Karolin Freund

Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels


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der Figuren Anknüpfungspunkte für die Übertragung in den Monolog finden. Sie werden von Sachs in zusammengefasster Weise im Stück, oft durch Formen der Selbstcharaktersierung, präsentiert, es sei denn Sachs lässt die Vorlage bewusst außer Acht und charakterisiert die Figuren nach eigenen Gesichtspunkten.

      2.1.2.7 Fremdcharakterisierung

      Die bisher vorgestellten Funktionen sind als Differenzkriterien einander ausschließend. Ein Textteil kann also nur einer der Funktionen zugeordnet werden. Es gibt jedoch zwei Ausnahmen: die Fremdcharakterisierung und die Affektdarstellung.

      Die Fremdcharakterisierung ist die wertende Beschreibung oder Einschätzung einer Figur, die u.a. Teil einer Reflexion sein kann. Diese Art des Kommentars ist keine eigenständige Funktion in dem Sinn, dass ihr ein gesamter Monolog zugeordnet werden könnte, so wie das für die anderen prinzipiell möglich, aber auch nur selten der Fall ist. Bei Fremdcharakterisierung und Affektdarstellung handelt es sich vielmehr um eine Beiordnung zu einer Funktion, die nicht als eigenständige Funktion vorzufinden ist. Die Kommentierung von anderen Figuren ist als Attribuierung von Informationen zu sehen, die im Rahmen anderer handlungsbezogener Funktionen, etwa der Reflexion, vermittelt werden.

      2.1.2.8 Affektdarstellung

      Wesentliche Merkmale der Affektdarstellung einer Rede sind Ausdrücke, auch Interjektionen, die Trauer, Klage, Wut, Zorn, Freude, Schadenfreude usw. formulieren. Kennzeichnend sind bei Sachs häufig wiederkehrende Wendungen wie „Botz leichnam angst!“ und rhetorische Fragen wie „Ach, was soll ich nur fahen an?“

      Der von Fernau vorgenommenen Unterteilung des ‚Affektmonologs‘ in die Unterkategorien Klagemonolog, Affektmonolog bei Schadenfreude sowie Affektmonolog bei Wut und Gebetsmonolog1 ist nicht zu folgen. Nicht nur ist eine Affektdarstellung selten allein typisierendes Element. Auch fällt die Affektdarstellung wesentlich häufiger mit der Enthüllung oder Reflexion zusammen. Zumindest im Fastnachtspiel bilden Interjektionen oder rhetorische Fragen nur einen kleinen Teil der Redesequenzen und nur in den seltensten Fällen ist allein die emotionale Gestimmtheit Inhalt eines Monologs. In der Regel ist der Affekt mit Informationen über die Situation, Figur oder auch Handlung verknüpft.

      Das Fastnachtspiel G 49 Das boͤß Weyb mit den worten, Wuͤrtzen und Stein gut zu machen, vv. 1–8, zeigt, wie die Rede des Ehemannes der Affektdarstellung dient:

Ach, ich armer, ellender Man,
Was soͤl auf erdt ich heben ahn?
Das zu trost ist den Mennern geben,
Betruͤbt am meisten mir mein leben.
5 Ey! ey! ey! ey! ach! ach vnd weh!
Hab ich weh, wo ich nur steh vnd geh,
Das mir niemandt kan helffen ab,
Denn hawen, schauffel vnd das grab!

      Der Monolog bildet den Beginn des Fastnachtspiels und vermittelt die Verzweiflung des Ehemannes. Seine Frau – „das zu trost ist den Mennern geben“ – macht ihm das Leben schwer. Nur noch der Tod könne ihn von diesem Leid befreien. Obwohl der anschließende Dialog die Situation genauer erläutert, muss für die Rezipienten nach den ersten Versen erkennbar gewesen sein, dass es sich um eine schwankhafte Handlung handelt. Der Monolog zielt nicht darauf ab, Mitleid zu erregen, wie es für Klagen zu erwarten wäre, sondern in eine Spielsituation einzuführen, die aus dem vorreformatorischen Fastnachtspiel bekannt war und als fastnachtspieltypisch gilt. Im Rahmen der kategorialen Differenzierungen ist auf den Aspekt des Situationsbezuges, auf die Ich-Bezogenheit und auf die Grundmotivation der Figur abzustellen. Demnach handelt es sich um eine Enthüllung zur Affektdarstellung. Die funktionale Zuordnung muss erfasst werden, d.h. es ist nach Verbindungen der Rede zur Figur, Situation oder Handlung zu fragen. Eine Zuordnung als ‚Affektmonolog‘ oder ‚Klagemonolog‘ erscheint in diesem Sinne wenig instruktiv, weil dann der Blick dafür verstellt wird, dass es sich häufig um die Anfangspassagen eines Monologes handelt, denen die handlungsbezogenen Abschnitte folgen.

      Wenn sich auch alle Monologfunktionen sowohl im Fastnachtspiel als auch in den Tragedis und Comedis wiederfinden, so besteht insbesondere für Affektdarstellungen ein Unterschied in der Wirkung, die sich aus der schwankhaften Handlungskonstruktion im Fastnachtspiel erklären lässt: In den meisten Fällen zielen die einleitenden Affektdarstellungen auf eine komische Wirkung.2

      Unter den Affektdarstellungen sind die klagenden am häufigsten nachzuweisen. Wie im vorgestellten Monolog betrifft die Klage zumeist den Ehepartner. In der Regel ist sie dem Bericht über die Situation des Monologsprechers unterlegt. Als Besonderheit des Fastnachtspiels gilt die Darstellung der Schadenfreude und des Zornes. Diese Affektdarstellungen erhalten ihre Wirkung durch Interjektionen, Sentenzen, ironische Wendungen und namentliche Anreden des Betrogenen.3

      2.2 Monologanalyse in G 57 Die alt verschlagen Kuplerin mit dem Thumbherrn im Vergleich zur vorreformatorischen Fastnachtspiel-Vorlage

      Das in Handschrift G1 anonym überlieferte vorreformatorische Fastnachtspiel K 37 Ein spil von eim Thumherrn und einer Kuplerin, das vor 1494 entstanden sein muss und, obwohl in Nürnberg geschrieben, weder von Hans Rosenplüt2 noch von Hans Folz3 stammen dürfte, liefert die Vorlage4 für eine Bearbeitung durch Sachs aus dem Jahr 1553. Sachs fügt 10 Monologe ein, anhand derer sich nachzeichnen lässt, wie sie das Handlungsgeschehen der Vorlage verändern und welche Funktionen ihnen hier zukommen.

      Das Spiel ist als Handlungsspiel zu klassifizieren, das eine Struktur5 mit nicht-austauschbarer Reihenfolge der Abschnitte aufweist. Darin unterscheidet es sich vom Reihenspiel als dem typischen vorreformatorischen Fastnachtspiel und einem Großteil der Handlungsspiele.6 Eine eindeutige Abgrenzung der Dialogabschnitte ist jedoch nur begrenzt möglich, weil es nur vereinzelt Auf- und Abtritte gibt. Statt von Szenen ist darum von einer Gliederung in Abschnitte auszugehen.

      Die fünf Abschnitte haben folgenden Inhalt:

1. Abschnitt: Die Kupplerin erzählt dem Domherrn von einer Frau, die ihn begehrt. Für ihren Dienst verlangt sie Geld. Der Domherr geht auf das Angebot ein.
2. Abschnitt: Der Domherr wird zum Bischof bestellt, weil er einen Brief siegeln soll.
3. Abschnitt: Die Kupplerin erzählt einer Frau von einem Verehrer, der die Frau sehen will.
4. Abschnitt: Die Magd erkennt in dem Verehrer den Ehemann der Frau und rät ihr, den Mann zu schelten.
5. Abschnitt: Die Frau beschimpft ihren Mann. Dieser entschuldigt sich und beschimpft die Kupplerin, die jedoch der Knecht beschützt.

      Die Abschnittseinteilungen gehen mit den Abgängen des Domherrn (mit Boten) sowie der Kupplerin und dem Wiederauftritt der Kupplerin (mit Ehemann) einher. Obwohl es sich um ein Handlungsspiel mit literarischer Vorlage handelt,7 lassen sich durch den Vergleich mit der Bearbeitung von Sachs vom 27. Oktober 15538 in G 57 Die alt verschlagen Kuplerin mit dem Thumbherrn die funktionalen Veränderungen nachweisen, die der Monologeinsatz bewirkt. Ist es dem Dichter der Vorlage möglich, die Handlung ohne Monologe und mit 165 Versen zu vermitteln, nutzt Sachs 426 Verse und 10 Monologe. Insgesamt besteht mit 108 Versen ein Viertel des Spiels aus Monologen.

      G 57 Die alt verschlagen Kuplerin mit dem Thumbherrn: