dein Schlesierland bevorzugen darfst. Geht niemals davon ab, auch wenn ihr später in einem anderen Lande leben solltet. So etwas kann passieren. Und nun reicht euch brav die Hände, ihr seid zwei gute deutsche Kinder, gehört zu einem Volk, seid daher froh und glücklich, daß die deutsche Heimat so herrliche Gegenden hat. Nun gebt euch die Hände und macht wieder Frieden.«
Jule schob Pommerle unter dem Tisch die Hand hin, die Pommerle sogleich ergriff und herzlich schüttelte.
»Nun bin ich wieder froh, Jule, und daß du es weißt, Schlesien ist sehr schön, ich hab' ja auch gesungen: O Schlesien, du geliebtes Land.«
»Und die Ostsee ist ja auch schön, ja, sie ist wirklich schön. Solche Flundern wie hier haben wir nicht im Riesengebirge. Ja, Pommerle, es ist wirklich sehr schön, – wahrhaftig!«
»Jule, du süßer, guter Jule!« Pommerle umhalste den Freund und drückte ihm einen stürmischen Kuß auf die Wange.
Kapitel 7.
Pommerle und seine kleinen Gäste
Wie ein schöner Traum lag die Ostseereise hinter Pommerle. Die diesjährige Sehnsucht nach dem geliebten Wasser war ein wenig gestillt. Professor Bender hatte seine Reise nach Schweden angetreten, tags darauf war die Kinderschar aus Breslau eingetroffen, um in den verschiedenen Familien, die sich dieser wohltätigen Aktion zur Verfügung gestellt hatten, untergebracht zu werden.
Meister Reichart bekam einen zehnjährigen Knaben, während Benders, auf besonderen Wunsch, zwei Mädchen erhielten, zwei Schwestern im Alter von acht und neun Jahren.
Mit prüfenden Blicken hatte Pommerle die Ankommenden betrachtet und festgestellt, daß Ida und Karoline für ihr Alter sehr klein und dünn waren, daß sie keine dicken Backen hatten und auch nicht so frisch und rot aussahen wie Sabine, Eva oder Jule. Es war aber auch noch manches andere, was Pommerle an den beiden Kindern nicht gefiel. Trotzdem versuchte das Kind die Altersgenossinnen durch gemeinsames Spielen zu erfreuen. Es zeigte ihnen die Puppen, ging mit den Kindern durch den Garten, erzählte von Blumen und Vögeln, ließ sie auf das Zwitschern der gefiederten Sänger lauschen, doch weder Ida noch Karoline schienen an diesen Dingen Interesse zu haben. Die beiden Mädchen hockten meistens zusammen, sprachen kein Wort, ließen Pommerle allein spielen und wußten mit all den schönen Dingen, die Pommerle vor ihnen ausbreitete, nichts anzufangen.
Schon drei Tage später klagte Pommerle der Mutter sein Leid.
»Da wär's doch besser gewesen, wir wären in das schöne Schweden gefahren. Sie gefallen mir nicht, Mutti. Sie beißen an den Fingern, Karoline steckt sogar die Hand in den Mund, sie sitzen da und glotzen vor sich hin. Sie wischen sich auch nicht die Füße ab, wenn sie ins Haus gehen. Wenn ich ihnen etwas gebe, sagen sie nicht mal danke oder bitte, und vorhin ist die Ida direkt über das Beet gelaufen und hat die süßen Blümchen zertreten. Sie sind nicht gut, Mutti.«
»Sie sind noch scheu, mein Kind, sie sind gewiß gut, sie freuen sich, daß sie hier sind.«
»Nein, Mutti, sie freuen sich gar nicht. Sie hören nicht mal zu, wenn ich ihnen von Blumen und Vögeln erzähle. Und dann hat die eine so olle dicke Strümpfe an, wie im Winter. – Mutti, sie gefallen mir nicht!«
»Mein liebes Pommerle, du bist doch sonst ein sehr liebes und vernünftiges Mädchen, ich finde es nicht schön von dir, wenn du so über die armen Kinder sprichst.«
»Ich habe ihnen meine Puppe gegeben, meine gute Puppe, aber sie haben sie nicht mal richtig angefaßt.«
»Hast du nicht selbst gesagt, mein Kind, daß die beiden Mädchen aus einem finsteren Kellerloch kommen? Ich will dir einmal erzählen, wie es bei diesen Kindern daheim aussieht. Sieben Geschwister wohnen in einer einzigen Stube. Die Mutter geht früh auf Arbeit und kann sich den ganzen Tag nicht um die Kinder kümmern. Die Kleinen haben keinen Garten, hören nichts von Vogelsang, eines muß auf die anderen aufpassen, denn die Kleinsten wollen besorgt sein. So haben Ida und Karoline nur Arbeit und Mühe gehabt. Von all der Not, die in solchen Familien herrscht, weißt du noch nichts, mein Pommerle. Nun ist es den Kindern, als wären sie plötzlich in einer anderen Welt; daher sind sie so scheu, wagen nichts anzufassen, nichts zu sagen, haben vielleicht auch Sehnsucht nach daheim.«
Pommerle war nachdenklich geworden.
»Aber sie beißen doch an den Fingern, sie zertreten die Blumen. Karoline macht immer ein böses Gesicht.«
»Unser Pommerle hat des öfteren schon bewiesen, daß es ein gutes Herz hat. Du wolltest überall Not lindern, aber nicht nur wenn die Menschen hungern, zeigt sich die Not, die Kinder wissen von den Freuden, die uns Gottes herrliche Natur schenkt, gar nichts. Das müssen sie erst langsam lernen. Nun zeige, mein liebes Kind, daß du Geduld hast, bemühe dich um Ida und Karoline, du mußt sie eben ein wenig erziehen, doch alles in Liebe und Güte. In acht Tagen werden die beiden Mädchen bestimmt Vertrauen zu dir haben und gern mit dir spielen.«
»Nun ja«, meinte Pommerle nachdenklich, »wenn sie immerzu im Keller sind, wissen sie freilich nichts von Blumen und Vögeln. – Mutti, da habe ich es doch viel besser. Auch früher, bei meinem Ostseevater, habe ich immer das schöne Wasser und den Strand gehabt. Ich will noch mal mit ihnen spielen, ich will versuchen, lieb zu ihnen zu sein.«
»Das mußt du auch. Solch kleine Mädchen brauchen viel Liebe. Du mußt dir nur immer vorstellen, du hast zwei Blümchen vor dir, die keine Sonne bekommen, die im Schatten wachsen, nicht begossen werden, langsam hinwelken und sterben müssen. Das sind die beiden Mädchen. Sie haben keine Sonne, nicht genug Lebensnahrung. Darum sind sie nun in das Helle verpflanzt worden. Nun müssen sie sehr gehegt und gepflegt werden, damit sie das Umpflanzen vertragen. Verstehst du das?«
»Freilich, Mutti. Ich hab' doch auch die Lilie im Garten verpflanzt, die ganz hinten in der Ecke herauskam.«
»Und weil du sie so schön gepflegt hast, ist sie auch angewachsen und blüht. Sieh, Pommerle, es ist nicht genug, wenn man diese Kinder nur zu sich ins Haus nimmt und ihnen gut zu essen gibt, man muß sie auch liebhaben, denn nur dann hat es wirklichen Wert, sich an dem großen Liebeswerk des Reiches zu beteiligen.«
Von nun an gab Pommerle sich doppelte Mühe, das Vertrauen der kleinen Gäste zu erringen. Nicht mehr betrachtete es die scheuen Mädchen mit ärgerlichen Blicken, wenn auf alle Aufforderungen keine Antwort kam. Es dachte immer an die verpflanzte Lilie, die man begießen mußte, damit sie blühe. Und als es einmal bei Ida ein großes Loch im Strumpf bemerkte, sagte Pommerle sanft:
»Weißt du, Ida, ich möchte dir das Loch zustopfen. Ich mache es mit Liebe. Sehr gut kann ich es nicht, aber Mutti hat es mir schon gezeigt, und deine Mutti muß ja den ganzen Tag in der Fabrik sitzen und arbeiten. Nu zieh mal den Strumpf aus und gib ihn her.«
Erst wollte Ida nicht, doch als Pommerle energisch wurde, zog sie den Wollstrumpf aus.
Das Kind betrachtete ihn kritisch. Da waren Stopfen in allen Farben. Ob die nicht drückten? Und bei der Hitze so schwere Strümpfe!
»Hast du keine anderen?«
Ida schüttelte den Kopf.
»Ich habe viele Strümpfe, ich gebe dir welche.«
Das war für Pommerle eine ganz neue Idee. Die beiden Kinder waren mit einem kleinen Pappkarton angekommen, schienen also sehr wenig Sachen zu haben. Freilich, wenn Idas Mutter sieben Kinder hatte, konnte nicht jedes so viele Kleidchen besitzen, wie sie ihr eigen nannte. Ob sie wohl eines davon der Ida schenken durfte?
Man hatte neulich Geld gesammelt, um den Hungernden zu helfen. Wenn man nun auch noch Kleider und Strümpfe sammelte, damit alle die Kinder sich hübsch anziehen konnten, die nichts hatten, würde man vielleicht auch etwas Gutes leisten. Die Schulkameradinnen hatten oftmals andere Kleider an. Wenn jede eines hergab, konnten sich alle armen Kinder schön kleiden.
»Wartet mal einen Augenblick«, meinte Pommerle, »ich muß erst mal einen schönen Gedanken der Mutti