewen,
Sol mich die reis mein lebtag frewen.

      Reflexionen sind im Fastnachtspiel die häufigsten Monologfunktionen. Sie stehen in kausalem Verhältnis zur Handlung, weil sie entweder die Folge einer vorhergehenden Handlung oder die Vorstufe einer folgenden Handlung bilden. Der Dramatiker kann durch Reflexionen „seinen Figuren einen impliziten oder expliziten Eigen- oder Fremdkommentar in den Mund legen“.2

      Auffällig ist, dass Sachs in den Fastnachtspielen oft Nebenpersonen über eine Situation reflektieren lässt. Fernau nennt dafür zwei Gründe: Zum einen rufe der Eindruck eines Ereignisses in der Hauptperson eher einen Affekt hervor, zum anderen bleibe die Nebenperson nach einem Dialog aus technischen Gründen häufig auf der Bühne und reflektiere über den abgegangenen Dialogpartner.3

      Neben möglicher Spannungserzeugung dient die Reflexion am Ende einer Szene häufig als retardierendes Moment. Damit kann Sachs die Handlung anhalten und „auf die Rezeption des Stückes Einfluß“4 nehmen. Aus der Gesamtschau der Fastnachtspiele lassen sich als Objekte der Reflexion in Monologen u.a. benennen: soeben gemachte Erfahrungen, bevorstehende Ereignisse, bestimmte Handlungsweisen bzw. Äußerungen, bekannt gemachte Absichten und Charaktereigenschaften oder Verhaltensweisen von anderen Figuren.

      Dadurch, dass Sachs die abwägenden Reflexionen eher selten in seinen Fastnachtspielen und Schauspielen einsetzt, lässt sich eine Leerstelle innerhalb der Funktionalisierung von Monologen erkennen. Entwickelte Sachs nämlich die aus dem Dekameron entlehnten dilemmatischen Gedanken eigenständig weiter, müsste er letztendlich von einer typenhaften Figurenzeichnung abrücken. Es sticht nicht nur in den Fastnachtspielen, sondern auch in den Tragedis und Comedis ins Auge, dass er Ansätze einer individuellen Konstruktion nur zulässt, sofern sie in der Vorlage zu finden sind, diese aber nie selbstständig einsetzt. Die daraus entstehende Leerstelle bringt umso deutlicher das Anliegen von Sachs für die Fastnachtspiel- und Schauspielproduktion zutage: Indem die Reflexion so gut wie immer ein Überdenken einer vorhergehenden Situation oder einer aufgetretenen Person ist und nie, es sei denn vorlagenbedingt, ein Überdenken des eigenen Handelns, das unbeantwortete Fragen bei den Rezipienten zurücklassen könnte, erhält sie eine kommentierende und auslegende Funktion, mit der Sachs Verständnisprobleme vermeiden und Handlungszusammenhänge herstellen kann. Auch wenn die Reflexion eigentlich eine Funktion ist, um Figurensichten darzustellen, dient sie Sachs hauptsächlich zur Ausgestaltung der Handlungskonstruktion.

      2.1.2.5 Teichoskopie

      Die bisher genannten zeitbezogenen Monologfunktionen richten sich auf zukünftiges oder vergangenes Geschehen. Als Funktion, die sich dem spielinternen gegenwärtigen Geschehen widmet, steht maßgeblich die Teichoskopie, auch ‚Mauerschau‘ genannt. Sie zählt zu den Typen der narrativen Vermittlung, denen ein aktionaler Charakter zugrunde liegt, und bezieht sich „auf Vorgänge, die sich im Augenblick der jeweiligen Bühnensituation abspielen, ohne daß sie vom Publikum wahrgenommen werden“.1 Sachs setzt die Teichoskopie vor allem ein, um herannahende Figuren zu beschreiben und damit in den Dialog überzuleiten, aber auch, um unspielbare, aber für die Handlung relevante Sequenzen im Off spielen zu lassen und trotzdem in die Handlung zu integrieren. Wenn die herannahende Figur beschrieben wird, ist es mit Blick auf die Bühnenrealität unklar, ob sie bereits auf der Bühne ist und die Zuschauer sie sehen. Die Teichoskopie soll allein die Information der Rezipienten über den Dialogpartner sicherstellen.

      Die für Sachs typische Anwendung der Teichoskopie in einer auf Komik zielenden Variante findet sich im Fastnachtspiel G 54 Der Bawer mit dem Plerr (vv. 149–169). Die dem Monolog vorangehende Szene endet mit einem Dialog zwischen der Ehefrau und der Nachbarin, in dem die Nachbarin kund gibt, den Ehemann vom Zorn gegen die eigene Frau abbringen zu wollen. Die darauf folgende Szene lässt Sachs mit dem hier wiedergegebenen Auftrittsmonolog beginnen. Die ersten drei Verse dienen der Vermittlung des neuen Schauplatzes und der vergangenen Zeit:

Es ist nun auff den tag gar weit,
150 Es wer je nun wol Suppen zeit.
Wann mirs mein heyllos Weib nur brecht!

      Daran schließt sich direkt der teichoskopische Einschub an, gefolgt von einem zweiten am Ende des Monologs. Beide Male beschreibt der Ehemann die herankommende Figur, die den nächsten Dialogpartner darstellt:

Dort gehts her, sih ich anderst recht.
Bald sie mir setzt die Suppen dar,
Wil ichs erhaschen bey dem Haar,
155 Auff daß sie mir nicht thu entlauffen,
Vnd wil sie nider reissn zu hauffen,
Wils blewen mit dem Hackenhelb,
Daß jr Leib wird schwartz, blaw vnd gelb;
Ich wil sie vmb jr vnzucht straffen
160 Und wil jr warlich gebn deß Pfaffen,
Sie solt drey Schreiber darfuͤr nemen.
Ich