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Ethik in den Kulturen - Kulturen in der Ethik


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Menschenrechte“ ist für Arendt (2011: 399) gleichbedeutend damit, „daß einem Menschen der Standort in der Welt entzogen wird, durch den all seine Meinungen Gewicht haben und seine Handlungen Wirksamkeit“. Dieser „Standort in der Welt“ aber ist aus Arendtscher Perspektive fundamental für menschliches Sein und Leben.

      Arendts Begriffe „Welt“ und „Weltlosigkeit“

      Die Arendtsche „Welt“ bezeichnet all das, was von und zwischen Menschen geteilt und dadurch erst konstituiert wird, was ihnen sowohl einen „Erscheinungsraum“ als auch einen „Handlungsraum“ bietet, in den sie hineingeboren werden, und den sie in Folge durch Handeln bzw. Tätigkeit gestalten und verändern können (Arendt 1960). Die Existenz dieser, also der ‘Welt’ ist einerseits wesentlich abhängig von menschlicher Tätigkeit und ihrer Verstetigung: „seinem Herstellen von Dingen, […] seinem handelnden Organisieren der politischen Bezüge in menschlichen Gemeinschaften“ (ebd.: 27). Andererseits ist ‘Welt’ den Menschen „eine Heimat in dem Maße, indem sie menschliches Leben überdauert […] und als objektiv-gegenständlich gegenübertritt“ und somit erst die Bedingung der Möglichkeit eines relativ beständigen, stabilen Lebens (ebd.: 14). Ohne diese ‘Welt’ könnten Menschen ihr fundamental humanes, spontanes und initiierendes existenzielles Potenzial, das Arendt mit „Natalität“ bezeichnet und das letztlich besagt, dass der Mensch „der Anfang des Anfangs oder des Anfangens selbst“ ist (ebd.: 166), gar nicht entfalten, weil er – als potenziell neuer Anfang – immer in eine bereits existente, hinreichend beständige Welt hineingeboren wird, und ein (neuer) Anfang, im Sinne des Einleitens tatsächlicher Veränderung durch Handeln, immer nur vor dem Hintergrund einer hinreichend persistenten sozio-politischen Welt und Wirklichkeit denkbar und verständlich ist.

      ‘Welt’ ist den Menschen auch ein Raum der Öffentlichkeit, ein Erscheinungs- und Handlungsraum und letzlich der Raum der menschlichen, also geteilten ‘Wirklichkeit’: in der ‘Welt’ befindet sich bzw. aus der ‘Welt’ besteht der ‘Stoff’, auf den Menschen einzig gemeinsam Bezug nehmen können; ‘Welt’ konstituiert inhaltlich wie strukturell das alleinige „Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten“ (ebd.: 174), ist sie doch das, was buchstäblich „inter-est“ bzw. ‘von „inter-esse“‘ ist oder überhaupt sein kann, also das „was dazwischen liegt und Bezüge herstellt, die Menschen miteinander verbinde[t] und zugleich voneinander scheide[t]“ (ebd.: 173). Die Arendtsche ‘Welt’ ist also ein Zwischen (den Menschen) bzw. das tatsächlich und buchstäblich ‘Zwischen-Menschliche’, der eigentliche und einzige Ort sowie gleichsam die Bedingung der Möglichkeit menschlicher, sozio-politischer Interaktion, den/die sie mit der Metapher eines „Tisch[es]“ umschreibt (ebd.: 40); und zwar „in dem gleichen Sinne, in dem etwa ein Tisch zwischen denen steht, die um ihn herum sitzen; wie jedes Zwischen verbindet und trennt die Welt diejenigen, denen sie jeweils gemeinsam ist“ (ebd.: 52). Dieser ‘Tisch der Welt’ ist damit der einzige Ort, öffentlich auf- und in Erscheinung zu treten, Ort des (Miteinander-)Sprechens und (Miteinander-)Handelns, also der Ort der Politik, da Handeln die Arendtsche „politische Tätigkeit par excellence“ ist (ebd.: 16), und der Arendtschen Pluralität, des „Zusammen- und Miteinander-Sein[s] der Verschiedenen“ (Arendt 1993: 9), das den „Sinn“ von Politik, Freiheit, im und durch Handeln aktualisieren soll (ebd.: 28, vgl. 2000: 215f.).

      Auf diesem Wege sind Menschen dann auch erst in der Lage, sich durch öffentliches Sprechen und Handeln wechselseitig zu individuieren: Arendt (1960: 189f.) war der „Grundüberzeugung, daß menschliches Zusammenleben nur darum und in dem Maße sinnvoll ist, als es in einem »Teilnehmen und Mitteilen von Worten und Taten« [Aristoteles, A.H.] besteht“. Nach dem Vorbild der attischen Polis und ihrer Agora, quasi ein Idealbild des Arendtschen öffentlichen Raums, konnte so auch der Flüchtigkeit bzw. Vergänglichkeit menschlicher individueller Existenz und ihrer Taten vorgebeugt werden, indem durch hinterlassene Spuren, das Erinnern und Tradieren von Taten und Bedeutungen in der Polis eine Art „organischen Andenkens“ möglich wurde (ebd.: 191). Diese Praxis „sollte verhindern, daß die »Auftritte« der Sterblichen – die sich gemeinhin vor einem »Publikum« abspielen, das zeitlich und räumlich begrenzt ist […] – jemals aus dieser weltlichen Wirklichkeit wieder verschwinden“ (ebd.).

      ‘Welt’ nimmt im Arendtschen Denken folglich eine zentrale Stellung ein und insofern muss der Verlust der ‘Welt’, ‘Weltlosigkeit’, furchtbare existenzielle Folgen für menschliches Leben haben. „Weltentfremdung“ bzw. „Entweltlichung“ bedeutet für Arendt einerseits, dass „gewisse Bevölkerungsschichten ihres Platzes in der Welt beraubt und dem Kampf um das nackte Leben ausgesetzt werden“ (ebd.: 249), und andererseits das „Absterben des Erscheinungsraums und die ihm folgende Verkümmerung des Gemeinsinns“ (ebd.: 204). Zwar untersucht Arendt (1960) diese Entwicklungen vorrangig als allgemeine Tendenzen kapitalistischer Eigentums- und Produktionsverhältnisse; jedoch äußern sie sich in Bezug auf Staatenlose in ihrer wohl radikalsten Form, da sie in ihrem Fall absolut sind oder zumindest werden können, und ihnen somit der Zugang zur und damit die Teilhabe an der (zwischen-)menschlichen ‘Welt’ und ‘Wirklichkeit’ gänzlich verwehrt ist.

      Die Weltlosigkeit der Staatenlosen

      Durch ihre Flucht verlieren die Staatenlosen zuallererst ihre „Heimat“ und damit gleichsam „die Umwelt […], in die man hineingeboren ist und innerhalb deren man sich einen Platz in der Welt geschaffen hat, der einem sowohl Stand wie Raum gibt“ (Arendt 2013: 607). Da ihnen fortan ein neuer ‘Platz in der Welt’ verweigert bzw. der Weg zu diesem versperrt ist, verlieren sie gleichsam „alle jene Bezüge zur Welt und alle jene Bezirke menschlichen Daseins […], die das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit sind und ausschließlich der von Menschen gebildeten Welt entstammen“ (Arendt 2011: 402f.) und das bedeutet für Arendt (ebd.: 401) nicht weniger, als den „Verlust aller menschlichen Beziehungen“. So muss auf die absolute Entrechtung der Staatenlosen also die absolute ‘Entweltung’ bzw. ‘Entweltlichung’ folgen, ihre Ausstoßung aus der ‘Welt’ der Menschen, in der allein sie ein, im Arendtschen Sinne, menschliches, ‘gutes Leben’ führen können, das durch Freiheit, Pluralität und die Möglichkeit zum (politischen) Handeln gekennzeichnet ist. Insofern ihre Meinungen, Überzeugungen und Handlungen – quasi ‘für alle Welt’ – irrelevant geworden sind, sind sie „politisch gesprochen, lebende Leichname“ (Arendt 2013: 614). Recht- und Weltlosigkeit bedingen sich also in letzter Konsequenz wechselseitig; oder anders gesprochen: wenn die Rechtlosigkeit der Staatenlosen sie erst einmal weltlos gemacht hat, haben sie aufgrund ebendieser Weltlosigkeit, die sie der gesicherten Möglichkeit zum ‘sinnvollen’ – also gehörten sowie tatsächlich in Betracht gezogenen – Sprechen wie Handeln und damit der Teilnahme an Politik beraubt, keine bzw. kaum eine Chance, wieder Teil einer politischen Gemeinschaft und damit Teil der Menschheit und/oder menschlichen Welt zu werden – sie bleiben ‘reduziert’ auf das Abstraktum ihres bloßen Da-aber-nicht-in-der-Welt-Seins (ebd. 624). Die Staatenlosen erleiden folglich einen „Namens- und Identitätsverlust“ (ebd.: 597), da sie ihren ‘Standort in der Welt’ verlieren und sich fortan nicht mehr durch Sprechen und Handeln in einer Öffentlichkeit vis-a-vis Anderer individuieren können, und werden dabei auch ihrer sowie jedweder politischen Gemeinschaft und damit „politisch (aber natürlich nicht personal) der Fähigkeit beraubt, Überzeugungen zu haben und zu handeln“ (ebd.: 614) – ihre (Meinungs- und Handlungs-)Freiheit ist nicht die eigentlich politische bzw. in einer politischen Gemeinschaft wechselseitig wie institutionell garantierte; ihre Freiheit ist einzig die „Narrenfreiheit“ (ebd.: 613). Dieser ‘Raub’ aber muss für Arendt der schlimmste aller möglichen Raube sein, betrifft er doch exakt die Fähigkeiten des Menschen, die Arendt für die grundlegenden bzw. grundlegend menschlichen erachtet. In diesem Sinne konstituiert Weltlosigkeit eine im Arendtschen Sinne genuin existenzielle Deprivation. Denn insofern menschliche Existenz das Potenzial mannigfaltiger – aber im Arendtschen Sinne letztlich weltbezogener – Kapazitäten und Möglichkeiten konstituiert, muss Weltlosigkeit dieses Potenzial notwendigerweise radikal beschneiden:

      Der Verlust der Relevanz und damit der Realität des Gesprochenen involviert in gewissem Sinne den Verlust der Sprache, zwar nicht in einem physischen Sinne, wohl aber in dem Sinne, in dem Aristoteles