da ist?« flüsterte Bärbel der Freundin zu. Seit einigen Tagen wurde Anita von dem jungen Dentisten aus der Schule abgeholt.
»Da steht er«, hauchte Lore, und dann stoben die beiden davon, blieben aber in Sehweite.
An der Seite des jungen Mannes schritt die lächelnde Anita dahin. Sie lächelte sogar noch, als einige Schüler der nahen Volksschule neben ihr herliefen.
»Wie sieht die denn aus? – Die hat ja hinten Augen!«
Aber das Gelächter wurde immer größer. Anita merkte schließlich, daß sie die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden erregte, und wandte sich an ihren Begleiter.
»Warum lachen denn die Leute alle?«
Auch dem jungen Dentisten war es peinlich. Er betrachtete prüfend seine Begleiterin und sah die Fratze auf deren Hinterfront.
Er hatte nicht den Mut, auf offener Straße das Bild abzuwischen, das ging auch gar nicht, und so entfernte er sich mit einer schnell gestammelten Entschuldigung, daß er zu einem Kunden eilen müsse. In recht verletzender Art ließ er Anita stehen.
»Kieck doch von hinten!« rief ein Junge.
Anita drehte sich geziert um die eigene Achse, sie wurde verlegen, denn immer lauter johlten die Kinder der Straße.
»Steck doch das zweite Gesicht in die Hose!«
»Nee – wie die aussieht!«
Irgend etwas mußte an ihr in Unordnung geraten sein. Sie eilte in ein Haus hinein, entdeckte aber nichts an sich. Einige Knaben folgten ihr; der eine schlug sie mit der flachen Hand auf die Fratze.
»Ick will dir ja nur abkloppen!«
»Frecher Bengel!«
»Na, dann loof mal weiter mit det Gesicht!«
Wie ein paar Verbrecher huschten Bärbel und Lore hinter Anita her. Sie sahen schließlich, wie sich die Schulkameradin in Laufschritt setzte, die Mappe auf den Rücken hielt und dem elterlichen Hause zusteuerte.
»Sie wird nicht wieder zuschließen« frohlockte Bärbel, »morgen sage ich es ihr, daß ich ihr das eingebrockt habe. Die wird schon noch vor uns Dampf kriegen.«
Als Anita daheim die Zeichnung sah, stampfte sie mit dem Fuße auf. Sie ahnte, daß ihr Bärbel diesen Streich gespielt hatte. Am meisten aber schmerzte es sie, daß sie von dem netten Dentisten verlassen worden war. Aber an Bärbel wollte sie Rache nehmen.
Schon zwei Tage später führte Anita ihren Plan aus. Sie schlängelte sich an Bärbel heran und streute ihr ins Kleid unauffällig ein Pulver. Es dauerte gar nicht lange, da wurde das ahnungslose Goldköpfchen unruhig, rieb sich Rücken und Hals und bekam von Fräulein Fiebiger einen Verweis.
»Sitze ruhig, Bärbel!«
Anitas Augen glühten vor Freude, das Juckpulver würde sich immer mehr bemerkbar machen.
»Du sollst ruhig sitzen, Bärbel.«
»Ich muß in der Pause in einen Ameisenhaufen getreten sein«, erwiderte die Gescholtene, »es juckt überall!«
»Du bildest dir oftmals etwas ein.«
Aber Bärbel konnte nicht ruhig sitzen. Rücken, Schultern und Hals brannten, Goldköpfchen sprang auf und schüttelte den Körper hin und her.
»Fräulein, ich habe doch Ameisen oder Wanzen.«
»So geh hinaus.«
»Darf ich mitgehen, Fräulein, ich werde Bärbel helfen«, fragte Anita.
»Gut.«
Aber die heimtückische Anita verschlimmerte das Übel nur noch. Als sich Bärbel des Kleides entledigt hatte, gab sich Anita den Anschein, als suche sie nach Ameisen, währenddessen streute sie auch vorn in den Hals das abscheuliche Juckpulver. Auch die Strümpfe blieben nicht verschont.
»Ich habe dir drei Ameisen abgelesen«, sagte sie freundlich, »jetzt wirst du Ruhe haben.«
Bärbel ging mit Anita zurück ins Klassenzimmer. Aber kaum hatte sich der Körper wieder etwas erwärmt, als das Juckpulver erneut seine Wirkung tat.
»Ich halt’s nicht mehr aus«, sagte Goldköpfchen weinerlich, »ich muß hundert Ameisen in mir haben.«
Fräulein Fiebiger wurde böse. »Wenn du nicht still sitzt, lasse ich dich nachsitzen.«
»Es geht aber wirklich nicht«, schluchzte Goldköpfchen auf.
»So geh nochmals hinaus und ziehe dir das Kleid ab.« – Diesmal kam Anita nicht mit. Bärbel entledigte sich aller Kleidungsstücke und bemerkte nun das feine, weiße Pulver, das aus der Wäsche fiel, und die brennend roten Flecken am Körper. Von Juckpulver hatte sie durch den älteren Bruder schon mehrfach gehört, und sofort wußte sie, daß Anita die Anstifterin war. Darum also hatte sich die Schulkameradin an ihrem Halsausschnitt zu schaffen gemacht. Auch das kleine Tütchen hatte Bärbel bemerkt, das Anita in der Hand gehalten hatte, als sie ihr die Ameisen ablesen wollte.
Bärbel war empört. Sie schüttelte die einzelnen Stücke gut aus, wusch auch im Waschraum den Körper ab. Mitten in dieser Beschäftigung erschien Maria. Fräulein Fiebiger hatte das Kind hinausgeschickt, um Bärbel herein zu holen.
Goldköpfchen berichtete mit funkelnden Augen von der Niedertracht Anitas. »Sie soll an uns denken!«
Im Flüstertone wurde ein neues Komplott geschmiedet.
Währenddessen saß Fräulein Fiebiger unruhig auf dem Katheder. Vor zehn Minuten war Bärbel hinausgegangen und kam nicht wieder. Auch Maria war schon seit einer Weile verschwunden. Es war wohl das beste, sie ging selbst hinaus, um nachzusehen, was vorgefallen sei.
Die beiden Kinder hatten sich eingeschlossen, weil Bärbel noch immer ihre Sachen ausklopfte und ausschüttelte, Maria half dabei. Da hörten sie draußen den Schritt und eine Stimme:
»Kinder, seid ihr da?«
War es die Erregung oder die Überraschung, kurzum, Bärbel glaubte, in der Stimme Anita erkannt zu haben.
»Sie schickt uns Anita nach«, flüsterte sie der Freundin zu.
»Na warte!«
Bärbel war nur mit dem Hemdchen bekleidet, sie tauchte rasch das Handtuch in die Waschschüssel, wand es leicht zusammen. »So, das ist meine Keule!«
Im nächsten Augenblick wurde die Tür aufgeriegelt, ein klatschender Schlag mit dem nassen Handtuch in Fräulein Fiebigers Gesicht; aber in demselben Augenblick hatte Bärbel auch ihren Irrtum erkannt. Das war nicht Anita, das war Fräulein Fiebiger in eigener Person.
Die Lehrerin war zurückgetaumelt, denn der Schlag war mit ziemlicher Wucht geführt. Goldköpfchen hatte vor Schreck alle Fassung verloren. Barfuß, nur im Hemd, stand sie vor der erstarrten Lehrerin.
»Was ich aber auch für Unglück hab’«, stammelte sie, »ich wollte Sie nicht hauen, wirklich nicht, – ich wollte Anita verkeilen. Sie hat mir das Juckpulver hereingeschüttet.«
»Wir beide sprechen uns noch!« Fräulein Fiebiger ging hochaufgerichtet davon und wischte sich, als sie außer Sehweite war, das nasse Gesicht ab.
Da stand nun Goldköpfchen, zerknirscht, und sah wieder dunkle Wolken, die sich über seinem Haupt zusammenzogen.
»Ich hab’ doch gedacht, es ist die Anita!«
»Zieh dich nur rasch an«, sagte Maria, »und komm mit. Wir müssen uns bei Fräulein Fiebiger entschuldigen.«
Bärbel war vollkommen verstört. Es zog sich an, aber in der Erregung vergaß es das Unterröckchen anzulegen. Auch die Schuhe wurden auf die falschen Füße gezogen.
Mit niedergeschlagenen Augen betraten die beiden Kinder das Klassenzimmer und näherten sich Fräulein Fiebiger.
»Setz dich hin«, klang es streng zurück, »wir werden nachher vor Fräulein Greger zusammen sprechen.«