Magda Trott

Goldköpfchen Gesamtausgabe (Alle 13 Bände)


Скачать книгу

selbst, als er die vielen dunklen Flecken sah, die seine Unbedachtsamkeit hervorgerufen hatte.

      Als Goldköpfchen im Flur Hut und Handschuhe ablegte, sah das bedienende Hausmädchen die Flecke.

      »Aber, Kleine, was hast du denn gemacht, dein Kleid ist ja ganz schmutzig.« Sie nahm das erschreckte Kind in die Küche, und dort wurde mit Hilfe von Schwamm und Seife der Schaden leidlich wieder behoben.

      »Warte noch einen Augenblick, Kleine, dann ist dein Röckchen wieder trocken. Stell dich hier ans Fenster.«

      Bärbel fühlte sich recht bedrückt. Das war ein netter Anfang, nun mußte sie mit einem feuchten Kleid zu den anderen Gästen gehen.

      Während sie noch wartend stand, erschien plötzlich ein zweites Mädchen mit verweintem Gesicht.

      »Ich bin den ganzen Weg zurückgelaufen«, schluchzte jene, »aber ich habe das Paket nicht gefunden. Die gnädige Frau verlangt von mir Ersatz.«

      »Wo können Sie es nur verloren haben, Bertha?«

      »Ich hatte so vieles im Arm, da muß mir die Kette herausgerutscht sein. Nun wartet die gnädige Frau darauf.«

      Bärbel horchte auf. »Haben Sie was verloren?« fragte sie scheu.

      Das Hausmädchen begann erneut zu weinen. »Die gnädige Frau hat unserem Fräulein Anita eine Perlenkette beim Juwelier bestellt, die war erst heute mittag fertig. Ich sollte sie abholen, und nun ist die Kette verlorengegangen.«

      »In einem Kasten mit rosa Seide?«

      »Ja.«

      Bärbel hatte das Gefühl, als stürze die Küche mit allem Geschirr über ihr zusammen. Das Kästchen, das sie in den nächsten Minuten Anita überreichen wollte, war ein Geschenk von Frau Schleifer an ihre Tochter. Natürlich würde man ahnen, daß Bärbel die Kette gefunden hatte, und dann lachte man sie noch aus.

      Bärbels Hand umkrampfte den Karton. Was sollte sie tun? Sie sah plötzlich nicht mehr das Gesicht des weinenden Hausmädchens vor sich, sie sah Ella, von der man sagte, daß sie ein Fünfzigpfennigstück veruntreut habe. Bärbel sah sich selbst wieder in der Laube sitzen, vor sich das Buch mit dem Vers: »Leicht schleicht die Lüge sich ans Herz heran, zuerst ein Zwerg, ein Riese hinternach.«

      Noch war jene furchtbare Stunde unvergessen. Nein, Bärbel wollte nicht noch einmal all das Schreckliche durchleben. Sie war eben wieder im Begriff gewesen, etwas Häßliches zu tun, und hatte sich doch damals fest vorgenommen, treu und wahr zu sein. Sie sah die traurigen Augen der Mutter, und das gab dem Kinde die Entschlußkraft.

      »Ich habe das hier gefunden.« Damit reichte Bärbel dem Hausmädchen den eingewickelten Schmuckkarton.

      Es war die Kette. Das Mädchen war überglücklich und stürmte davon. Aber auch Bärbel hatte plötzlich ein Gefühl der Befriedigung, das allerdings zusammenbrach, als sie jetzt den beschmutzten und eingedrückten Karton vor sich sah. O, warum hatte sie genascht! Nun fehlte aus dem Kasten das beste Stück. Diesen Kasten konnte sie unmöglich schenken. Es war wohl das Richtigste, wenn sie rasch wieder heimging und auf das Freudenfest verzichtete.

      Sie huschte hinaus in den Flur, lief aber dort Frau Schleifer in die Arme.

      »Ah, da bist du ja auch, mein Kind, Anita wartet schon auf dich. O, wie hübsch du aussiehst!«

      In Bärbels Brust hämmerte das Herz stürmisch. Sie hielt krampfhaft den zerbrochenen Karton in der Hand und ließ sich von Frau Schleifer in das große Erkerzimmer führen.

      Anita war von Freundinnen und Freunden umringt. Sie kam Bärbel nicht entgegen, sondern winkte nur mit der Hand. Goldköpfchen hatte ein Gefühl, als hinge ihm Blei an den Füßen. Die vielen Menschen würden furchtbar lachen, wenn sie den unsauberen und bestohlenen Karton der Schulkameradin reichte.

      »Ich gratuliere dir zum Geburtstage«, stammelte sie, »und wünsche dir alles Gute.« Die Hand mit dem Karton wanderte auf den Rücken. Dafür überzog sich Bärbels Gesicht blutrot.

      »Du hast mir da wohl etwas mitgebracht?« fragte Anita.

      Bärbel sagte nichts. Mit gesenktem Kopf stand sie vor Anita, regungslos.

      »Du bist ’ne nette Freundin, – warum willst du mir das Geschenk nicht geben? Ich weiß schon, Parfüm aus der Apotheke.«

      »Nein«, stieß Bärbel jämmerlich hervor.

      »So zeig’ doch!« Anita griff hastig zu und entriß Bärbel den Karton.

      Enttäuscht schaute sie auf das Geschenk. »Der ist ja schon kaputt.«

      »Er ist mir runtergefallen und dann – dann …«

      »Na ja«, meinte Anita, »ihr scheint nicht viel zu verdienen. Deine Eltern sind wohl nicht reich?« Damit stellte sie mit einem verächtlichen Lächeln den Karton auf den Gabentisch.

      »Ha – nu nimmt sie ihn ja doch«, rief Georg, »ich denke, du willst keine Schokolade!« Das Weitere verging in dem Redeschwall der Anwesenden. Endlich rief man zu Tische. Anita nahm den Arm eines jungen Mannes und schritt voran ins Nebenzimmer, in dem die Kaffeetafel gedeckt war.

      Es gab reichlich zu essen, aber trotzdem wollte eine echte Kinderfröhlichkeit nicht aufkommen. Anita führte das große Wort, sprach viel von der Tanzstunde und von dem Kleide, das sie zum Tanzstundenballe bekäme, und ließ die anderen kaum zu Worte kommen. Dann machte man Pfänderspiele, bei denen die Kleineren vollkommen ausgeschaltet wurden. Anita und die jungen Mädchen und Herren aus der Tanzstunde neckten sich untereinander, so daß sich Bärbel, Maria und Hanna vernachlässigt fühlten. Es langweilte sie, was die anderen spielten.

      Nun mußte Anita als Pfand einen Tanz aufführen, zwei junge Mädchen mußten gemeinsam tanzen, und die anderen saßen interesselos daneben.

      »So was Stumpfsinniges«, brummte Georg, »ich verderbe mir jetzt den Magen und geh dann nach Hause.«

      Er sprach der herumgereichten Speise übermäßig zu und beteiligte sich nicht am Spiele der anderen. Auch Bärbel gähnte, und Maria weinte, weil man sich gar nicht um sie kümmerte.

      Da wurde ein Tänzchen vorgeschlagen. Anita verschwand und kehrte bald darauf in einem Rokokokostüm zurück.

      »Ich tanze euch jetzt etwas vor.«

      Dann wurde allgemein getanzt, aber natürlich engagierten sich nur die untereinander, die bereits Tanzstunde hatten. Die anderen saßen gelangweilt umher, zumal sie die modernen Tänze nicht kannten. Als einige wagten, auf gut Glück loszutanzen, wurde Anita sehr grob und verwies ihnen dieses alberne Hopsen.

      Weder Herr noch Frau Schleifer ließen sich sehen, und so hatte Anita allein das große Wort. Sie betrachtete sich natürlich als Hauptperson und kümmerte sich nicht um ihre Schulkameradinnen.

      »Jetzt kommt ein Kostümtanz meiner Wenigkeit mit Herrn Zimmermann. Wir kleiden uns dazu nur rasch um.«

      Anitas Stimme klang schrill durch den Raum.

      »Ich geh’ nach Hause«, erklärte Georg, »kommst du mit? Wollen wir noch zum Schuster gehen?«

      Bärbel war sehr verärgert. »Da hat sie nun gesagt, es wird sehr schön werden, und nun ist gar nischt.«

      »Ich hab’ nicht mal zum zweiten Male von der Speise gekriegt«, weinte Maria.

      »Ich hab’ viermal genommen«, frohlockte Georg.

      »Jetzt gibt’s ja doch nischt mehr«, meinte Hanna, die ebenfalls sehr beleidigt war, »ich geh’ auch nach Hause.«

      Georg war schon auf den Flur gelaufen, hatte sich seinen Hut vom Haken geangelt, machte rasch noch einmal die Zimmertür ein wenig auf und winkte den drei in der Zimmerecke sitzenden Schulgefährtinnen listig zu.

      »Er geht«, sagte Bärbel bewundernd, »der ist schlau!«

      »Ich geh’ auch«, piepste Hanna.

      Wenige Minuten später trotteten die drei Mädchen heimwärts.