C. M. Spoerri

Unlike: Von Goldfischen und anderen Weihnachtskeksen


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Weihnachtsstimmung. So was von!

      Das Kontrollmonster schüttelte resigniert den Kopf. Die Romantikerin und ich straften es mit bösen Blicken.

      Mary und ich mussten bei Sam übernachten, wenn wir die ganze Reise nicht abblasen wollten. Denn für einen Hotelaufenthalt und die geplanten Weihnachtseinkäufe reichte unser Geld nicht. Wir arbeiteten zwar nebenher in einem Café als Bedienung, aber viel brachte uns der Job nicht ein. Immerhin hatte diese Arbeit Mary und mich zusammengeführt, denn in der Uni wären wir uns niemals über den Weg gelaufen. Sie studierte Germanistik im fünften Semester, ich Sozialpsychologie. Mein Vater hatte mich immer in der Politik sehen wollen, aber mir widerstrebte es, in seine Fußstapfen zu treten. Daher war ich auch von zu Hause ausgezogen, als ich mein Studium begonnen hatte, denn die ewigen Diskussionen waren mit der Zeit unerträglich geworden.

      Ich hätte auch meinen Dad fragen können, ob er uns ein Hotel in New York bezahlen würde. Da er ein dauerschlechtes Gewissen hatte, weil er sich als alleinerziehender Vater viel zu wenig um mich kümmerte, bezahlte er mir so gut wie alles.

      Meine Mutter hatte uns wegen einem anderen Mann sitzen lassen, als ich noch recht gewesen klein war. Seither hatte ich keinen Kontakt mehr zu ihr – und wollte ihn auch nicht haben. Schon früh hatte ich auf eigenen Beinen stehen müssen und war stolz darauf, dass mir das so gut gelang. Gut, das Kontrollmonster war dadurch geboren worden, weil ich Angst hatte, Fehler zu machen. Aber selbständig zu sein war mir nun mal wichtig.

      Nein … es war schon genug, dass mein Vater den Flug bezahlte. Ich wollte ihn nicht auch noch um das Geld für das Hotel bitten müssen. Und ich wollte bei Sam übernachten …

      Seufzend warf ich einen Blick auf Sams Foto, ehe ich mein Handy in die Hand nahm und die Nummer von Miss Walker wählte.

      Es dauerte etwas, bis die Verbindung hergestellt war. Dann klingelte es einige Sekunden lang und endlich hob jemand den Hörer ab.

      »Hallo?«

      Sofort hatte ich das Bild einer alten, vereinsamten Frau vor Augen. Ihre Stimme klang griesgrämig, als ob sie keine Lust auf ein Gespräch hätte.

      Dennoch räusperte ich mich und suchte meine einschmeichelndste Stimmlage hervor. »Hallo, Miss Walker? Hier ist Sara Miles.«

      »Wer?«

      »Wir kennen uns nicht«, fuhr ich hastig fort. »Aber ich kenne jemanden, der bei Ihnen im selben Haus wohnt … denke ich. Ich rufe aus London an.«

      Oh Gott. Ich hätte mir vielleicht zurechtlegen sollen, wie ich das Gespräch beginnen wollte. Aber jetzt war es sowieso zu spät. Ich spürte, wie meine Handflächen feucht wurden, weil ich zu schwitzen begann. Ich hasste es, keinen Plan zu haben. Keine Kontrolle …

      »Und wen?«, fragte die alte Frau am anderen Ende.

      Anscheinend war Miss Walker kein Mensch der großen Worte.

      »Sam. Sam Wayne.«

      Am anderen Ende herrschte einen Moment lang Stille.

      »Ja, der wohnt hier«, sagte die Frau schließlich. »Warum? Hat er etwas ausgefressen?«

      Ich schüttelte vehement den Kopf, obwohl sie das nicht sehen konnte. »Nein. Nein, hat er nicht. Ich wollte nur wissen, ob er tatsächlich da wohnt.«

      »Soll ich ihm etwas ausrichten?« Sie klang gelangweilt. Offenbar würde ich sie nicht mehr lange in der Leitung halten können.

      »Nein, schon gut«, erwiderte ich hastig. »Ich wollte nur wissen, ob er … hat er dunkle Haare und blaue Augen?«

      Gut, ich hörte mich wie eine Psychopathin an und ich hätte es Miss Walker nicht übel genommen, wenn sie jetzt kommentarlos auflegte. Aber offenbar schien sie Psychopathen gewohnt zu sein, die nach ihren Hausbewohnern fragten.

      »Ja, hat er«, antwortete sie. »Ist das dann alles?«

      »Ähm …«

      »Spucken Sie's aus.« Jetzt klang sie wie eine Marktschreierin, die zu viel Whiskey getrunken hatte.

      »Ist er … ich meine … er ist … sauber, oder? Also nicht im Sinne von ordentlich, sondern … ähm …«

      Mist! Ich hatte keine Ahnung, wie ich es formulieren sollte, ohne dass es noch komischer klang, als es das ohnehin schon tat.

      »Sie wollen wissen, ob er ein Verbrecher ist?« Ich konnte in Miss Walkers Stimme eine Spur von Neugier erkennen.

      »Nun … ja … ich …«

      »In den letzten fünf Jahren hat er sich benommen«, war die ernüchternde Antwort. »Wenn Sie dann mit Ihrem Verhör fertig sind, lege ich auf. Ich habe noch zu tun.«

      »Ist gut, danke für die Auskunft.«

      Ehe ich den Satz beendet hatte, hatte Miss Walker aufgelegt.

       ›In den letzten fünf Jahren hat er sich benommen.‹

      Was bitte schön hieß das? Dass er davor ein Gewaltverbrecher gewesen war? Dass er auf Bewährung war?

      Mann, ich hätte mich nicht so leicht abwimmeln lassen dürfen. Aber mir fehlte der Mut, nochmals anzurufen.

      Also sah ich erneut auf das Bild auf meinem Schreibtisch und runzelte die Stirn.

      Sam hatte in unseren Chats immer sehr freundlich geklungen. Vielleicht manchmal etwas zu gestelzt … aber das sprach ja eher dafür, dass er eben KEIN Verbrecher war. Oder?

      Ich hatte keine Ahnung, wie sich Verbrecher ausdrückten …

      Ach, er würde uns schon nicht töten. Hoffte ich.

      Das Kontrollmonster in mir schlug den Kopf gegen eine imaginäre Wand.

      Ich wählte die Nummer meiner Freundin, um ihr das Ergebnis meiner Recherche mitzuteilen. Es dauerte eine Weile, bis sie ranging.

      »Sara!«

      Ich konnte ihrer Stimme direkt anhören, dass etwas nicht stimmte.

      »Mary, was ist los?«, fragte ich, ohne sie zu begrüßen.

      »Ich … ach, es tut mir so leid.«

      Oje, das klang nicht gut. Ganz und gar nicht.

      »Was ist los?«, wiederholte ich meine Frage.

      »Ich bin … Mann … ich bin so blöd!«, rief sie in den Hörer.

      Ich schüttelte verständnislos den Kopf. »Was ist denn?«

      »Du weißt doch, dass es bei mir um die Ecke diesen neuen Sushi-Laden gibt«, holte Mary aus. Ich nickte, aber sie fuhr bereits fort: »Nun, da war ich gestern Abend. Mit Alex.«

      Alex war ihre neue Bekanntschaft und sie erhoffte sich, dass bald mehr daraus entstehen würde.

      »Und?« Ich konnte immer noch nicht nachvollziehen, warum Sushi und Alex sie blöd machen sollten.

      »Ich war da gestern essen. Ein Date. Und … ach, ich sag's einfach, wie es ist: Ich habe mir eine Fischvergiftung zugezogen.«

      Ich riss die Augen auf. »Oh …«

      »Ja … es tut mir so leid. Der Arzt meinte, es wird mir in ein paar Tagen besser gehen. Aber ich werde morgen nicht mitfliegen können … ich sitze eigentlich nur auf dem Klo – wenn ich nicht gerade kotze.«

      »Oh …«

      Ich sah meinen ganzen Traum vor meinem inneren Auge platzen. Den Traum, in New York zu sein – mit Mary zusammen. Mit ihr diese Stadt zu entdecken, einzukaufen, Spaß zu haben …

      »Geh trotzdem«, drängte Mary, ehe ich ihr sagen konnte, dass ich das Ganze abblasen würde. »Du hast dich so darauf gefreut.«

      »Nein, wir wollten das zusammen machen«, antwortete ich energisch. »Ich werde das nicht ohne dich tun. Zumal ich nicht allein bei einem wildfremden Kerl übernachten werde.«

      Jetzt