Magda Trott

Goldköpfchen Gesamtausgabe (Alle 13 Bände)


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doch viel älter als du und weiß selbst, was mir gut tut.«

      Bärbel legte beide Hände auf den Rücken und schaute die Großmutter an. »Der Onkel Doktor sagt immer, wenn er kommt: wenn man krank ist, hat man gar nichts zu sagen, da muß man folgen. – Jetzt gebe ich dir Medizin.«

      »Es wäre mir aber viel lieber, Goldköpfchen, wenn du nach den Zwillingen sehen würdest, die machen gewiß Dummheiten.«

      »O nein, die sind versorgt.«

      »Dann geh hinüber nach der Küche und schicke mir Wanda her.«

      Das Kind kam sich in seiner neuen Würde unendlich wichtig vor. Ehe es das Krankenzimmer verließ, wandte es sich nochmals um: »Soll ich nicht die Schlüssel an mich nehmen?«

      »Die laß nur hier, Bärbel.«

      Auch in der Küche hielt es Bärbel für ihre Pflicht, nach dem Rechten zu sehen.

      »Die Kranke braucht morgen eine Schokoladenspeise. Ich denke, wir werden ihr eine kochen, Wanda.«

      Die beiden Mädchen lächelten über das Kind, das es mit seinen Pflichten so genau nahm.

      Neben allen diesen Aufgaben mußten auch die Schulaufgaben noch erledigt werden, aber Bärbel empfand das alles nicht als Last, im Gegenteil, sie hatte ein Gefühl des Stolzes.

      Ob die Zwillinge wohl noch zeichneten? Sie ging hinüber ins Kinderzimmer. Es war leer. Nicht einen einzigen Strich hatten die beiden Knaben gemacht.

      »Wo die Rangen nur wieder sind?« sagte sie seufzend, »solche Zwillinge machen uns doch recht viel zu schaffen.«

      Die Knaben machten sich sehr bald im Garten bemerkbar. Martin war dabei, Kuno einzugraben. Er stand bereits mit beiden Beinen in einem tiefen Loch, das von Martin zuge schippt wurde.

      »Was machst du denn da?« fragte Bärbel streng.

      »Ich habe den kleinen Jungen eingepflanzt, nun soll er wachsen.«

      »O-o-ch!«

      Bärbels Augen strahlten. Es sah doch zu schön aus, daß Kuno ohne Beine stand.

      »Nun machen wir noch einen Haufen um ihn herum«, schrie Martin und schippte emsig Erde gegen das weißblau gestreifte Waschhöschen.

      »Ich wachse, ich wachse«, kreischte Kuno vor Vergnügen, denn es machte ihm ungeheuren Spaß, in der Erde zu stecken.

      »Wollen wir ihn bis zum Kopf eingraben?« fragte Bärbel.

      »Au ja!«

      Bärbel holte sich eine Schippe, und mit vereinten Kräften schaufelte man um Kuno einen so hohen Berg, daß nur noch der Kopf und die Schultern hervorschauten. »Jetzt stecke ich Blumen auf den Berg«, rief Bärbel, eilte davon, um von den blühenden Sträuchern das Gewünschte zu pflücken.

      »Ich wachse – ich wachse«, frohlockte Kuno immer wieder.

      »Ich werde dich begießen, damit du rascher wächst.«

      Unglücklicherweise stand die Gießkanne gerade in der Nähe, und keuchend schleppte Martin die halbgefüllte Kanne herbei und durchfeuchtete gründlich den Erdhügel.

      Als Bärbel mit den Blumen zurückkehrte, fand sie ein vollkommen durchweichtes Erdreich. Für einen Augenblick machte sie ein bedenkliches Gesicht.

      »Er wird schön dreckig sein.«

      »Er soll doch wachsen!«

      Bärbel sah das ein. Die Kinder besteckten den Erdhaufen mit Blumen und grünen Zweigen, und schließlich brachen sie in lautes Entzücken aus, als das Werk beendet war.

      Onkel Senftleben sollte gerufen werden, damit auch er die eigenartige Blume bestaune, die aus dem Erdhaufen gewachsen war.

      »Ich will raus«, rief Kuno, dem es langsam in der feuchten Erde unbehaglich wurde.

      »Du bleibst schön drin«, sagte Bärbel. »Du sollst wachsen. So einen kleinen Knirps, wie du jetzt bist, wollen wir nicht zum Bruder haben.«

      Als man nach vorn lief, kam gerade ein Leierkastenmann die Straße entlang, dem Bärbel und Martin erfreut lauschten. Kuno war vergessen, dem es immer unbehaglicher in der feuchten Erde wurde.

      Als die Geschwister nicht zurückkehrten, begann er zu weinen, und schließlich befreite er sich aus dem Erdhaufen.

      Martin hatte recht reichlich gegossen. Das feuchte Erdreich klebte an den Beinkleidern, Strümpfen und Schuhen. Aber Kuno achtete nicht weiter darauf, er lief die Treppe empor und betrat das Zimmer der Großmutter, das neben dem Schlafgemach der Kinder lag.

      Frau Lindberg war sprachlos, als sie den schmutzigen Jungen ankommen sah.

      »Aber, Kuno, wie siehst du aus!«

      »Sie wollen, ich soll wachsen«, heulte der Knabe los, dann schlang er beide Arme um die Großmutter, zog die feuchten Knie hoch, so daß das nasse Erdreich auf das weiße Bett fiel.

      »Kuno!« Die Großmutter wehrte den Knaben entsetzt ab.

      Der stand schmutztriefend am Bett. »Ich bin kalt und naß, Großmama, nimm mich doch in dein Bett.« Dabei schüttelte er sich heftig, wobei die feuchten Erdklöße auf Bett und Teppich flogen.

      Frau Lindberg klingelte, Ella kam herein. Das Kindermädchen lachte laut auf, als es den unsauberen Knaben sah. Dann bekam Kuno aber doch Vorwürfe. Er wurde hinüber ins Schlafzimmer genommen, dort mußte er erst gründlich gewaschen werden, und schließlich legte das fürsorgliche Mädchen den fröstelnden Knaben ins Bett. Aber auch Frau Lindbergs Lager mußte gereinigt werden. Kaum war das geschehen, da sprang ein Hemdenmatz in das frischgemachte Bett, um bei der geliebten Großmama Trost und Schutz zu suchen.

      Frau Lindberg merkte bald, daß Kuno das Wachsen nicht bekommen war, denn der Knabe hatte Schüttelfrost. Sie ließ das Bettchen des Kindes in ihr Schlafzimmer herüberbringen und brachte den Kleinen selbst zur Ruhe. Als Bärbel erschien, machte ihr die Großmama wegen des Eingrabens sanfte Vorwürfe.

      »Ich fürchte, Kuno wird krank werden.«

      »Er wird sich bei dir angesteckt haben, Großmama.«

      »Nein, Goldköpfchen, er hat sich erkältet, und zwar durch deine Unvorsichtigkeit.«

      »Dann will ich ihm gleich etwas eingeben und einen Umschlag machen.«

      »Das laß nur bleiben, Kind. Ich habe Kuno hier in mein Zimmer genommen und werde auf ihn aufpassen. Achte du auf Martin, damit er nicht auch krank wird.«

      »Das wird nicht viel nützen, Großmama, als ich damals die Masern hatte, haben die Jungens auch die Masern bekommen. Und wenn Kuno jetzt krank ist, wird der Martin auch krank.«

      »Das wird er nicht, wenn du gut auf ihn aufpaßt.«

      Die Kleine versprach, ihr Möglichstes zu tun. Am Abend brachte sie den kleinen Bruder sorgsam zu Bett.

      »Die Sachen ordentlich hinlegen, du liederlicher Mensch!«

      Martin folgte.

      »Und hier hast du schon wieder ein Loch im Strumpf! Junge, Junge, kannst du denn gar nichts schonen!«

      »Erzähle mir noch was, Bärbel.«

      »Vom Rotkäppchen?«

      Martin schüttelte den Kopf. »Nein – so was, was du dir selber ausdenkst, das ist immer viel schöner.«

      »Das soll ich nicht, aber ich will dir etwas aus der Schule erzählen. Es ist gut, wenn du dabei was lernst. – Nun paß auf. – Es war einmal ein Mann, der hieß Wilhelm Tell, und es war ein anderer Mann, der quälte alle Leute.«

      »Das wird der Schuster von gegenüber gewesen sein.«

      »Sei still, jetzt erzähle ich.« Bärbel berichtete weiter von dem Schweizer. »Und dann versteckte er sich im Gebüsch. Dort kauerte er sich sehr zusammen und paßte auf, daß ihn keiner sähe, denn er wollte hier sein Geschäft