war die einzige, die den Mut fand, den Schlüssel umzudrehen. Sie war daher auch die erste, die vor der zürnenden Schulvorsteherin stand.
»Also du!«
Tiefste Stille. Niemand wagte einen Laut von sich zu geben. Die Tafel war auch noch nicht aufgerichtet, die Bänke verschoben, der Stuhl auf dem Katheder umgestürzt.
»Was bedeutet das?«
Hinter der zürnenden Schulvorsteherin erschien die Miß. Sie sah so jämmerlich aus, daß Bärbel, obwohl es ihr gar nicht spaßhaft zumute war, das Lachen nicht unterdrücken konnte. Sie konnte die Augen nicht von der Miß lösen, die im Augenblick gar keinen Hals zu haben schien, die den Kopf ruckweise nach allen vier Zimmerecken drehte.
»Was ist hier geschehen? Gib Antwort, Bärbel.«
Es war dem Kinde unmöglich, ernst zu bleiben. »A – Maischen«, stammelte das Kind, nach Fassung ringend, dann aber lachte es los.
»Du lachst auch noch?«
»Entschuldigen Sie«, stotterte Bärbel, »aber …« und dann erklang wieder silberhelles Lachen aus dem Kindermunde.
»Du stellst dich sofort in die Ecke, und ihr …«
Lore war ebenfalls noch nicht ernst geworden, und ehe sich Bärbel erhob, um die Ecke aufzusuchen, flüsterte sie ihr zu: »In die Ecke, zu das Maischen!«
Da lachten beide Kinder erneut auf, und Fräulein Greger bekam einen dunkelroten Kopf.
»So etwas habe ich noch nicht erlebt! – Nun berichten Sie, Miß Irwing, was vorgefallen ist.«
»Oah yes!«
Bärbel stand in der Ecke und drückte sich die Fäuste fest auf den Mund. Sie fühlte, daß Fräulein Greger ernstlich erzürnt war, wollte nicht lachen, aber das kostete furchtbare Anstrengung.
Schließlich wurde Hanna Hasselmann aufgerufen, und das verschüchterte Kind erzählte stockend, daß eine Maus im Zimmer gewesen wäre, die sie alle in Angst und Schrecken versetzt habe.
»Dazu muß die Klassentür abgeschlossen werden?«
Alle schwiegen.
»Ich gehe heute nachmittag zu deinen Eltern, Bärbel, denn in dir allein sehe ich die Anstifterin dieser Unarten.«
Bärbel drehte sich um, schaute Anita mit blitzenden Augen an, eine stumme Aufforderung, die Tat zu gestehen. Aber Anita hatte einen frommen Blick in den Augen und schaute unschuldig die zürnende Schulvorsteherin an. Schweigend ballte Bärbel die Hand zur Faust und schwur sich in diesem Augenblick, an Anita Rache zu nehmen.
»Ihr bleibt heute alle eine ganze Stunde nach«, sagte schließlich Fräulein Greger, »denn daß ihr alle an der Unart beteiligt gewesen seid, ist klar. Und jetzt verlange ich, daß ihr euch anständig betragt. Miß Irwing wird mir nachher Bericht geben.«
Die Schulvorsteherin entfernte sich wieder, aber eine rechte Ordnung wollte nicht eintreten, denn die Engländerin fürchtete noch immer das Erscheinen der Maus. Bärbel und Lore waren voller Zorn und überlegten, welchen Schabernack sie der falschen Mitschülerin spielen konnten. Hanna weinte, und Maria war ebenfalls sehr still und gedrückt. Sie schämte sich, daß sie heute schon wieder nachsitzen mußte.
»Eine Memme ist sie«, flüsterte Bärbel der Freundin zu, »oh, sie soll mich kennenlernen.«
»Oah yes«, erwiderte Lore, und wieder war es fast mit Bärbels Fassung vorbei.
Man atmete allerseits erleichtert auf, als die Stunde beendet war. Miß Irwing verließ geradezu fluchtartig die Klasse, in der sie heute einen solchen Schreck ausgestanden hatte.
»Pfui über dich!« mit diesen Worten ging Bärbel auf Anita zu.
»Ein elender Feigling bist du«, pflichtete ihr Lore bei.
»Ich würde mich schämen, eine so gemeine Kreatur zu sein«, fuhr Bärbel erregt fort. »Pfui, wie kann man lügen! Wenn ich jetzt daheim von den Eltern ausgescholten werde, – na, dann geht es dir schlecht!«
»Ihr habt angefangen, Lore hatte die Maus mitgebracht, und du hast die Tafel umgeworfen.«
»Du hast die Tür abgeschlossen«, ereiferte sich Bärbel, »und nun bist du so jämmerlich feige und hast es nicht gesagt. Die Augen kannst du verdrehen, aber die Wahrheit reden kannst du nicht.«
Anita wandte sich achselzuckend ab und achtete nicht weiter auf die erregten Schulgefährtinnen. Dagegen gesellten sich Maria und Hanna hinzu, die ebenfalls über Anitas Verhalten empört waren; und bald blitzten Bärbels Augen wieder triumphierend. Das Komplott war geschmiedet.
Aber an diesem Vormittage hatte Bärbel nochmals Unglück. Als die fünf Mädchen gegen ein Uhr sehr kleinlaut die Schule verließen, begegneten sie einem Eselfuhrwerk. Ein Zigeuner ging neben dem Tier her, hielt plötzlich an und rief mit lauter Stimme, ob jemand Lumpen oder Knochen zu verkaufen habe.
Der Esel war natürlich für die Mädchen sehr interessant. Lore hatte noch ein Stück Brot in der Mappe, das reichte sie dem Tier. Anita aber kniff Meister Langohr in den Schwanz, so daß das Tier mit dem Hinterbein ausschlug. In diesem Augenblick kam der Besitzer des Esels an den Wagen heran, glaubte, daß die danebenstehende Bärbel das Tier gequält habe, und versetzte Goldköpfchen eine schallende Ohrfeige.
Der Schlag war so heftig gewesen, daß Goldköpfchen zu weinen begann. Einmal war es die Empörung über die ungerechte Behandlung, dann aber auch der Schmerz. Laut schluchzend kam sie in der Apotheke an und traf dort den Vater.
»Jetzt kommst du erst heim? – Hast du wieder nachgesessen? – Was hast du getan?«
»Ich habe die englische Miß geärgert, aber dem Esel habe ich nichts getan!«
Herr Wagner war empört. Er dachte nichts anderes, als daß Goldköpfchen die Lehrerin mit diesem Schimpfworte belegte. Er holte aus und versetzte dem Kind eine Ohrfeige.
»Ich will dich lehren, deine Lehrerinnen mit solchen Namen zu bezeichnen.«
Nun heulte Bärbel noch lauter.
»Geh fort, ich will dich nicht mehr sehen.«
Das Kind stieg die Treppe empor und traf die Mutter.
Auch sie machte ein strenges Gesicht.
»Warum weinst du?« fragte sie kurz.
»Der Vati hat mich geschlagen, und dabei habe ich dem Esel doch nichts getan.«
»Bärbel!«
Aber Bärbel fühlte sich zu tief gekränkt, um eine nähere Erklärung zu geben. Sie setzte sich auf die Treppe und barg das Gesicht in den Händen.
Fassungslos schaute Frau Wagner auf ihre Tochter. Sie glaubte, nicht recht gehört zu haben. Es war doch unmöglich, daß ihr Goldköpfchen so respektlos vom Vater sprach. Wo war der schlechte Einfluß zu suchen?
Wortlos ging sie davon.
Kurz vor dem Essen erschien Ella, das Hausmädchen, und teilte Bärbel mit, daß sie heute nicht zu Tisch kommen dürfe, sie solle im Kinderzimmer bleiben.
Bärbel senkte das Köpfchen schuldbewußt. Einmal war es das Nachsitzen, dann aber vielleicht Fräulein Greger schon bei den Eltern gewesen und hatte alles erzählt. Nun würde sie wieder lange sehr brav sein müssen, um die Eltern zu versöhnen.
Währenddessen tauschte Wagner mit seiner Frau die Gedanken aus.
Man wollte es nicht glauben, daß sich die Tochter in ihrer Erregung soweit vergaß und den geliebten Vater mit so häßlichen Ausdrücken belegte.
»Ich werde nachher zu Bärbel gehen«, sagte Frau Wagner, »und ernstlich mit ihr reden.«
Das Mißverständnis klärte sich zwar rasch auf; als man aber erfuhr, wie sich Goldköpfchen heute in der Klasse betragen hatte, gab es Stubenarrest, obwohl Bärbel den Spaß mit der Maus äußerst vorsichtig erzählte.
Um