C. M. Spoerri

Unlike: Von Goldfischen und anderen Weihnachtskeksen


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hätten, wo ich vor fünf Jahren gewesen war.

      Eine Woche ohne Arbeit glich der Hölle!

      »Geh mir aus den Augen!«, fauchte ich.

      Hannes trat hastig den Rückzug an. Er war zwar ein aufdringlicher Depp, der sich in die Privatsphäre anderer Leute einmischte, aber er war nicht so dumm, noch länger in meiner Gegenwart zu verweilen. Dass ich ihm bis jetzt keine reingehauen hatte, war einzig und allein dem Umstand zu verdanken, dass ich in den letzten fünf Jahren gelernt hatte, meine Aggressionen so weit im Griff zu halten, dass ich keine Prügeleien mehr anfing. Etwas, das sich hier und heute schlagartig ändern konnte, wenn ich noch länger in sein ›Ich bin ein Robbenbaby ertränk mich nicht‹-Gesicht schauen müsste.

      Als die Tür hinter Hannes ins Schloss fiel, holte ich noch einmal tief Luft und knurrte so laut, dass es im Treppenhaus widerhallte.

      »Was ist denn da oben los?«

      Na prima … jetzt steckte wieder Miss Walker ihre Nase in meine Angelegenheiten.

      »Nichts!«, rief ich hinunter und trat meinerseits den Rückzug in mein Apartment an. Ich hatte nicht die geringste Lust, mich mit der alten Schnepfe auseinanderzusetzen.

      Leider schien Miss Walker wieder einmal so einsam zu sein, dass sie nichts Besseres zu tun hatte, als sich in die Angelegenheiten fremder Leute zu mischen.

      »Wenn es um das Mädchen aus London geht – die hat angerufen!«, rief sie nach oben.

      Ich erstarrte mitten in der Bewegung.

      Himmel noch eins! Wusste denn das ganze Haus schon über den Besuch dieser Londoner Tussi Bescheid?!

      »Dann rufen Sie zurück und sagen Sie ihr, dass der Aufenthalt gestrichen ist!«, rief ich zurück.

      Einen Moment lang herrschte Stille, dann hörte ich ihre Stimme erneut. »Das können Sie ihr selbst sagen!« Ihre Tür fiel krachend ins Schloss und ich war allein im Treppenhaus.

      So ein verdammter Mist!

      Mit genau dem gleichen Gedanken erwachte ich auch am nächsten Morgen.

      So ein verdammter Mist!

      Hannes hatte gesagt, sie würde heute Abend ankommen.

      Ein Teil von mir war wirklich neugierig darauf, wen Hannes sich da aus London angelacht hatte. Der andere Teil (und der war definitiv größer!) war mit Schadensbegrenzung und Mordplänen beschäftigt.

      Schadensbegrenzungsplan Nummer 1: Ich würde mir jetzt meinen Job zurückholen – und meinen Chef Antonio zur Rede stellen, weil er einfach hinter meinem Rücken hirnverbrannte Idiotenpläne mit Hannes schmiedete.

      Ich hielt mich nicht lange damit auf, mich zurechtzumachen – kurze Dusche, mit dem Rasierer die Bartstoppeln gekürzt … die Kunden sahen sowieso nur die Pizza und nicht mich. So war es immer. Daher war es auch vollkommen egal, wie ich aussah – ein weiterer Grund, warum ich meinen Job mochte.

      Normalerweise war ich mit dem Fahrrad unterwegs, aber es hatte in den letzten Tagen so viel geschneit, dass ich keine Chance gehabt hätte, unfallfrei zur Pizzeria zu gelangen. Da ich zu wenig Geld für ein Taxi besaß, musste ich also zu Fuß gehen.

      Ich war froh, dass mir weder Hannes noch Miss Walker oder sonst jemand von meinen Nachbarn im Treppenhaus begegneten. Bei Hannes hätte ich kaum für seine Gesundheit garantieren können. Über Nacht war meine Wut auf ihn nicht geringer geworden – eher im Gegenteil.

      So rasch ich konnte, lief ich durch die klirrende Kälte zur Pizzeria ein paar Blocks weiter. Der Laden hatte bereits geöffnet. Antonio stand meist sehr früh in der Küche, um den Pizzateig vorzubereiten. Ich hatte es in all den Jahren nie geschafft, vor ihm da zu sein, was nicht daran lag, dass ich unpünktlich kam, sondern viel mehr daran, dass Antonio noch ein größerer Workaholic war als ich.

      Auch jetzt fand ich ihn in der Küche vor, wo er gerade den Teig auf die Pizzableche legte. Wenn man länger hinsah, bekam man fast Kopfschmerzen davon, denn er drehte die Teigstücke so schnell und geschickt, dass man seinen Händen kaum folgen konnte.

      »Sam! Buon giorno.« Er blickte auf, ohne in seiner Arbeit innezuhalten. »Was tust du hier? Dir Giovanni nicht gesagt, dass du hast frei?«

      Antonio hatte diesen typisch italienischen Akzent, mit dem er selbst in seinem Alter noch Frauen reihenweise begeistern konnte. Er nannte Hannes auch nie bei seinem richtigen Namen, sondern immer nur Giovanni. Ich musste zugeben, dass das deutlich besser klang.

      Mein Chef war knapp sechzig Jahre alt und sein schwarzes Haar durchzogen von weißen Strähnen. Sein Gesicht hätte hervorragend auf jede Pizzawerbung gepasst. Er war ein Italiener wie aus dem Bilderbuch – mit gepflegtem Schnauzer, etwas rundlichem Gesicht und funkelnden Augen, die den New Yorker Signorinas den Kopf verdrehten. Sein Bauch war etwas zu dick und seine Arme und Beine etwas zu kurz, aber sein Charme dafür umso größer. Er reichte mir bis knapp zur Brust, sodass er meist den Kopf in den Nacken legen musste, um mit mir zu sprechen. So auch jetzt.

      »Ciao. Vergiss, was Hannes mit dir ausgemacht hat«, knurrte ich missmutig und griff mir eine Schürze.

      Ehe die ersten Bestellungen eintrudelten und ich mich ins Auto setzen oder aufs Fahrrad schwingen musste, half ich Antonio meist dabei, die Pizzas vorzubereiten – oder wischte Boden, Theke und Stehtische im Kundenbereich, sorgte dafür, dass die Flyer und Visitenkarten bei der Kasse aufgefüllt waren … zu tun gab es genug.

      Antonio unterbrach seine Arbeit und griff sich die Schürze, die ich mir umbinden wollte. »Scusi. Aber … come si dice … ich dich nicht hier lassen arbeiten«, sagte er in energischem Tonfall.

      Ich sah ihn mit großen Augen an. »Ist das dein Ernst?!«

      Antonio erwiderte meinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich haben bereits Ersatz. Meinen Neffen aus Roma. Er kommt heute Nachmittag und übernimmt deinen Job für diese Woche.«

      Meine Augen wurden noch größer. Von jetzt auf gleich ersetzt zu werden, war wirklich ein Scheißgefühl – selbst wenn es nur für eine Woche war.

      »Scusate«, entschuldigte sich Antonio und breitete die Arme aus. »Aber Giovanni sagt, kommen bella signorina aus England. Du kannst nicht allein in New York lassen. Du dich musst um sie kümmern, adesso basta!«

      Ich seufzte frustriert in mich hinein und sah ihn mit schmalen Augen an. »Diese Schnepfe kommt nicht meinetwegen hierher, sondern wegen Hannes. Er soll sich mal schön selbst um sie kümmern – schließlich hat er sie herbestellt, nicht ich!«

      »Mamma mia, sie nicht wird beißen!« Antonio gestikulierte wild mit seinen Händen. »Du kümmern dich um sie! Geh nach Hause und räum auf für signorina!«

      Er sagte es so bestimmt, dass ich kurz zusammenzuckte.

      Meine Mutter hatte mir nie etwas vorgeschrieben, und so war ich es auch nicht gewohnt, mir etwas vorschreiben zu lassen. Aber Antonio hatte dies in den letzten Jahren nach und nach geändert. Er war für mich so etwas wie ein Vaterersatz, da ich meinen Erzeuger seit etwa zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte. Meine Mutter war vor sieben Jahren an einer Überdosis gestorben. Und davor hatte sie alles getan, um mich möglichst wenig sehen zu müssen. So war mir nur meine Schwester als einziges Familienmitglied geblieben – und die war, kurz nachdem ich aus dem Knast gekommen war, nach England abgehauen. Mit ihrer damaligen Liebhaberin.

      Wäre Antonio nicht gewesen, wäre ich wahrscheinlich postwendend zurück ins Gefängnis gewandert. Aber er hatte sich um mich gekümmert, mir Manieren beigebracht (ein paar zumindest) und ich hörte auf ihn (größtenteils).

       Er konnte sehr streng sein, so wie auch jetzt. Seine dunklen Augen funkelten mich an und er hatte den Kopf nach vorn gestreckt wie ein Stier, der zum Angriff übergehen wollte. Diesen Angriff wollte ich lieber nicht erleben …

      Also hob ich die Hände zu einer beschwichtigenden Geste und wich einen Schritt zurück. »Na gut, na gut«, sagte ich in versöhnlicherem Tonfall. »Ich gehe. Aber ich werde morgen wiederkommen. Ich habe keine Lust,