Magda Trott

PUCKI & POMMERLE: Alle 18 Bücher in einem Band


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      Die Erzählungen wurden gar oft von anderen Eindrücken unterbrochen. Es gab für Pommerle so viel zu sehen, daß es all das Neue kaum in sich aufnehmen konnte. Je näher man Stettin kam, um so größer wurde die Sehnsucht des Kindes nach der Ostsee, und schließlich konnte es die Stunde kaum noch erwarten, daß die pommersche Hauptstadt erreicht sei.

      Nun war man in Stettin angekommen. Jule trug die Nase sehr hoch, und die Folge davon war, daß er wieder, als er ins Hotel kam, über die Schwelle stolperte und der Länge nach auf dem Teppich lag. Es war ihm nicht möglich, in seiner Erregung auf die vielen Kleinigkeiten zu achten. Beim Abendessen passierten ihm allerlei kleine Mißgeschicke. Bald fiel die Gabel, dann das Messer auf den Fußboden. So wurde er schließlich ganz kleinlaut und meinte jämmerlich:

      »Sie hätten mich besser daheim lassen sollen, Herr Stadler. Ich bin eben nur ein Tischlerlehrling, Sie sind ein Fabrikherr.«

      »Ich bin auch einmal Lehrling gewesen, Jule. Hoffentlich bringst du es zum Meister, hoffentlich hast du auch einmal eine geachtete Tischlerei und bildest selbst Lehrlinge aus. Wir alle müssen erst durch eine Lehrzeit gehen. Meinst du, daß ich dich darum weniger achte?«

      »O nein, Jule«, fiel Pommerle ein, »wir achten dich alle sehr. Ein Lehrling ist etwas Schönes.«

      »Auch ein Tischlerlehrling?« fragte der Jule kleinlaut.

      »Selbstverständlich, mein Junge, Handwerk ist etwas Prächtiges. Vor unseren Handwerkern, die ihren Mann stehen, zieht ein jeder den Hut. Ich habe auch klein angefangen, mit viel Sorgen und Mühen, ich habe kein Auto gehabt wie heute. Doch hinter mir liegt ein Leben emsiger Arbeit. Sei fleißig, Jule, strebsam, dann wirst du –«

      »– – auch mal ein Auto haben«, vollendete Jule mit leuchtenden Augen. »Im Sommer fahre ich Auto, im Winter Hörnerschlitten!«

      »Na also, Junge, aber, wie ich dir sagte, fleißig arbeiten! Wer faul auf der Bärenhaut liegt, sich gegen seinen Meister auflehnt, nicht hören will, wenn er tadelt, der bringt es im Leben zu nichts. Ich denke, daß dir die kleine Reise eine Freude und ein Ansporn sein wird. Und nun greif zu, Junge, ziere dich nicht, Autofahren macht Hunger.«

      Da faßte der Jule Mut und fühlte sich durch die freundlichen Worte Stadlers beruhigter.

      Am nächsten Morgen ging die Fahrt weiter. Fabrikbesitzer Stadler blieb in Stettin, um seine Geschäfte zu erledigen. Die anderen fuhren der Ostsee entgegen.

      Von nun an änderte sich das Betragen der Kinder. Jule war ein wenig vorlaut, Pommerle dagegen immer stiller. Nur von Zeit zu Zeit wandte es sich an Frau Stadler mit der bangen Frage:

      »Wie lange dauert es noch, bis ich das Wasser sehe?«

      Die Insel Wollin war erreicht, man hatte zum ersten Male den Ausblick aufs Haff. Pommerle saß mit verkrampften Händen im Wagen, es drückte sich fast die kleine Nase an der Scheibe breit. Jule wies auf den Silberstreifen, der sich ihm zeigte.

      »Dort ist die Ostsee.«

      »Nein, Jule«, sagte das Kind, und Erregung klang durch seine Stimme, »die liebe, liebe Ostsee kommt noch.«

      Schließlich war man in Neuendorf. Vor dem Kurhaus hielt der Wagen. Pommerle umklammerte den Arm Frau Stadlers.

      »Zum Strand, nur rasch mal zum Strand«, bat es zitternd, »nur ein bißchen zur lieben Ostsee.«

      »Aber Kind, wir müssen doch erst in unsere Zimmer.«

      »Bitte, liebe Tante, ihr habt doch gesagt, ich habe vielen Menschen eine Freude gemacht, ach, zur See, zur lieben Ostsee! Tante, sie rauscht schon, sie ruft mich, ich rieche sie! – Ach, Tante, bitte, bitte!«

      Pommerles blaue Augen waren groß geworden. Flehende Angst stand darin, daß man ihm die geliebte See nur für Minuten vorenthalten könne.

      »Findest du denn zurück, mein Kind?«

      »Ja, ja, Tante, höre doch, die See ruft mich!«

      »So lauf, doch sei bald zurück.«

      »Ich will mit«, sagte Jule.

      Zum ersten Male achtete Pommerle nicht auf den Freund. Wie gejagt lief es davon, hin zum Strand, grüßte jubelnd das blaue Meer, stand dann in stummer Ergriffenheit, das Wiedersehen mit der eigensten Heimat wirkte auch heute wieder geradezu überwältigend auf das Kind ein.

      Doch auch der Jule starrte hinaus aus das Meer, auf die Wellen, die sich langsam, in ewigem Einerlei, gegen den Strand wälzten, stand, starrte wortlos die unendliche Wasserfläche an, die kein Ende hatte. So hatte er sich das Meer nicht vorgestellt. Und all sein Staunen wurde in die wenigen Worte zusammengefaßt:

      »Potz Rübezahl, so viel Wasser!«

      Pommerle ging langsam bis ans Wasser heran. Es beugte sich nieder, streckte beide Hände aus und ließ sie von den Wellen bespülen. Das war die heißgeliebte Ostsee, es war heute wie einst, wenn Pommerle mit den Freundinnen spielte. Alles hier war ihm lieb und vertraut, es war ihm, als wäre es nie von hier geschieden.

      Doch auch die Erinnerung an all das Schwere, was es in seinem jungen Leben durchgemacht hatte, zog durch seine Gedanken.

      »Vater, – du liegst noch immer im tiefen Wasser, ich bin wieder hier. – Hörst du mich?«

      Jule wollte etwas sagen, er unterließ es. Er sah Pommerle nur an und empfand unbewußt, daß in der Seele des Kindes Freude und Leid lebten, daß er die Freundin jetzt nicht stören durfte. Und doch hätte der Jule so gern dem Pommerle die Hand gereicht, damit es nicht noch dichter an das große Wasser gehe und vielleicht auch darin ertrank, wie sein erster Vater von der Ostsee.

      Dem pommerschen Fischerkinde erzählten die Wellen auch heute wieder von der Heimat, und Pommerle verstand die Sprache. – –

      Schließlich erinnerte sich Jule seiner Beschützerpflichten. Frau Stadler hatte die Kinder ermahnt, nicht zu lange am Wasser zu bleiben. Jule nahm sich fest vor, recht folgsam zu sein, damit man ihn nicht zu tadeln brauche. Er wollte sich Stadlers gegenüber dankbar zeigen, weil sie ihm die große Freude der Autofahrt bereitet hatten. Wohl fand auch er das Meer sehr schön, aber seine Berge waren ihm lieber. Ja, wenn mitten aus dem großen Wasser die Schneekoppe aufgestiegen wäre, von der aus man noch weiter gesehen hätte, vielleicht bis nach Schweden, dann hätte ihm solch Ausblick viel Spaß gemacht. Er begriff nicht recht, daß Pommerle noch immer verzückt auf die weite Wasserfläche schaute.

      »Du –, du machst dir die Füße naß, – nu komm endlich!«

      Doch Pommerle schien noch immer auf das Plätschern der Wellen zu hören.

      »Die Tante sagte, wir sollen bald zurück sein. Ich habe auch mächtigen Hunger. Nach dem Essen gehen wir wieder herunter.«

      Der Jule mußte noch dreimal mahnen, ehe sich das Kind umwandte. Helles Leuchten stand in seinen Augen.

      »Komm!« knurrte Jule.

      »Ist sie nicht wunderschön, meine liebe Ostsee?«

      »Hinten wie ein Tisch und so blank wie poliert. Aber vorne hat sich die Politur geworfen.«

      »Und wie schön sie riecht, wie schöne nasse Blumen!«

      »Komm nu, ich habe Hunger!«

      »Heute nachmittag baden wir, Jule!«

      »In dem großen Wasser?«

      »Fein ist es drin, Jule!«

      »Wenn du darin ertrinkst?«

      »Ach, Jule, meine liebe Ostsee, ich möchte noch hierbleiben, ich möchte gar nicht essen gehen.«

      Energisch packte Jule sein Pommerle am Arm. »Vom Wasser werden wir nicht satt. Ich habe mächtigen Hunger. Nu komm, sonst zankt die Tante. Zu mir hat deine Mutter auch gesagt, wir sollen folgen. Komm!«

      Aber Pommerle warf erst noch einen langen Blick auf das Wasser.

      »Du willst wohltätig sein?« grollte Jule. »Der Chauffeur hat den