wollen sie nun was Gutes tun, und das viele Geld ist da, doch die Jungens sind ausgerückt. Ich habe keinen mehr, der Zirkus macht, und den Maulesel habe ich auch nicht bekommen. Auch nicht den Hund. Mutti, sie sagten, sie brauchen das nicht, sie machten alles alleine. Nu sind sie ganz weg!«
Dicke Tränen liefen dem Kinde übers Gesicht. »Nu müssen wir das viele Geld wieder zurückgeben.«
Einige Damen, die in der Nähe saßen, versuchten Pommerle zu trösten.
»Wenn die Knaben nicht wollen, mußt du uns etwas vorsingen. Vielleicht kannst du etwas.«
»Die Eva kann singen, mit der Eva werde ich was singen, aber – das ist doch kein Zirkus.«
»Das macht uns auch Freude, Pommerle. Vielleicht könnt ihr auch ein hübsches Gedichtchen sagen, etwas recht nettes.«
»Die Eva hat uns doch vorhin solch hübsches Gedicht gesagt.«
Man wurde aufmerksam, von Mund zu Mund pflanzte sich das Mißgeschick Pommerles fort. Das kleine reizende Mädchen tat allen Anwesenden leid. Und plötzlich schallte es durch die Reihen:
»Pommerle und Eva sollen uns etwas singen oder ein Gedicht sagen. Das ist viel schöner als der Zirkus.«
Pommerles Augen leuchteten auf. Singen, oh, das wollte sie gern. Wenn die Leute all das schöne Geld nicht wiederhaben wollten, würde sie immerfort singen, und Gedichte konnte sie auch.
»Anfangen – anfangen, Pommerle soll singen und ein Gedicht sagen.«
Pommerle lief ins Zelt zurück, verständigte sich rasch mit Eva, und bald klang es aus dem Innern des Zeltes heraus, mit kleinen, feinen Stimmchen, doch unendlich innig gesungen:
»O Schlesien, o Schlesien, du geliebtes Land,
Teure Heimat, wo die Wiege unserer Kindheit stand.
Überall auf Gottes Erden, mag es schön und herrlich sein,
Doch am schönsten ist es immer, in der Heimat nur allein.«
Brausender Beifall brach los. Pommerle war geradezu erschrocken, als die Leute klatschten.
»Bravo, bravo«, klang es von allen Seiten. »Nun noch ein Gedicht. Aber den Vorhang aufziehen. Wir wollen die kleinen Sängerinnen sehen.«
Pommerle stürzte von innen an die Zeltbahn heran, hielt sie mit beiden Händen fest. Ach nein, nicht vor der großen Menschenmenge singen. Wenn man all die vielen Leute sah, kam ihnen kein Ton aus der Kehle.
Draußen klatschte man immer lauter. Die beiden Kinder sahen sich an, strahlendes Glück stand in ihren Augen. Von draußen versuchte man die Zeltbahn zurückzuschlagen.
»Wir wollen Pommerle und Eva sehen!«
Schließlich drangen einige Leute ins Innere des Zeltes. Wie mit Blut übergossen standen die beiden Mädchen vor den Zuschauern. Auch jetzt wieder klang ihnen lauter Beifall entgegen.
»Singt noch ein Liedchen oder sagt uns ein Gedicht.«
»Die Sibylle soll singen«, stotterte Pommerle.
Ein großer Herr mit weißem Schnurrbart stand neben den Kindern. Pommerle erkannte den guten alten Onkel nicht, es hatte entsetzliche Angst, klammerte sich immer fester an die Zeltbahn und schickte die Blicke suchend zu den Eltern.
Professor Bender kam näher, er merkte die große Unruhe seines Töchterchens.
»Du wirst schon noch ein Lied singen müssen, Pommerle. All die Leute haben bezahlt und wollen etwas hören. Nur Mut, ihr kleinen Mädchen, ihr wollt doch den Armen und Kranken helfen. Beschämt nun einmal die Jungens, die euch fortgelaufen sind.«
»Ein Gedicht, ein Gedicht«, klang es von allen Seiten.
»Vati, was soll ich denn sagen? Vom Doktor Eisenbart oder vom Räuberhauptmann oder – oder – –«
»Etwas recht Schönes. Der liebe Gott wird dir das Richtige eingeben.«
Zwei Kinderhände falteten sich, zwei blaue Augen richteten sich nach oben. Dann begann Pommerle:
»Gott, du hast bei Tag und Nacht
Deine Kinder treu bewacht,
Höre drum auch unser Fleh'n,
Die wir betend vor dir stehn.
Gib uns Hoffnung, Glauben wieder,
Deutsche Schwestern, deutsche Brüder,
Nimm in deine treue Hand
Unser liebes Vaterland.
Hilf uns, daß aus Not und Weh
Unser Deutschland neu ersteh!«
Einige Augenblicke war es mäuschenstill. Pommerle ließ seine Blicke über die vielen Menschen schweifen und dachte daran, daß alle die Leute gekommen waren, um die Kasse für die Armen und Kranken zu füllen. Wenn nur die Leute ihr Eintrittsgeld nicht zurückhaben wollten, das auf dem Teller lag. Dieser Gedanke verursachte der Kleinen geradezu Pein. Angstgequält rief Pommerle plötzlich mit lauter Stimme:
»Lieber Gott, hilf auch denen, die krank sind und hungern, und allen denen, die in finsteren Kellern wohnen. Laß alle Leute recht viel geben, auch wenn wir keinen Zirkus machen konnten, dann braucht keiner mehr vor Angst zu sterben.«
Mit diesen Worten lief das Kind davon und verkroch sich hinter dem Zelt. Der Riesenmut, der es soeben noch erfüllt hatte, war ganz plötzlich zusammengebrochen. Es schämte sich entsetzlich, daß es all das gesagt hatte.
Draußen rief und klatschte man. Pommerle steckte sich die Finger in die Ohren, es wollte nichts davon hören. Man würde es schelten, daß es gesprochen hatte. Es sollte nicht reden, wenn Erwachsene anwesend waren. Die Mutti hatte gesagt, Kinder müßten bescheiden sein. Auch ein anderes Gedicht hätte es sagen sollen. Vom Barbarossa oder vom Frühling. Doch nun war es geschehen, um keinen Preis der Welt würde Pommerle nochmals das Zelt betreten.
In dem Zirkuszelt aber stand ein anderer. Nachdem sich der Beifall gelegt hatte, ergriff Bürgermeister Glove das Wort. Noch merkte man ihm an, daß er stark bewegt war.
Er sprach von der Not des Volkes, von der Hilfe, die allen Leidenden werden sollte. Man plane ein gewaltiges Winterhilfswerk, denn die Arbeitslosigkeit sei groß, und nicht noch tiefer dürfe ein Volk, das so Großes geleistet habe, ins Elend sinken.
»Ein Kind, ein echtes deutsches Mädchen, hat uns heute gezeigt, wie die wahre Nächstenliebe aussieht, hat uns allen ein leuchtendes Vorbild gegeben. Kinder haben sich ein Hilfswerk erdacht, das goldene Früchte tragen wird. Wollen wir hinter unseren Kleinen zurückstehen? ›Hilf uns, daß aus Not und Weh unser Deutschland neu ersteh‹, klang es soeben an unsere Ohren; es ist unsere heilige Pflicht, nicht länger fernzustehen, alle für einen, einer für alle!«
In bewegten Worten schilderte er die Schwere der Zeit und beglückwünschte alle Eltern, deren Kinder sich bereitgefunden hatten, dieses kindliche, aber doch große Hilfswerk vorzunehmen. Dann wies er mit humoristischen Worten darauf hin, daß die Knaben sich heute nicht gerade tapfer gezeigt hätten, der Damenwelt gehöre die Krone, und den Mädchen besonders. Pommerle und Eva wollte man in erster Linie Dank abstatten, ihnen eine besondere Freude bereiten, denn sie hätten dafür gesorgt, daß man nicht vergeblich hergekommen sei, daß der Zirkus der Wohltätigkeit seinem Namen Ehre gemacht habe.
Der Bürgermeister rief nach den beiden Kindern, doch nur Eva Graumann kam schüchtern herbei. Pommerle war nirgends zu finden, obwohl verschiedene Damen Umschau nach ihm hielten.
Endlich fand man die Kleine doch. Sie hatte sich hinter einem Stoß Bretter verborgen und glühte noch vor Erregung. Pommerle wagte nicht aufzusehen, als es schließlich an der Seite des Bürgermeisters stand und dessen freundliche Worte hörte.
»Du sollst uns einen Wunsch sagen, liebes Pommerle, den wir dir erfüllen möchten. Eva hat sich bereits einen Rodelschlitten gewünscht, weil der gehabte in Trümmer ging. – Also Mut, kleines Pommerle, was möchtest du wohl gern?«
Pommerle