Magda Trott

Pucki


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eine Decke, die Pucki bis an den Hals hinaufzog. Die hilfsbereite Rose hockte sich neben sie und hielt die Decke mit fest. Frau Sandler wunderte sich über die Kinder, die so steif da saßen; ließ sie jedoch gewähren.

      Nun ging es los. Bald war das Niepelsche Gut erreicht. Vor dem Hause stand der große Leiterwagen, über und über mit frischem Grün geschmückt. Sogar die beiden Pferde, die vor den Wagen gespannt waren, hatten am Geschirr grüne Büschel.

      »Fahren wir mit dem Wagen?« fragte Rose, und ihre Stimme zitterte vor Aufregung.

      Die Ankommenden wurden von den bereits anwesenden Kindern mit lautem Hallo empfangen. Sie schwenkten die Lampions, die sie an langen Stöcken trugen. Gutsbesitzer Niepel hatte die Lampions gestiftet, und auch für Pucki und Rose waren solche bereit.

      »Kind, wie siehst du denn aus?« rief Frau Sandler entsetzt, als sie ihr Töchterchen sah. »So schmutzig willst du nach der Ruine fahren?«

      »Lassen Sie sie nur«, sagte Herr Niepel lachend. »Wenn die Kinder wieder heimkommen, werden sie alle so aussehen. Ich kenne das. Auf einem Ausfluge erlebt man mancherlei.«

      Pucki wurde, so gut es ging, gesäubert, dann hieß es einsteigen, zumal auch aus der Oberförsterei der Wagen mit der Oberförsterin und den fünf Mädchen eingetroffen war.

      »Kommt der große Claus nicht mit?« fragte Pucki ein wenig enttäuscht.

      »Der Onkel kommt mit den beiden Jungen später nach.«

      »Na, dann ist's gut.«

      »Jetzt einsteigen«, rief Niepel. »Hallo, nicht alle auf einmal, immer hübsch einer nach dem anderen. – Paul, willst du die Bretter wohl in Ruhe lassen! Setz dich hin – nicht ins Stroh! – Dora, was machst du denn wieder für Dummheiten! – Grete, geh von den Pferden weg.«

      Gutsbesitzer Niepel schien zehn Augen im Kopfe zu haben; die sechzehn Kinder quirlten durcheinander, schrien und lärmten und sprangen vor Freude wieder vom Wagen herunter, bis lautes Weinen vernehmbar wurde.

      »Er hat meinen Lampion entzwei gemacht!«

      »Ich habe noch andere mit«, beruhigte Frau Niepel. »Weine nicht, steige lieber ein.«

      Auf dem Wagen gab es noch eine kleine Balgerei, weil die Paula durchaus neben der Erna und Grete neben Marie sitzen wollte. Fritz zerrte einfach ein kleines Mädchen, das neben Pucki saß, von dem Sitz herunter. Es fiel ins Stroh und begann zu weinen. Die drei mitfühlenden Mütter hatten Mühe, Ordnung auf dem Leiterwagen zu schaffen. Fräulein Irma, das Kinderfräulein, machte ein verzweifeltes Gesicht, denn Lenchen rief nach ihrem Lampion, der schon wieder auf der Erde lag. Olga hatte ihren Mantel im Flur liegen lassen, und was Paul anbetraf, so stellte es sich heraus, dass er kein Taschentuch bei sich hatte. Als Fräulein Irma wohl zwölfmal vom Wagen gestiegen war, um immer wieder etwas zu holen, schlug der Gutsbesitzer energisch in die Hände.

      »Jetzt aber Ruhe! – Wer noch schreit oder lärmt, darf nicht mitfahren. Die Pferde ziehen nicht eher an, als bis Ruhe herrscht.«

      »Das glaube ich nicht«, flüsterte Pucki Fritz ins Ohr, »die Pferde laufen auch, wenn wir Lärm machen.«

      Endlich war es still geworden. Unter dem Gesang eines lustigen Liedes setzte der Leiterwagen sich in Bewegung.

      »Siehst du, Onkel«, rief Pucki mit lauter Stimme, »die Pferdchen laufen doch!« Abschied nehmend winkte sie dem lieben Onkel Niepel zu, der sich die Schweißtropfen von der Stirn wischte und froh war, dass die Geschichte endlich in Gang gekommen war.

      Man fuhr durch den herrlichen grünen Wald. Ohrenbetäubender Lärm herrschte auf dem Leiterwagen, denn sechzehn Kinder redeten gleichzeitig. Sie hatten viel zu bewundern und zu fragen. Mitunter war es geradezu rührend, die Freude der Kleinen, denen ein solcher Ausflug etwas vollkommen Ungewohntes war, anzusehen. Am schönsten aber erschien es allen, wenn der Wagen recht schüttelte. Dann rutschten die Kinder wie auf Kommando von ihren Sitzen herab und lagen im dicken Stroh, das Gutsbesitzer Niepel vorsorglich hatte in den Wagen legen lassen.

      »Wenn wir doch nie an die Ruine kämen. Es ist zu schön im Wagen!« meinte Rose.

      »An der Ruine ist es gewiss noch viel schöner«, sagte Pucki.

      »Warst du schon mal da?« fragte eines der Mädchen.

      »Nein, aber ich weiß, dass dort ein ganz kaputtes Haus steht. Und darin hat mal ein Raubritter gewohnt, der hat den Leuten alles weggenommen.«

      »Vielleicht kommt er«, schrie Paul, »und trinkt uns den Kaffee aus. Ein Ritter hat immer Durst.«

      »Der Raubritter ist doch schon lange tot«, belehrte Pucki ihn. »Das war vor vielen Jahren, und seine Ruine ist ganz kaputt. Da ist nur noch eine Mauer, in der kann man nicht wohnen.«

      »Wer sagt das?« fragte Fritz.

      »Vati hat es gesagt. Der Raubritter kann uns nichts tun.«

      »Na, der soll nur kommen«, prahlte Paul. »Ich habe ein Messer in der Tasche. An dem Messer ist auch noch 'ne kleine Schere und ein Korkenzieher.«

      »Au – fein«, rief Pucki, »ich habe den Korkenzieher vergessen.« Sie zwinkerte dem Freunde listig zu.

      Da – wieder ein kräftiges Rütteln des Wagens, lautes Lachen, und wieder lagen einige Kinder im Stroh. – Sie setzten sich erneut zurecht. Doch bald ertönte eine weinerliche Stimme.

      »Ich klebe!« Es war die kleine Olga, die neben Fritz Niepel saß.

      »Wo klebst du denn?« fragte Frau Niepel.

      »Ich klebe auch!« rief Fritz.

      »Da trippt was Schwarzes!«

      Frau Niepel erhob sich. Aus einer blauen Zuckertüte tropfte langsam dunkler dicker Saft ins Stroh.

      »Ach, mein schöner Sirup!« schrie Fritz und griff mit beiden Händen nach der blauen Tüte, die die umgestürzte Tasse mit dem köstlichen Saft barg.

      »Jix – – auf meine Schuhe hat es eben getrippt!«

      »Mein ganzes Kleid klebt«, begann Olga zu weinen.

      Mit schnellem Griff erfasste Frau Niepel die Tüte und warf sie aus dem Wagen. Da begann Fritz zu jammern.

      »Mein schöner Sirup – meine ganze Überraschung ist aus dem Wagen geflogen.«

      »Pfui, ich klebe so sehr!« klang es wieder.

      Fritz, der die Tasse in der Tüte hinter sich auf den Sitz gestellt hatte, war gleichfalls gehörig mit Sirup beschmutzt. Olgas Kleid wies viele dunkle Flecke auf, die Hände, die sie in die Luft streckte, waren braun.

      »Hier trippt es noch«, rief Walter und wischte mit dem Finger die Tropfen auf.

      Mit einem Handtuch bemühte sich Frau Niepel, den Schaden ein wenig zu beheben.

      »Ihr bleibt ganz ruhig sitzen. An der Burg werden wir die Sachen reinigen. Wir sind bald da.«

      Trotzdem drang Olgas Gejammer immer wieder durch: »Ich klebe so sehr.«

      »Seht einmal dort hinüber, dort steht die alte Burg.«

      Den Blicken der Kinder zeigte sich eine Ruine auf einer kleinen Anhöhe. Da wurde haltgemacht. Der Wald wies eine Lichtung auf, und dieser Platz war ausersehen worden, um dort den Nachmittagskaffee einzunehmen.

      »Vorsicht – drängelt nicht so sehr, ihr fallt ja vom Wagen.«

      »Paul, du sollst nicht über die Leitern springen!«

      Und wieder hatten die Erwachsenen Augen und Ohren offen zu halten, um einen Unfall zu verhüten. Zunächst ging das Kinderfräulein mit Fritz und Olga zu einem kleinen Bach, der sich silberhell durch das Gelände schlängelte. Neue Hosen hatte man freilich für Fritz nicht mitgenommen.

      »Du legst dich in die Sonne, neben Olga, dann trocknet ihr am schnellsten, und die Größten helfen den Tisch decken.«

      Daran dachte freilich keines der Kinder.