Kleine jedes Mal nach Harras, dem treuen Hunde, und sagte zärtlich:
»Der Harras hat zuerst gebellt, nun müsst ihr auch den Harras streicheln. Der ist so klug, viel klüger als Pucki.«
Und Harras duldete es gern, dass man ihm den Kopf kraulte. Er sah mit seinen treuen Augen zu seiner kleinen Herrin auf und dachte in seinem Hundesinn: Wir beiden, du und ich, wir haben es gut gemacht!
2. Band: Puckis erstes Schuljahr
1. Kapitel: Der erste Schultag
Die sechsjährige Hedi, Förster Sandlers älteste Tochter, saß in der Veranda des schmucken Forsthauses und knabberte an einem Stück Schokolade. In ihren Armen ruhte das geliebte Puppenkind Diana, der Jagdhund Harras stand neben ihr und wartete gespannt darauf, dass ihm die Kinderhände wieder etwas reichen möchten. Hedi, die in der ganzen Gegend den Namen Pucki führte, brach auch gewissenhaft von der Schokolade ein Stück nach dem anderen ab, das dann bald darauf im Maule des Hundes verschwand.
»Jetzt ist es genug, Harras, morgen bekommst du viel mehr. Morgen muss ich in die Schule, dann gibt es eine große Tüte, die ist bis oben hin voll mit Schokolade. Wenn du gut lernst, Harras, bekommst du was aus der Tüte. – Sieh mal, Harras, so eine große Tüte!«
Puckis Hände hoben sich hoch in die Luft und beschrieben einen großen Bogen. Diese Tüte, die ihr von den Eltern für morgen versprochen worden war, schien ihr der einzige Trost, von morgen ab an jedem Tag in der Schulstube sitzen und immerfort lernen zu müssen.
Was mochte die Schule nur alles bringen? Jeder erzählte etwas anderes. Da waren auf dem Niepelschen Gute, das etwa zwanzig Minuten vom Forsthause Birkenhain entfernt lag, die Drillinge, der Paul, der Walter und der Fritz. Seit zwei Jahren mussten die Knaben fast täglich nach Rahnsburg zur Schule. Nun schlug diese Stunde auch für Pucki.
Pucki schüttelte sich, die blonden Löckchen flogen um das reizende Kindergesicht. Was hatte der Paul nicht schon alles von der Schule erzählt. Ganz anders Fritz, der Jüngste der Drillinge. Er behauptete, Fräulein Caspari wäre ein sehr liebes Fräulein. Schade nur, dass sie in die andere Klasse nicht mitgegangen sei. Bei Fräulein Caspari konnte man vergnügt lachen, schreiben und zeichnen. Nur der Paul wurde öfters einmal in die Ecke gestellt, da er unaufmerksam gewesen war.
»Ach, Harras«, seufzte der Kindermund, »vielleicht muss ich nun auch jeden Tag in der Ecke stehen und darf nicht mehr in den Wald, weil ich immerzu lernen muss!«
Pucki stand auf, holte aus dem Zimmer den nagelneuen Ranzen; von morgen ab würde sie ihn täglich nach der Schule tragen. Sie klappte den Deckel zurück.
»Ja, Harras, sieh dir das nur an! Eine Schiefertafel, und hier das Kästchen mit den Stäbchen. Aus dem bunten Papier schneide ich dir eine schöne Halskette, die bringe ich dir mit. – Wie gut hat es die Waldi, sie braucht noch lange nicht in die Schule!«
Waltraut oder Waldi, wie Pucki sie nannte, war das zweijährige Schwesterchen des Försterkindes. Als Waldi geboren worden war, fand Pucki gar keinen Gefallen an dem Schwesterchen. Seit kurzem konnte sie mit der Kleinen bereits vergnügt spielen. Pucki bedauerte es, dass Waldi gerade jetzt, da sie zur Schule musste, Verstand bekommen hatte; viel schöner wäre es gewesen, wenn Waldi bereits früher mit ihr gespielt hätte.
Aber da waren noch die drei Niepelschen Buben, die oft nach dem Forsthause kamen. Heute wurden sie samt ihrer Mutter ebenfalls sehnsuchtsvoll von Pucki erwartet, denn die Gutsbesitzersfrau hatte dem kleinen Mädchen zum Schulbeginn einige Süßigkeiten versprochen.
»Sie kommen noch immer nicht«, seufzte die Kleine und betrachtete das letzte Stückchen Schokolade, das sie dem geliebten Harras ins Maul schob. Das Schwesterchen schlief, der Vater war im Walde, und die Mutter arbeitete mit dem Mädchen in der Waschküche.
Die Kleine sprang auf, denn deutlich war Räderrollen zu vernehmen. Pucki wusste, dass der Niepelsche Wagen nahte, der den kurzen Besuch brachte.
Sie eilte durch den Vorgarten und begrüßte stürmisch die Ankommenden.
»Wir bleiben ein bisschen bei dir, bis die Mutter wieder aus Rahnsburg zurückkommt«, rief Fritz schon vom Wagen herab. Dann kletterten die drei Knaben herunter, neckten Harras, der sie schweifwedelnd umsprang, und stürmten in den Garten des Forsthauses.
Pucki wurde von Frau Niepel zurückgehalten.
»Nun geht es also morgen zum ersten Male in die Schule, Pucki?«
»Ach ja – deswegen wolltest du mir was bringen.«
»Freilich, Pucki, das habe ich dir versprochen. Wenn ich in einer Stunde zurückkomme, erhältst du eine große Tüte. Eigentlich müsstest du sie erst morgen haben, doch da habe ich keine Zeit. Ich denke, du wirst immer recht artig sein und viel lernen, damit deine Eltern Freude an dir haben.«
»Wenn es nur nicht so graulich wäre.«
»Das hat dir der Paul wieder eingeredet. Frage nur den Fritz, er geht sehr gern in die Schule, und auch Walter grault sich gar nicht. Wenn man lernt, was man aufbekommt, ist es in der Schule sogar sehr hübsch. Ich weiß genau, dass es dir in der Schule gut gefallen wird. Doch nun laufe zu den Buben, in einer Stunde hole ich sie wieder ab.«
»Und bringst mir die Tüte?«
»Ja, Pucki, ich erwarte dann aber auch, dass du recht brav bist.«
»Muss ich dir die Tüte wiedergeben, wenn ich nicht brav bin?«
»Nein, Pucki, du würdest aber keine Freude daran haben, denn ich schenke sie einem fleißigen Kinde.«
Frau Niepel fuhr davon, und Pucki eilte zu den achtjährigen Drillingen, die mit Harras im Garten herumtollten.
»Kriegt ihr morgen auch jeder eine Tüte?«
»Nein, leider nicht, die bekommt man nur, wenn man zum ersten Male in die Schule geht.«
»Dann möchte ich immerfort zum ersten Male in die Schule gehen! – Mutti bringt mich morgen nach Rahnsburg und holt mich wieder ab. Und dann bekomme ich auch noch von ihr eine Tüte.«
»Hast du nicht Angst?« fragte Paul.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Pucki unsicher, »der Vati sagt, es muss nun einmal sein, die Mutti sagt, es ist schön in der Schule und – –«
»Und ich sage dir«, schrie Paul, »es ist scheußlich! Da stellen sie mich in die Ecke.«
Walter und Fritz waren dem Bruder gefolgt. Letzterer legte zärtlich den Arm um Puckis Schulter.
»Der Paul schwindelt, Pucki, der Paul ist entsetzlich faul. Es macht wirklich viel Spaß, in der Schule zu sitzen. Pass auf, du wirst dich morgen furchtbar freuen, dass du jeden Tag dort hingehen darfst.«
»Wenn's aber so graulich ist?«
»Es ist gar nicht graulich«, tröstete nun auch Walter. »Wir haben so viel gelacht. Du wirst sehen, es macht Spaß!«
»Mir macht es gar keinen Spaß«, ereiferte sich Paul.
»Du sollst Pucki nicht Angst machen«, schrie Walter und versetzte dem Bruder einen kräftigen Puff. »Du bist ein fauler Bengel, hat der Lehrer gesagt. Du wirst auch sitzenbleiben, dann lachen dich alle Leute aus.«
Paul maulte und lief davon, während Pucki noch ein ganzes Weilchen den Erzählungen der beiden