mir jetzt einen großen Gefallen tun. Ich darf nicht raus aus dem Zimmer, aber ihr geht ins Wohnzimmer, legt euch an die Tür und paßt genau auf, was die Greger der Mutti erzählt. Ihr müßt aber sehr leise sein, damit sie nebenan nichts hört.«
»Komm doch mit!«
Bärbel überlegte. Die Mutter hatte zwar gesagt, daß sie Arrest habe, doch meinte sie damit sicher, daß sie heute das Haus nicht mehr verlassen dürfte. Um die Zeichenaufgabe zu machen, mußte sie ja doch in den Flur gehen, weil dort das Reißbrett stand.
Sie ließ sich von den Brüdern überreden, und nun lagen die drei Wagnerschen Kinder auf dem Boden. Sie lagen platt wie an die Diele angeklebt, damit man sie durch die in halber Höhe der Tür angebrachten Glasscheiben nicht sehen konnte. Auf dem Bauche hatte man sich an die Tür herangeschlängelt und horchte auf das Sündenregister, das Fräulein Greger aufzählen würde.
Sie sprach. Sie hielt es für ihre Pflicht, wieder einmal über Bärbel zu berichten, die im allgemeinen jetzt brav sei, aber in letzter Zeit durch die übermütige Lore Bruns wieder schlimme Streiche aushecke.
Atemlos lauschte Goldköpfchen. Dann folgte die Geschichte mit der verschlossenen Tür.
»Ich hätte Bärbel diese Unart nicht zugetraut«, sagte Fräulein Greger, »jedem anderen der Kinder, aber nicht Bärbel.«
»Ich war’s ja auch gar nicht«, grollte das Kind leise; aber die Worte waren immerhin so laut gesprochen, daß Frau Wagner den Kopf nach der Tür wandte. Und während Fräulein Greger weitersprach, hörte sie von dort her allerlei leise Geräusche.
Da erhob sie sich, öffnete mit einem Ruck die Tür, und nun sah man die drei auf dem Bauche liegenden Kinder, die überrascht die Köpfe hoben und Mutter und die Schulvorsteherin anstarrten. Ebenso rasch, wie die Tür geöffnet wurde, war sie wieder geschlossen, denn obwohl Frau Wagner das Lauschen ihrer Kinder empörend fand, überkam sie doch ein so gewaltiger Lachkrampf, daß sie es für richtiger hielt, die Tür wieder zwischen sich und die Kinder zu legen.
Aber auch über Fräulein Gregers würdiges Gesicht glitt ein Lächeln. »Der Horcher an der Wand hört seine eigene Schand«, sagte sie laut. »Ich hatte nicht geglaubt, daß Bärbel horcht.«
Frau Wagner hatte die Lachlust niedergekämpft und rief nach der Tochter.
So stand die kleine Sünderin vor der Schulvorsteherin, aber der Kopf hing jetzt nicht herab, kampfbereit blitzten die Augen Fräulein Greger an.
»Ich habe heute früh die Anita nicht verklatschen wollen, aber sie hat die Tür verschlossen, und dann hat sie wie eine Heuchlerin dagesessen.«
Keinen Augenblick setzte man in Bärbels Worte Zweifel, nur Fräulein Greger sagte vorwurfsvoll: »Warum hast du das nicht gleich heute früh gesagt?«
»Sie hätte sich ja selber melden können. Aber ich werde mich an ihr rächen.«
»Und wer hat die Tafel umgeworfen?«
»Die ist halt so auf mich draufgefallen, mit Absicht habe ich sie nicht umgeworfen.«
Die Vorwürfe, die das Kind erhielt, waren keine zu großen, denn Frau Wagner war gar nicht in der Stimmung, jetzt ernstlich böse zu sein. Bärbel war nun einmal ein Unglückskind, das heute schon durch ein Mißverständnis unverdiente Schläge erhalten hatte. Da durfte sie nicht mehr zu streng ins Gericht gehen. Trotzdem gab es Ermahnungen, – und mit erleichtertem Herzen verließ Bärbel das Zimmer.
Zwei Tage später lag wieder einmal über der vierten Klasse diese verhaltene Spannung. Bärbel behandelte ihre Schulmappe mit größter Aufmerksamkeit und Vorsicht. Von Zeit zu Zeit warf Lore einen verständnisinnigen Blick darauf, dann tauchten die Augen der Freundinnen mit pfiffigem Ausdruck ineinander.
Die englische Stunde kam heran. Gelangweilt saß Anita in der Bank und machte sich an dem weißen Spitzenkragen zu schaffen, der das tiefdunkelblaue Seidenkleid zierte. Um den entblößten Hals trug sie eine dreireihige Perlenkette.
Auf diesem Halse ruhten schon längere Zeit Bärbels Blicke. Wenn sich Anita nach vorn neigte, entstand zwischen Kleid und Nacken eine Lücke. Wieder glitt ein verständnisvoller Blick zwischen Lore und Bärbel hin und her, dann raschelte es ein wenig, eine gut verschlossene Papiertüte kam hervor, die von Goldköpfchen behutsam geöffnet wurde. Ein rascher Griff in die Tüte – eine hastige Handbewegung nach dem Ausschnitt hin …
»Hilfe, hier krabbelt etwas!« Es war Anita.
»Oah – nicht so Geschrei!« tadelte die Miß.
Anita sprang auf. »In mir krabbelt etwas!«
»Ich werde Nachsehen«, sagte Bärbel und schob den Maikäfer, der Anstalten zum Fortfliegen machte, noch tiefer hinunter auf den Rücken der Mitschülerin. »Ich sehe nichts!«
Währenddessen hatte Lore mit spitzen Fingern in die Tüte gelangt und setzte Anita einen zweiten Maikäfer auf die Perlenkette.
Der Käfer am Rücken wurde unruhig. Anita tanzte wie eine Irre im Zimmer umher, schlug mit Armen und Beinen um sich, vergaß alle angelernte Grazie und schrie laut: »Hilfe, Hilfe, es krabbelt!«
Die Miß wurde unruhig. Ihre Gedanken gingen zu dem Mäuschen, sie hatte den Schreck noch immer nicht überwunden.
»Ach – ein großer Käfer kriecht an dir, – ein Maikäfer!«
»Hilfe, Hilfe!«
Hanna sorgte dafür, daß der am Rücken emporkrabbelnde Käfer immer wieder zurückgestoßen wurde. Sie hatte Mühe, die sich wie wahnsinnig gebärdende Anita festzuhalten.
Aber endlich gelang es den Käfern, davonzuschwirren: und nun war der Aufschrei an Miß Irwing.
Lore und Bärbel lachten. Was würde das erst für einen Spaß geben, wenn sie die Tüte mit den zehn Käfern öffnete.
Die Engländerin bemühte sich, die Maikäfer aus dem geöffneten Fenster zu jagen, Maria und Hanna halfen ihr dabei; und bald war die Ordnung wieder hergestellt. Aber als man dann beim Diktat saß, zog Bärbel die Tüte hervor und steckte sie der instruierten Lore hinten in den Halsausschnitt.
Srrrrrr – der eine Maikäfer flog im Zimmer umher.
»Widder so eine Tier!«
Srrrrrr – der zweite Käfer entfloh.
Die Jagd begann erneut; aber je länger Miß Irwing sich bemühte, um so mehr Käfer kamen angeflogen, und wieder schaute die arme Miß nach der Tür, überlegend, ob sie auch heute ausreißen sollte.
Lore und Bärbel kicherten ständig. Ein Maikäfer nach dem anderen war entflohen, die leere Tüte wurde rasch entfernt. Mit der englischen Stunde wurde es natürlich nichts, das Diktat war nicht geschrieben und die Maikäfer glücklich beseitigt.
Doch die Rache Bärbels war noch immer nicht gekühlt. Sie hoffte auf die Rechenstunde.
Und es gelang! Der Unterricht war vorüber, Maria hatte die Aufgabe, die Tafel von den Kreidezahlen zu reinigen. Die anderen packten ihre Mappen zusammen, Lore schlängelte sich heuchlerisch freundlich an Anita heran.
»Du hast aber feine Schuhe an.«
»Freilich, sie sind ganz neu.«
»Ist das echter Lack?«
»Natürlich, ich trage nur echten Lack.«
»Tipp mal mit dem Finger darauf, ob es einen Fleck gibt.«
Ahnungslos beugte sich Anita nach vorn, Lore stellte sich ungeschickt, band aus Versehen die seidenen Bänder auf, und so war Anita gezwungen, die Schleifen neu zu knüpfen. Diesen Augenblick benutzte nun Bärbel, um ihr Rachewerk auszuführen. Sie hielt schon lange die angespitzte Kreide in der Hand, und da sie vortrefflich zeichnen konnte, entstand auf Anitas verlängertem Rücken ein zweites Gesicht. Es sah wundervoll auf der dunklen Seide aus. Die schiefen Schlitzaugen, die lange Nase und der breite Mund würden unzweifelhaft das Gelächter aller Leute auf der Straße erregen.
Die