C. M. Spoerri

Unlike: Von Goldfischen und anderen Weihnachtskeksen


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ich in einem weiteren Anlauf vor, eine Lösung zu finden. »Das macht mir nichts aus, ehrlich.«

      Wie hatten sie es sich denn vorgestellt, wenn Mary noch mitgekommen wäre? Wir zwei auf dem Boden schlafend?

      Evans Blick glitt von Hannes zu mir und ich sah in seinen blauen Augen den Ärger aufflackern, den er seinem Freund gegenüber empfand.

      Aus dieser Freundschaft wurde ich nicht wirklich schlau. Evan schien Hannes nicht zu mögen – dennoch hatte er ihn gebeten, mich am Flughafen abzuholen und sogar für uns zu kochen.

      Manchmal waren Männer kryptischer als eine Hieroglyphe.

      Ein paar Sekunden lang ruhten die blauen Augen auf mir, ehe das Feuer darin erlosch. »Du schläfst bestimmt nicht auf meiner Couch, Sara«, sagte Evan in ruhigerem Tonfall. Er warf Hannes einen weiteren messerscharfen Blick zu. »Gut, dann schläft sie eben bei mir«, meinte er in einem derart resignierten Tonfall, dass ich mich augenblicklich schlecht fühlte.

      »Ich will dir wirklich keine Umstände bereiten, Evan«, murmelte ich.

      Mit einem Mal fühlte ich mich fehl am Platz und konnte nicht weiter die Kraft aufbringen, die aufkeimenden Zweifel zu unterdrücken. Das Kontrollmonster in mir übernahm das Ruder, von dem ich es mit aller Macht hatte fernhalten wollen. Jetzt knickte ich ein und ließ zu, dass es tief Luft holte, um mir in Form meines inneren Kritikers eine Moralpredigt der Extraklasse aufzutischen.

      Wie hatte ich nur so blöd sein können, ganz allein hierherzukommen? Zu wildfremden Männern, von denen ich nur einen aus dem Chat kannte – und der sich überhaupt nicht so verhielt, wie ich es erwartet hatte?

      Ich hätte meiner Übervorsichtigkeit besser nachgeben und mir ein Hotelzimmer buchen sollen. Auch wenn das bedeutet hätte, dass ich meinen Vater anpumpen musste – es wäre besser gewesen, als sich hier überflüssig zu fühlen. Sollte ich meinen Dad jetzt noch anrufen? Ich hatte das nur im äußersten Notfall tun wollen … denn es fühlte sich nach einer Niederlage an.

      Aber vielleicht war es an der Zeit, mir diese Niederlage einzugestehen. Ich war noch nicht selbständig genug. Noch nicht erwachsen genug. Ich war nur eine verträumte Göre, die glaubte, dass ihr die Welt offenstand. Pustekuchen! Nichts stand mir offen. Ich hatte nicht einmal ein Bett zum Übernachten.

      Während das Kontrollmonster in mir kurz nach Luft schnappte, um dann Runde zwei einzuläuten, spürte ich, wie meine anfängliche Euphorie schwand. Wahrscheinlich war es der anstrengenden Reise zuzuschreiben, dass ich mich elend fühlte. Vielleicht war auch die Desillusionierung oder einfach die Tatsache schuld, dass ich mich allein fühlte, obwohl hier zwei Typen standen. Ich vermisste Mary plötzlich so sehr, dass es weh tat.

      Ehe ich etwas dagegen tun konnte, füllten sich meine Augen mit Tränen. Hastig wandte ich mich von Evan ab und setzte mich wieder auf das Schlafsofa. Das fehlte noch, dass er mich heulen sah.

      Ich senkte den Blick und atmete ein paar Mal tief ein und aus. Versuchte, die zweite Runde der Moralpredigt, die das Kontrollmonster für mich parat hatte, zu unterdrücken. Vergebens.

      Was hatte ich mir nur dabei gedacht, allein hierher zu reisen? Wie naiv war ich bloß?!

      Ich war den beiden ganz offensichtlich ein Klotz am Bein und Evan freute sich anscheinend nicht wirklich, dass ich hier war. Dabei hatte er gestern Abend noch so positiv und freundlich geklungen …

      Ehe ich noch weiter in dem Strudel der Selbstvorwürfe versinken konnte, spürte ich eine Hand, die zaghaft meine Schulter berührte.

      »Weinst du etwa?« Evan. Er klang zerknirscht – auf jeden Fall nicht mehr so verärgert wie eben noch.

      Ich schüttelte den Kopf und versuchte meine Tränen wegzublinzeln.

      Na toll! Jetzt rannen sie mir tatsächlich über die Wangen.

      »Na, das hast du ja prima hinbekommen!«, rief Hannes aus der Küche.

      Ich konnte hören, wie Evan ein aufkommendes Knurren herunterschluckte, das stattdessen in einem Schnauben endete. »Herrgott noch mal, halt endlich die Klappe!«, rief er zurück.

      Ich kniff die Augen zusammen und atmete erneut tief durch. Dann hob ich den Blick und sah Evan an, während ich rasch die Tränen auf meinen Wangen mit den Fingern wegwischte. Er blickte mich tatsächlich besorgt an.

      »Ich kann wirklich in irgendeinem Hotel unterkommen«, begann ich und merkte, dass meine Stimme zitterte.

      Mist, warum war ich gerade zur Heulsuse des Jahres geworden?!

      Evan schüttelte langsam den Kopf.

      Dennoch fuhr ich fort. »Ich muss nur schnell meinen Vater anrufen. Er wird mir Geld überweisen, damit ich ein Hotelzimmer buchen kann.«

      Wenn Evan wüsste, wie schwer mir dieser Vorschlag fiel … Ich hasste es, bei meinem Vater um Geld zu betteln. Aber in diesem Fall schien es mir die einzige Lösung zu sein.

      »Kommt nicht in Frage«, sagte Evan in energischem Tonfall. »Du schläfst in meinem Bett, ich auf meiner Couch, und damit Ende der Diskussion.«

      Ich sah ihn misstrauisch an. Sagte er das jetzt nur, weil ich heulend neben ihm saß? Würde er es morgen früh bereuen, dass ich ihn auf seine Couch verdrängt hatte?

      »Du kannst auch deinen Vater anrufen, wenn dir das lieber ist«, lenkte Evan in dem Moment ein und zuckte mit den Schultern.

      »Nein, ich … danke«, murmelte ich.

      Allein bei der Vorstellung, meinen Vater anbetteln zu müssen, wurde mir übel. Ich hatte ihm erklärt, dass ich den Rest der Reise selbst organisiert bekommen würde. Dass ich erwachsen genug dafür war. Er wusste noch nicht mal, dass Mary nicht hatte mitkommen können …

      »Dann ist das ja geklärt«, ertönte Hannes' Stimme aus der Küche. »Ich brauche hier noch eine Weile, bis das Essen fertig ist. Evan, in der Zwischenzeit kannst du Sara ja schon mal deine Wohnung zeigen.«

      Über Evans Gesicht glitt ein Ausdruck, den ich nicht so richtig deuten konnte. Irgendetwas zwischen Resignation und Verärgerung. Jedenfalls schien er sich wirklich nicht zu freuen, dass ich während der nächsten Tage in seiner Wohnung sein würde. Aber ehe ich meinen Vorschlag mit dem Hotel oder der Jugendherberge wiederholen konnte, hatte er sich erhoben und ging zu meinem Koffer.

      »Mehr hast du nicht dabei?«, fragte er mit einem Blick auf das überschaubare Handgepäck.

      Ich schüttelte den Kopf und erhob mich ebenfalls. »Ich dachte, ich kaufe mir hier einen großen Koffer und fülle ihn dann mit Kleidern und Geschenken und so …«, erklärte ich.

      »Frauen …«, murmelte Evan, während er mein Gepäck nahm und sich in Richtung Tür bewegte.

      Er wartete nicht darauf, dass ich ihm folgte, sondern verließ Hannes' Apartment, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich zögerte einen Augenblick, dann sah ich Hannes an, der in der Küchentür erschien und mir mit der Kochkelle zu verstehen gab, dass ich Evan folgen sollte. Ich nickte eilig und verließ die Wohnung ebenfalls.

      Im Flur angekommen, konnte ich gerade noch erkennen, wie Evan im gegenüberliegenden Apartment verschwand. Er ließ die Tür offen. Anscheinend nahm er doch an, dass ich ihm folgen würde.

      Zaghaft betrat ich seine Wohnung und schloss die Tür hinter mir.

      Vor mir lag ein ähnliches Zimmer, wie ich es bei Hannes gesehen hatte. Ein Zweiersofa aus dunklem Stoff stand mit dem Rücken zu mir vor einem Fernseher, ein paar Regale mit Büchern zierten die Wand und es gab ein Fenster direkt gegenüber der Eingangstür. Im Gegensatz zu seinem Freund hatte Evan keine Dekorationen in seinem Apartment verteilt. Die Ausnahme bildete ein Goldfischglas, das auf einer Kommode rechts neben dem Eingang stand. Es roch nicht wirklich gut hier drin – nach kaltem Rauch und vergammeltem Essen.

      Anders als Hannes besaß Evan rechts neben dem dunklen Sofa eine offene Küche mit einer kleinen Kochinsel. Der höhenverstellbare Barhocker, der davor stand, wirkte jedoch nicht sehr vertrauenserweckend – wahrscheinlich wackelte