Karolin Freund

Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels


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Biß Sontag, er geb drey Heller drummen, Daß er nit in mein Hauß wer kummen. 165 Ey schaw nur, botzleichnam angst schaw, Jhenes Weib ist gar nicht mein Fraw, Es triegen mich denn all mein sinn, So ist es vnser Nachbaͤwrin, Wil mich mit einer Suppn versorgn.

      Anders als bei der ‚typischen‘ Mauerschau geht es in diesem Fall der Teichoskopie nicht darum, nicht inszenierbare Handlungen verdeckt zu halten, sondern eine Überleitung in den Dialog zu schaffen und für die Rezipienten zu erläutern, wer der Dialogpartner ist. Die Überleitung in den Dialog enthält in diesem Fall ein komisches Moment, da der Ehemann davon ausgeht, eine andere Figur anzutreffen und deshalb eine wütende Rede beginnt. Ihre Absurdität tritt mit dem Erkennen der Nachbarin offen hervor.

      2.1.2.6 Selbstcharakterisierung

      Wesentliches Merkmal der Selbstcharakterisierung ist, dass eine Figur in zusammenhängender Darstellung Aussagen über sich selbst trifft, z.B. sich vorstellt, Charaktereigenschaften benennt, biographische Angaben macht, Tätigkeiten erläutert und Besonderheiten der eigenen Person herausstellt. Kennzeichnend sind die deskriptive Aussagenstruktur und die Darstellung der eigenen Lebenssituation, die mit einer Affektdarstellung einhergehen kann.

      Beispielhaft ist ein Monolog aus dem 1539 entstandenen und damit frühen Fastnachtspiel G 13 Die 5 elenden wandrer (vv. 1–20) zu nennen, den Sachs für den zweiten Folioband von 1560 wie folgt verändert hat:

Ich pin ain wirt der armen gest,
Den ich doch thw das aller pest.
So vil der kumen in mein haus,
Der treib ich kainen von mir aus,
5 Sundr ich gieb im drincken vnd essen.
Vnd wen er ain weil ist gesessen
Int nacht, gieb ich im ain schlaffdrunck
Und leg in darnach warm genunck.
Vor er aufstet von seiner rw,
10 Schenck ich im drey pazen darzw,
Wo er die nacht in meinem haus
Der ermest gast ist vberaus
Vnter alln gestn, die pey mir waren.
Das hab ich trieben pey zwainzg jaren,
15 Hab an mein gesten nichs gewunen,
Idoch ist mir nie gelz zerunen;
Ob ich gleich nit vil gelz thw loͤsen,
Duet mirs got dester pas ersproͤsen,
Die weil vnd ich mich thw erparmen
20 Vber die elenden und armen.

      Die Selbstcharakterisierung besteht hier aus einer zusammenhängenden, umfassenden Beschreibung der zentralen Figureneigenschaft eines Wirtes. Der Text bleibt deskriptiv. Der Wirt charakterisiert sich selbst als gutherzig, der allen Gästen Speis und Trank serviert und ein warmes Bett bereithält, obwohl seine Gäste arm sind. Er hat zwar kein Geld an ihnen verdient, aber auch keines verloren. Die Rede bezieht sich damit auf die Lebenssituation der Figur, führt aber nicht in einen Konflikt ein.

      Die in anderen Monologen enthaltenen Funktionen ‚Reflexion‘ und ‚Enthüllung‘ grenzen durch den Bezug auf die Situation an Formen der Selbstcharakterisierung an. Jedoch sind die Verdeutlichung von Motiven oder Intentionen (Enthüllung) sowie das umkreisende Bedenken der Situation (Reflexion) nicht Merkmale der Selbstcharakterisierung als primär deskriptive Aussage.

      Hervorzuheben ist, dass Sachs den Anfang des Fastnachtspiels erstmals ohne die übliche Begrüßungsformel gestaltet, mit der sich der erste Spieler an das Publikum wendet. Stattdessen wählt er die Selbstcharakterisierung des Wirts. Die Selbsteinführung war nicht nur am Beginn fester Bestandteil der Fastnachtspiele des 15. Jahrhunderts, sondern insbesondere in Reihenspielen nannten die Figuren auch im weiteren Fortgang ihre Eigenschaften selbst. Aufgrund der Änderung von der bloßen Selbsteinführung zur Selbstcharakteristik,1 die sich in fast allen Fastnachtspielen von Sachs wiederfindet, ist der Terminus ‚Selbsteinführung‘ hier durch den der Selbstcharakterisierung zu ersetzen.

      Ursprünglich, möglicherweise in der 1539 entstandenen Variante, war die Einleitungsformel noch enthalten. Nach Goetze lautete die frühere, handschriftlich überlieferte Fassung:2

Hail vnd geluͤeck sey meinen gesten!
Weil ir seit kumen her im pesten
Ein schlaffdrunck zw thun in meim haus,
Wil ich euch gleich nicht dreiben aus,
Wiwol ich alzeit wie auch hewt
Nur herberg elent wandret lewt,
Der ich mich auch erparmen thw.
Darumb sezt euch vnd habent rw,
So wil ich gen aufdragen wein
Vnd mit euch allen froͤlich sein.

      Die direkte Ansprache an das Publikums ad spectatores leitet in dieser Variante in das Fastnachtspiel ein und in doppeldeutiger Weise, die Gäste auf der Bühne und im Saal meinend, von der Fastnachtsgeselligkeit zur Spielebene über. Kurz vor Ende der Einführungsrede erfolgt die ebenfalls typische Ermahnung zur Ruhe und zum Hinsetzen. In der Folioausgabe weist Sachs auf den veränderten Beginn mit einem Vermerk auf die Neufassung hin: „Der eingang zum 5 wandrer ist pesser:“3 Dieser Überarbeitungsvermerk belegt, wie Sachs bewusst Grenzüberschreitungen zwischen innerem und äußerem Kommunikationssystem zu vermeiden sucht, die für vorreformatorische Fastnachtspiele charakteristisch sind.

      Der Blick auf die Vorlagen zeigt, dass die Selbstcharakterisierungen der Übertragung der Erzählerrede in die dramatische Figurenrede