C. M. Spoerri

Unlike: Von Goldfischen und anderen Weihnachtskeksen


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vielleicht etwas zu skeptisch, aber er scheint doch ein netter Typ zu sein.«

       Ja, in den letzten fünf Jahren hat er sich benommen …

      »Ich habe Nachforschungen über ihn angestellt«, begann ich.

      »Und?«

      »Er scheint wirklich dort zu wohnen – und er ist auch kein Verbrecher … seiner Nachbarin zufolge.«

      »Du hast mit seiner Nachbarin telefoniert?« Ich hörte förmlich, wie Marys Augenbrauen nach oben schnellten.

      »Nun ja, du hast doch gesagt, dass ich nachforschen soll«, verteidigte ich mich.

      »Ja, aber … ach, egal. Also er ist kein Gewaltverbrecher, Serienmörder, Triebtäter oder Dealer. Das heißt, du kannst guten Gewissens dorthin reisen. Melde dich bitte regelmäßig bei mir, ja? Vielleicht kannst du auch mal mit mir skypen. Dann sehe ich, dass alles in Ordnung ist, und muss mir keine Sorgen machen.«

      Ich atmete tief durch. Die Vorstellung, ohne Mary nach New York zu fliegen, behagte mir immer noch nicht. Es wäre nicht das Gleiche …

      Aber der Flug war bereits gebucht. Es wäre schade, ihn einfach in der Weihnachtsluft verpuffen zu lassen …

      »Sara?«, fragte meine Freundin, da ich nichts mehr gesagt hatte.

      Ich seufzte traurig mein Handy an. »Ja, bin noch da … ich … ach Mensch, ich wäre so gern mit dir zusammen dorthin geflogen.«

      »Ich weiß … es tut mir echt total leid. Aber mir geht es wirklich mies. Außerdem habe ich Fieber und fühle mich, als sei ein Schnellzug über mich drübergefahren.« Meine Freundin klang ehrlich zerknirscht.

      Ich wollte ihr kein noch schlechteres Gewissen machen …

      »Gut«, sagte ich mit fester Stimme. »Ich fliege. Und ich werde alles für dich auf Videos und Fotos festhalten. Dann schauen wir uns das zusammen an, wenn ich zurück bin, abgemacht?«

      »Abgemacht! Ich freue mich, dass du trotzdem dorthin fliegst. Ich hätte sonst ein unglaublich schlechtes Gewissen gehabt …«

      »Ich weiß.« Ich lächelte. »Aber mach dir keine Sorgen. Ich melde mich, sobald ich am Flughafen bin.«

      »Schlaf dann gut.« Ich hörte, wie meine Freundin ebenfalls lächelte. »Und träum schön von New York … und Sam.«

      »Werde ich, danke.«

      Ich legte auf. Bevor ich von irgendetwas träumen würde, würde ich mir erst noch Sam vorknöpfen. Na warte, der würde was zu hören kriegen!

      Na warte, der würde was zu hören kriegen!

      Ich starrte meinen Nachbarn entgeistert an und wusste nicht genau, wie ich auf seine Offenbarung reagieren sollte.

      »Du hast … WAS?«, rief ich und fuhr mir mit beiden Händen durch die Haare, um meine Finger darin zu verkrallen. »Spinnst du?!«

      Hannes warf mir solch schuldige Blicke zu, als hätte er mir soeben gestanden, dass er meinen Goldfisch gegrillt hatte. Aber auch jetzt hatten seine großen, braunen Kulleraugen eher eine gegenteilige Wirkung auf mich.

      Ich wollte dieses Robbenbaby ertränken!

      »Ach komm schon, so schlimm ist es doch nicht«, wagte er den schwachen Versuch, sich herauszureden.

      »So schlimm ist es doch nicht?!« Ich war im Moment viel zu aufgebracht, um mir eigene Worte zum Schreien auszudenken. »So schlimm ist es doch nicht?!«

      Ja, die Worte ließen sich hervorragend brüllen!

      »Evan, jetzt hör doch zu … es war nur gut gemeint …«

      »Gut gemeint?!« Ich schnaubte wütend. »Wenn ich mir eine Frau suchen will, tue ich das auf MEINE Art, kapiert?! Nicht auf DEINE! Du hast kein Recht, dich in mein Privatleben einzumischen! Für wen hältst du dich eigentlich?!«

      Hannes wurde unter meinem flammenden Blick noch ein Stück kleiner. »Ich konnte nicht mehr mit ansehen, wie du immer zur Weihnachtszeit in diesen Trott verfällst. Du solltest mal sehen, was für Blicke du den Menschen zuwirfst. Das ist nicht auszuhalten.«

      »Ach?!« Etwas anderes kam mir gerade nicht in den Sinn. Ich war viel zu aufgebracht und vor allem viel zu wütend auf meinen Nachbarn.

      Was glaubte er eigentlich, wer er war? Ein Heiratsvermittler?

      Wenn er meine Blicke nicht aushalten konnte, sollte er wegsehen! So einfach war das! Ich brauchte kein Date – schon gar nicht in der Weihnachtszeit!

      »Schau zu, wie du da rauskommst!«, blaffte ich ihn an. »Ich werde dieser Londoner Göre bestimmt nicht zur Verfügung stehen!«

      Hannes wirkte jetzt so verloren wie ein Robbenbaby auf einer einsamen Eisscholle. Aber ich hätte eher die Eisscholle in tausend Stücke gehackt, als ihm da runterzuhelfen!

      »Aber … Evan. Du kannst die Frau doch nicht enttäuschen. Sie kommt extra deinetwegen aus London hierher. Eine Woche lang.«

      »Eine Woche lang?! Spinnst du eigentlich? Was hast du ihr erzählt? Dass wir eine Woche lang Sex haben werden?«

      Gut, das wäre eine annehmbare Alternative zu dem Plan, den Hannes sich wahrscheinlich ausgedacht hatte und der mir bestimmt – ganz bestimmt! – NICHT gefallen würde.

      Pass auf, Robbenbaby, was du gleich sagst …

      »Nein, ich dachte, du könntest sie etwas in New York herumführen.«

      Et voilà, da war er: Hannes' dämlicher Plan!

      »Sehe ich aus wie ein Reiseleiter?!«, bellte ich. »Ich habe einen Job! Ich kann nicht einfach Urlaub nehmen!«

      »Du … ich …«

      Hannes begann herumzustottern und ich ahnte bereits Böses.

      »Was?!« Ich ging einen bedrohlichen Schritt auf ihn zu, was ihn vor mir zurückweichen ließ.

      »Du hast frei«, nuschelte Hannes, ohne mir dabei in die Augen sehen zu können.

      Ich starrte ihn an, als hätte er mir gesagt, dass er mich heiraten wolle.

      »Wie meinst du das?« Meine Stimme war gefährlich leise geworden. Ich wollte meine Stimmbänder etwas schonen, da ich sicher war, dass da noch mehr kam – und dafür wollte ich ihn gebührend laut anschreien können, ohne dass ich direkt heiser wurde.

      »Ich habe es mit deinem Chef Antonio geklärt«, hauchte Hannes.

      Er war nun so weit zurückgewichen, dass er fast bei der Tür angekommen war, die zu seinem eigenen Apartment führte. Es war nur zu seinem Besten, denn die Tür stellte seine einzige Rettung dar, ehe ich ihm den Kopf von den Schultern reißen würde.

      »Du hast …« Mir blieben die Worte im Hals stecken und ich atmete tief ein und aus. »Du hast …« Auch beim zweiten Mal verschluckte mein Zorn die Worte, also ließ ich es und begann direkt wieder zu brüllen. »Welches Rentier hat dir denn bitte schön ins Hirn geschissen?!«

      Hannes hob beide Hände in die Luft, um sie wie einen Schild zwischen mich und sich zu halten. »Beruhig dich, Mann!«, rief er. »Du hattest noch Urlaubstage übrig und dein Chef hat dir diesen Gefallen sehr gern getan. Du hast bis Weihnachten bezahlten Urlaub und damit ab morgen frei.«

      Ich wusste nicht, ob ich noch weiter brüllen oder ihm einfach eine reinhauen sollte. Vielleicht eine Kombination davon: ihm brüllend eine reinhauen!

      Mein Job war neben meiner namenlosen Geliebten das Einzige, was mich in dieser beschissenen Weihnachtszeit über Wasser hielt. Dass Hannes mir ausgerechnet das genommen hatte, war einfach … es war … ich fand keine Worte dafür.

      Mein Chef Antonio hatte mir natürlich immer wieder ans Herz gelegt, ich solle endlich mal Urlaub machen. Ich hatte in den fünf Jahren, die ich bei ihm arbeitete,