Magda Trott

PUCKI & POMMERLE: Alle 18 Bücher in einem Band


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und Notleidenden Opfer bringen muß.«

      »Nein«, sagte das Kind leise, »das war der Jule. Wenn ich mir was wünschen dürfte, weil ich den Zirkus gemacht habe, – muß es der Jule kriegen, denn der Jule hat alles hergegeben, was er hat. Und wenn ich doch was kriegen sollte, möchte ich recht viele Zigaretten.«

      In einer der Reihen entstand eine Bewegung. Ein hoch aufgeschossener Junge mit rotem Haar drängte sich gewaltsam heraus, stieß dabei ziemlich unsanft an seine Nachbarn. Er schien die allergrößte Eile zu haben, von hier fortzukommen.

      »Bengel, was fällt dir ein?« sagte ein Herr, der gar zu stürmisch zur Seite gestoßen wurde.

      Jule Kretschmar achtete nicht auf die Vorwürfe, – nur fort von hier. Pommerle hatte soeben seinen Namen genannt, Pommerle hatte sein Geheimnis verraten. Heiß stieg es ihm ins Gesicht. Er hätte die Spielgefährtin mit Steinen werfen mögen, so ergrimmt war er im Augenblick auf die Kleine.

      Im Dauerlauf ging es nach der Werkstatt. »Komm du nur her, dir will ich's anstreichen!«

      Allmählich war das Lachen verstummt, das Pommerles Wunsch hervorgerufen hatte.

      »Zigaretten?« sagte der Bürgermeister. »Willst du schon rauchen?«

      »Neulich hat der Mann, der die Straße kehrte, gesagt, mit Dampf geht alles besser. Und der Jule hat doch sein ganzes Geld hergegeben. Nun kann er keine Zigarette rauchen, und er raucht doch so gern. Und wenn ein Kranker mal recht schwer krank ist, schenke ich ihm auch 'ne Zigarette, dann wird er wieder gesund. So hat der Paul gesagt. Mit einer Zigarette kann man ihn aus dem Grabe herausholen. – Wenn ich also ergebenst um was bitten dürfte, so bitte ich um recht viele Zigaretten.«

      »Ich weiß etwas Besseres für das Pommerle«, ließ sich plötzlich eine Stimme vernehmen.

      Aller Augen richteten sich auf Fabrikbesitzer Stadler, der auf eine der Bänke gestiegen war.

      »Ich habe vorhin gehört, daß unser liebes kleines Pommerle auf eine Reise in sein liebes Pommernland verzichtet hat, weil dafür zwei arme Kinder ins Haus Professor Benders aufgenommen werden. Die Ferien beginnen am ersten Juli, ich muß an diesem Tage geschäftlich mit dem Auto nach Stettin. Ich will auf zwei bis drei Tage das Pommerle mit mir nehmen und hinauf zur Ostsee fahren. Am fünften Juli, wenn die beiden armen Kinder kommen, sind wir wieder zurück. Nun, Pommerle, was sagst du dazu?«

      »An die Ostsee, – – an die Ostsee?« tönte es bebend.

      »Deine Eltern erlauben, daß du mit mir und Tante Marie fährst.«

      »An die Ostsee, – – an die Ostsee!«

      »Nur drei Tage, Pommerle, länger Zeit habe ich nicht.«

      »Mutti, Mutti!« Pommerle riß sich von der Hand des Bürgermeisters los und stürmte zu Frau Bender, sprang auf ihren Schoß und preßte sie stürmisch. »Mutti! – Leiden dann die beiden Kinder, die zu uns kommen, keine Not, wenn ich an die Ostsee fahre?«

      »Nein, mein Kleines, die beiden Mädchen kommen trotzdem.«

      »An die Ostsee, – – – an die Ostsee!«

      »Ich glaube«, sagte lachend der Bürgermeister, »Sie haben das Rechte getroffen, Herr Stadler. Und Zigaretten sollst du auch noch haben, kleines Mädchen.«

      »Nein, nein«, rief Pommerle, »das wird ein bißchen zuviel. – Ich kann an die Ostsee, an die liebe, liebe Ostsee. – Aber – wenn ich doch noch Zigaretten haben sollte, muß der Jule auch welche haben.«

      »Vielleicht können wir den Jule mit an die Ostsee nehmen.«

      Pommerle starrte den Fabrikbesitzer an. Über das Kindergesicht lief ein stürmisches Zucken.

      »Der Jule – – –« Die Stimme wollte Pommerle kaum gehorchen.

      »Nun ja, der Meister wird nichts dagegen haben, denn dem Jule steht auch Urlaub zu. – Wollen wir den Jule mitnehmen, Pommerle? Wenn der Jule all sein Geld für die Armen gibt, können wir ihm auch eine Freude machen.«

      »Mutti, – Mutti, – der Jule – – die Ostsee, – – Mutti –«

      Pommerle wühlte das erhitzte Gesicht in Frau Benders Kleid.

      »Ich glaube, wir freuen uns alle mit dem Kinde«, sagte der Bürgermeister. »Wir wissen nun, daß wir Pommerle keine größere Freude bereiten konnten, als diese kurze Reise an die Ostsee mit seinem lieben Spielgefährten. Ich sehe Meister Reichart schmunzeln, der seinem Lehrling den Urlaub gewiß gern gewährt. Ist's nicht so, Meister Reichart?«

      »Natürlich, aber natürlich«, klang es zurück. »Ich freue mich selbst darüber, daß mein tüchtiger Lehrling einmal die Ostsee kennenlernt, von der ihm Pommerle ständig erzählt. Herzlichen Dank im Namen meines Lehrlings, Herr Stadler.«

      »Und nun wollen wir die Zirkusvorstellung schließen und uns daran erinnern, daß uns brave deutsche Kinder den Weg wiesen, den wir weitergehen wollen. Es ergeht in Kürze an uns alle, von oben herab der Ruf, mitzutun! So stehe keiner, kein einziger zurück. Auch die kleinste Gabe ist willkommen, keiner schließe sich aus, ob er auch noch so bescheiden lebt. Kinder wollten uns durch ihre Pfennige beweisen, daß Wenig ein Viel machen kann. Diese Zirkusvorstellung hat einen Betrag von fast zweihundert Mark ergeben. Dank, herzlichen Dank unserer deutschen Jugend!«

      »Hörst du es, mein Pommerle«, sagte Frau Bender leise, »fast zweihundert Mark.«

      Doch Pommerle hielt noch immer den Arm der Mutter fest umklammert, auch jetzt wieder flüsterten die roten Kinderlippen: »Der Jule kommt an die Ostsee und ich auch!«

      Kapitel 5.

       I. K. 37 985

       Inhaltsverzeichnis

      Das konnte der Jule freilich nicht fassen. Er sollte im Auto mit Pommerle an die Ostsee. Wie oft hatte er verächtlich geäußert, daß er die Ostsee gar nicht sehen wolle. Wenn er an einem Tümpel stehe, sei das so gut wie die Ostsee. Daß aber schon lange das Verlangen in ihm brannte, ein einzigesmal Pommerles Heimat kennenzulernen, verschwieg Jule eigensinnig, weil es ihm schier undenkbar dünkte, jemals eine so weite Reise zu machen.

      Er hatte Pommerle schelten wollen, weil sie den vielen Menschen verraten, daß er sein verdientes Geld für arme Leute hergab. Doch nun kam die Belohnung. Als Dank für diese Handlung sollte er an die Ostsee. Zuerst hatte der Jule seine kleine Freundin heftig angefahren, sie solle nicht schwindeln; doch langsam wurde es ihm klar, daß es eine feststehende Tatsache war. Schließlich kam sogar der Meister und die blinde Sabine. Beide sprachen von der bevorstehenden Reise, die Jule machen werde.

      »Siehst du, Jule«, so hatte der Meister gesagt, »so wird jede gute Tat belohnt. Das hast du dir nicht träumen lassen.«

      Da war es dem Jule erst wirklich klargeworden, daß er an die Ostsee sollte. Heiß stieg es ihm ins Gesicht. Rasch schlug er einige Purzelbäume, so wild, so heftig, daß der Meister rasch ausweichen mußte, um mit Julens langen Beinen nicht Bekanntschaft zu machen.

      »Jule, – an den Strand, an die blaue Ostsee. Dort können wir Steine ins Wasser werfen, werden alle wiedersehen. – Ach, meine liebe, liebe See!«

      Als der Jule am nächsten Sonntag bei Benders war, preßte er die Hand des Professors so leidenschaftlich, daß dieser schmerzhaft das Gesicht verzog.

      »Ich versprech' Ihnen auch, Herr Professor, ich bringe Ihnen 'nen Haufen Steine mit. Das ganze Auto lade ich voll.«

      Er träumte in jeder Nacht von der Reise, er konnte es nicht begreifen, daß die Fahrt an die Ostsee wirklich möglich sei.

      Und Pommerle kam öfter denn bisher in die Werkstatt, erzählte dem Jule von all den Schönheiten der See und meinte schließlich:

      »Jule, heute abend gehen wir zur Spinnerei. In einem Schuppen steht das Auto, mit dem wir fahren. Blau ist es angestrichen,