Magda Trott

Pucki


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weißt doch, was ein Raubtier ist, Pucki?«

      »Ja, Vati, ein Tier, das in der Nacht und manchmal auch am Tage auf Raub ausgeht.«

      »Sehr richtig, Pucki. Und ein Raubritter ist ein Mann, der auch auf Raub ausgeht.«

      »Dann kann ich ihn nicht leiden, Vati.«

      »In früheren Zeiten gab es solche Raubritter, jetzt aber nicht mehr. Man erzählt sich nur noch allerlei Geschichten von ihnen und von ihren Burgen. Fast jede alte Burg hat eine Sage.«

      »Dürfen wir in die Burg hineingehen?«

      »Freilich, aber es gibt da nicht viel mehr zu sehen als alte Mauerreste.«

      Nun hockten die beiden Mädchen beständig zusammen und erzählten einander von der weiten Reise im Leiterwagen. Rose war voller Erwartung. Sie konnte sich einen derartigen Ausflug überhaupt nicht vorstellen.

      »Mein Bruder steigt auf die elektrische Bahn, wenn er wegfährt, und ich bin mit der Eisenbahn gefahren. Aber mit einem Leiterwagen bin ich noch nie gefahren. – Es wird gewiss sehr schön sein.«

      Gegen Ende der Woche kam Fritz Niepel ins Forsthaus, der ebenfalls sehr aufgeregt von dem Sonntagsausflug erzählte.

      »Mit vielem Grün putzen wir den Leiterwagen aus, und die Mutter backt einen Napfkuchen, so groß wie ein Wagenrad. Draußen im Walde deckt sie dann den Kaffeetisch, und Tassen nehmen wir mit und viel Schlagsahne. – Und ich nehme auch was mit, das sage ich aber keinem, ganz was Feines!«

      »Was nimmst du denn mit, Fritz?«

      »Ihr müsst auch was mitbringen. Ich habe gehört, dass meine Mutter zu Tante Oberförster gesagt hat: Jeder bringt etwas mit.«

      »Was soll ich denn mitbringen?«

      »Ich werde dir was sagen, aber du darfst es nicht verraten. Gestern war ich in Rahnsburg, ich habe eine ganze Tasse voll Sirup gekauft, die nehme ich mit. Aber keiner darf es wissen. – Ach, werden sich alle freuen, wenn sie lecken dürfen.«

      »Ach, was bringe ich nur mit? – Rose, was nehmen wir mit nach der Burg?«

      Fritz war längst wieder daheim, aber noch immer berieten die beiden Kinder, womit sie die Ausflügler überraschen könnten. – Schließlich wurde Minna ins Vertrauen gezogen. Sie sollte ihnen etwas aus der Speisekammer geben, wodurch man allen, die am Sonntag mit in den Wald kämen, eine Freude machen könnte.

      »Ich will es mir überlegen«, sagte Minna, und dann teilte sie Frau Sandler den Wunsch der beiden Mädchen mit. Die Försterin stiftete eine Flasche Himbeersaft.

      »Unterhalb der Ruine ist eine Quelle, vielleicht ist es gut, wenn die Kinder Himbeersaft zum Trinken haben.«

      »Werden die Kinder die Flasche unterwegs auch nicht zerschlagen?«

      »O nein, Pucki wird schon achtgeben.«

      Die Kinder umarmten Minna abwechselnd, als sie ihnen die Flasche mit Himbeersaft aushändigte.

      »Du musst sie noch aufmachen, Minna.«

      »Nein, nein, die lasst nur hübsch zu. Einen Korkenzieher bringt die Mutti mit.«

      »O nein«, sagte Pucki geheimnisvoll. »Mutti darf nichts davon wissen. Dann nehmen wir den Korkenzieher mit.«

      »Meinetwegen, ihr bekommt die Flasche ja doch nicht auf.«

      Die Flasche mit Himbeersaft wurde von Pucki am Sonnabend abends mit ins Bett genommen, damit sie ja nicht verloren ginge.

      »Ätsch«, sagte sie abends zu der kleinen Schwester, »warum bist du noch so klein. Nun darfst du noch nicht mit zu der Ritterburg. Als ich so klein war wie du, durfte ich auch nicht mit. – Siehst du, warum bist du so klein!« –

      Der Sonntag war voller Sonnenschein. Seit dem frühen Morgen fragten die Kinder, ob man denn nicht bald abführe.

      »Haltet Ruhe, ihr Kinder«, schalt der Förster, der schon nervös geworden war, da die beiden Mädchen unablässig die gleiche Frage stellten. »Der Wagen fährt um zwölf Uhr dreißig Minuten von dem Niepelschen Gute ab. Ihr werdet kurz nach eins abgeholt, eher nicht.«

      Pucki stand vor der Uhr und sagte seufzend: »Kannst du dich nicht ein bisschen schneller drehen, alte Uhr?«

      Das Mittagessen wurde heute schon um halb zwölf Uhr eingenommen. Die Kinder vermochten vor lauter Aufregung kaum etwas zu genießen. Roses Augen glänzten wie im Fieber. Sie konnte sich einen solchen Ausflug nicht verstellen. Was würde sie heute Seltsames und Wunderbares erleben!

      Die Flasche mit dem Himbeersaft wurde von Pucki wie ein Schatz gehütet. Sie wusste, dass die Mutti an jedem Morgen beim Aufräumen der Zimmer half. Wenn sie die Flasche sah, war die Überraschung vorbei. Darum trug Pucki die kostbare Flasche sogleich nach dem Aufstehen in den Hühnerstall und schob sie ins Stroh.

      Von Zeit zu Zeit lief sie in den Stall, um nachzusehen, ob keiner die Flasche entfernt hätte.

      »Jetzt wollen wir die Sachen, die wir mitnehmen, einpacken«, sagte die Mutter.

      »Nimmst du auch was mit, Mutti?«

      »Selbstverständlich, wir sind doch beinahe zwanzig Personen.«

      »Oh, ich habe auch – – nein, nein, Mutti, ich verrate nichts.«

      Frau Sandler lächelte still vor sich hin. Sie wusste ja genau, was ihr Töchterchen für den heutigen Ausflug mitnahm, doch sie wollte ihr die Freude an dem Geheimnis nicht verderben.

      Die Kinder umstanden die Mutter, die in einen großen Henkelkorb allerlei einpackte. Ein Tischtuch wurde auch hineingetan.

      »Wir decken auf dem Waldboden unseren Tisch und setzen uns daran.«

      »Wir setzen uns auf Baumstümpfe, Mutti.«

      »Mitten im Walde?« forschte Rose. »Ach, das wird herrlich!«

      Endlich war es so weit. Draußen stand der Kastenwagen mit dem weißen Pferdchen. Pucki und Rose kletterten, ehe die Mutter kam, hinauf und riefen abwechselnd nach der noch beschäftigten Försterin.

      »Mutti, komm doch schnell, sonst fährt der Leiterwagen weg! – Mutti, Mutti, so komm doch!«

      »Wo hast du denn die Flasche?« fragte Rose.

      »Oh – –!«

      Pucki sprang vom Wagen und lag im nächsten Augenblick der Länge nach auf der Nase. Aber tapfer verbiss sie den Schmerz. Sie hatte sich die Nase ein wenig aufgeschlagen. Einige Blutstropfen wurden sichtbar.

      Im Haus begegnete ihr die Mutter.

      »Was ist denn geschehen? Das ist ja ein netter Anfang, Pucki. Komm schnell, ich will dir das Gesicht abwaschen!«

      »Nein, nein, sonst fährt der Leiterwagen weg!«

      »Er wartet, bis wir da sind. Also komm, zuerst das Gesicht abwaschen!«

      Und so geschah es.

      »So, Pucki, nun geh hinaus und steige in den Wagen, ich bin fertig.«

      Aber Pucki lief davon, hin zum Hühnerstall, übersah in ihrer Eile die Schwelle und lag erneut auf der Erde. Das Kleidchen wies einige bedenkliche Flecke auf, denn wo Hühner sind, ist es nicht überall sauber.

      Voller Schreck sah Pucki auf das beschmutzte Röckchen.

      »Nun fährt der Leiterwagen bestimmt weg!«

      Die Flasche wurde hervorgezogen, dann ging es in schnellem Lauf zurück durch das Haus und hin zum Wagen. Glücklicherweise war die Mutti noch nicht da.

      »Ich hab' inzwischen deinen Schulranzen geholt«, sagte Rose, die auch vom Wagen gestiegen war. »Wir stecken die Flasche hinein, dann sieht sie keiner.«

      Rose hielt Pucki die geöffnete Büchermappe hin, in der noch die Tafel und das Lesebuch steckten. Sorgsam legten die Kinder die Flasche hinein.

      »Du