fragen. Aber ich bin gut Freund mit dem Rübezahl, mir tut er nichts.«
»Jule«, meinte Pommerle, »dann wirst du hier den Heidenstein auch nicht mitnehmen dürfen.«
Pommerle, die den Spielgefährten genau kannte, hatte die Gedanken Jules längst erraten. Er stieß das kleine Mädchen unsanft in die Seite und machte ihm ein Zeichen, zu schweigen.
Pust lachte. »Den Heidenstein und den Hexenstein wird uns keiner nehmen. Er hat einen Umfang von fast vier Meter. Ich möchte mal den sehen, der ihn fortschleppt!«
Während Pommerle aufmerksam den Erzählungen der Fischer lauschte, wurde es draußen vor dem Hause unruhig. Man rief laut nach Hanna Ströde, denn man wollte die Freundin nicht länger missen. Schließlich kamen die Kinder ins Zimmer gelaufen und zerrten Hanna gewaltsam aus dem Haus. Sehr einfaches Spielzeug brachten sie an, Spielzeug, das Pommerle an einst erinnerte. Gewaltsam unterdrückte es die traurige Regung, die in ihm aufstieg. Es wollte mit den Freundinnen lustig sein und sich mit ihnen freuen.
Da die Sonne so herrlich lockte, schlug eines der Mädchen vor, ein wenig ins Wasser zu gehen. Pommerle warf das Bündel mit dem Badezeug jauchzend in die Luft. Endlich, endlich würde es wieder einmal in der geliebten See baden.
»Jule, wir baden! Jule, du mußt mitkommen. Wir fassen uns an den Händen und tanzen mit den Wellen um die Wette.«
Jule stand stocksteif am Strande. Von jeher war er kein Freund des Wassers gewesen. Bis auf den heutigen Tag tadelte der Meister, daß er so wenig Wasser zum Waschen des Gesichtes verwende. Baden war ihm etwas Schreckliches. Ja, wenn man in der Wanne im warmen Wasser saß, das ließ er sich wohl gefallen, aber ins kalte Wasser gehen, – nein, darum drückte er sich immer. Er hatte schwimmen lernen sollen, doch war er über die Anfänge nicht hinausgekommen. Und jetzt verlangte man von ihm, daß er in dieses riesige Meer hineinwaten sollte, in das kalte Wasser, das sich bewegte, dann überschlug und unheimlich aussah. Er hörte deutlich, wie ständig jemand murmelte. Das war gewiß solch eine Wasserfrau oder ein böser Wassergeist, der nur darauf wartete, den Jule an den nackten Füßen in die Tiefe zu ziehen.
»Wir wollen lieber heimgehen«, sagte er mürrisch.
»Nein, Jule, du kommst mit, wir wollen zusammen baden!«
»Ich habe Kratzen in der Kehle, dann ist Baden nicht gesund.«
Die Kinder brachen in helles Lachen aus, schon waren einige im Wasser und spritzten zu Jule hinüber.
»Komm doch«, bat Pommerle, »ich halte dich fest an der Hand. – Hast du Angst?«
»Wer redet denn immerzu im Wasser?«
»Die Wasserfeen«, sagte Pommerle. »Es sind wunderschöne Frauen.«
Jule blickte mißtrauisch ins klare Wasser. Jetzt sah er auch tatsächlich, daß sich unten etwas bewegte. Frauenhaare?
»Was ist denn das?« fragte er und wies auf das Seegras, das im Wasser hin und her schwankte.
»Der Jule hat Angst, er will nicht ins Wasser«, lachten die Kinder.
Pommerle stand an der Seite des Freundes, versuchte ihn durch kosende Worte umzustimmen, mit ihm ins Wasser zu gehen. Als aber der Jule immer energischer den Kopf schüttelte, lief Pommerle allein ins Meer.
»Pommerle, Pommerle!« Jule schrie angstvoll auf. Das Wasser ging seiner geliebten Spielgefährtin schon bis an die Hüften, und immer weiter lief es in die riesengroße Wasserflut hinein. »Komm endlich zurück, Pommerle! – Pommerle – Pommerle!«
Schließlich brachen dem Jule Schweißtropfen aus. Er wagte sich bis dicht ans Wasser, es umspülte seine Füße, die in den neuen Schuhen steckten, doch achtete er nicht darauf. Er wollte Pommerle möglichst nahe sein. Die Wasserfrauen würden das Kind herunterziehen. Dann ertrank es, wie sein Vater.
»Komm zurück«, rief er immer jämmerlicher. Wäre man im Gebirge gewesen, er hätte Rübezahl um Hilfe angegangen. Doch hier an dem großen Wasser hatte der mächtige Berggeist keine Macht.
Ein Sprühregen überschüttete den Jule, ein Dutzend Kinderhände klatschten auf die Wasserfläche. Jule taumelte zurück.
»Eine Wut habe ich im Leibe auf euch alle, eine Wut! Wenn wir nur erst im Wagen säßen und heimführen.«
Wenn ihm doch etwas einfallen wollte, um Pommerle aus dem Wasser zu rufen! Und endlich glaubte er das Richtige gefunden zu haben. Er streckte den Arm nach rückwärts aus.
»Dort – – dort – – Pommerle, sieh nur, dort kommt ein Löwe, er rennt direkt aufs Wasser zu. – Komm schnell heraus. – Und dort kommt ein Wolf und hinterher der Rübezahl. Komm schnell, komm!«
Es war nicht die Angst, die Pommerle aus dem Wasser trieb, sondern die Neugier, wo wohl der Löwe sein könnte. Kaum hatte es den Fuß auf den Sand gesetzt, als Jule das nasse Kind nicht gerade sanft packte und es gewaltsam über den Strand zog.
»Wenn ich dich mal heiraten soll«, schrie er Pommerle an, »hast du mir zu folgen. Das Weib soll dem Manne untertan sein! Du willst wohl auch ertrinken? – So, und jetzt bleibste hier! Eine Wut habe ich im Leibe! – –«
»Aber Jule«, sagte Pommerle erschrocken, »warum bist du plötzlich so böse?«
»Wasser ist nichts für kleine Mädchen. Tausend Leute sind schon darin ertrunken. – So, nu gehen wir heim.«
»Ich ertrinke nicht, Jule, und gleich heimgehen können wir auch nicht, ich bin doch ganz naß.«
»Das macht nichts. Du gehst nicht wieder ins Wasser.«
»Ich muß mir doch meine Kleider holen.«
»Die Mutter ist mir schon gestorben und der Vater auch, und dir auch der Vater – – wenn du nu auch stirbst, dann habe ich keinen mehr. Ich will nicht, daß du wieder ins Wasser gehst.«
»Jule, hast du Angst um mich?«
»Natürlich habe ich Angst um dich. – Nu komm!«
»Angst sollst du nicht haben, du kleiner, lieber Jule«, meinte das Kind mütterlich. »Ich hole mir rasch die Sachen, dann setzen wir uns zusammen an den Strand und werfen Steine ins Wasser. – Du armer Jule, jetzt brauchst du keine Angst mehr zu haben.«
»So komm doch!« lockten die Badenden.
»Nein«, erwiderte Pommerle, »der Jule will nicht, daß ich im Wasser bin. Ich ziehe mich jetzt an.«
Doch ehe das kleine Mädchen die Kleider erreicht hatte, waren einige der badenden Kinder aus dem Wasser gekommen, hatten Pommerles Sachen genommen und liefen davon. Jule nahm die Verfolgung sogleich auf, doch die Kleinen eilten behende ins Wasser, die Kleider Pommerles in den erhobenen Händen haltend.
»Ihr Rasselbande, gebt die Sachen her! Wenn man naß ist, erkältet man sich und muß sterben. – Ihr sollt die Sachen hergeben!«
»Der Jule hat Angst, – der Jule hat Angst!«
Da griff der erregte Jule in den Sand und warf mit vollen Händen nach den Badenden. Die Kinder vergaßen, daß sie Pommerles Kleider hielten, wollten Jule bespritzen, und im nächsten Augenblick schwammen ein Kleid, ein Unterröckchen, Schuhe und Strümpfe auf der weiten Wasserfläche. Helles Gelächter brach los. Den Fischerkindern war es nichts Neues, daß die Sachen durchnäßten. Eines der größeren Mädchen schwamm den Kleidungsstücken nach, brachte sie glücklich wieder zurück und schleuderte die nassen Stücke Pommerle zu.
Triumphierend ergriff sie Jule. »So«, sagte er verbissen, »nun müssen wir heimgehen.«
Pommerle trippelte an der Seite des Freundes dahin. Es zog die Sachen nicht erst an. Es war schon so oft im Badeanzug heimgelaufen, daß ihm auch heute der Aufzug nicht komisch erschien. Frau Stadler war ein wenig entsetzt, als sie das durchnäßte Mädchen kommen sah. Pommerle wollte nicht zu Bett, es meinte, es sei gar nicht kalt, es wolle sich rasch umziehen und wieder hinunter ans Wasser gehen.
Jule konnte während des ganzen Nachmittags ein Gefühl der Beschämung