Magda Trott

Pucki


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      »Lieber Gott, was machen wir nun?«

      »Mutti, Mutti«, jubelte Hedi, »ein Kindchen sollte kommen, nun sind es so viele geworden! Mutti, na, da muss die Minna gleich Waffeln backen.«

      Frau Sandler war ratlos. Die Führerin wollte mit dem Abendzuge wieder abreisen. Die Kinder konnten unmöglich in dem Forsthause und ebenso wenig in dem Gutshause untergebracht werden. Jetzt galt es zu handeln.

      Der Reihe nach wurden die Forsthäuser telephonisch angerufen. Aber auch in Rahnsburg fragte man bei zahlreichen Familien an, ob sie nicht wenigstens für die nächsten Tage ein oder zwei erholungsbedürftige Stadtkinder aufnehmen wollten.

      »Sehen Sie, liebe Frau Niepel«, sagte Frau Sandler schuldbewusst, »das ist die Strafe für meine Nachlässigkeit. Damals bat man mich, zu versuchen, einige arme Kinder unterzubringen. Ich habe es verabsäumt. Nun sind mir durch einen unglücklichen Zufall zwanzig Kinder zugeschickt worden.«

      »Vier Kinder will ich abnehmen, und der Förster in Lindengrund hat auch zugesagt, dann sind da der Apotheker, der Arzt, der Gutsbesitzer Gehm und der Spediteur Runge. Ich denke, bis zum Abend hat sich alles geklärt.«

      Sechzehn Kinder blieben zunächst im Forsthause. Dort gab es für alle Milch und Butterbrote. – Ganz plötzlich sprang Pucki, die zwischen ihnen saß, auf.

      »Großer Claus – großer Claus, sieh mal, wieviel Kinder wir bekommen haben. Wir hatten noch mehr, die hat Tante Niepel mitgenommen.«

      Als Frau Sandler den Primaner erblickte, beschloss sie, ihm ihre Not zu schildern. Die Oberförsterei war groß, und Oberförster Gregor und seine Frau waren gutherzige Leute.

      Der große Claus lachte auf und rief die Eltern durch das Telefon an.

      »Für den Augenblick wäre Abhilfe geschaffen«, sagte er. »Mutter ist bereit, ein Dutzend Kinder für einige Tage in der Oberförsterei aufzunehmen. Einige sind ja bereits untergebracht. Wir werden das schon zurecht bekommen. Wenn es Ihnen recht ist, laufe ich hinüber nach Rahnsburg, ich bin dort nicht unbekannt. Ich werde mir schon für einige Kinder eine Unterkunft erfechten. Ich komme bald wieder zurück, dann gehe ich mit dem Rest zur Oberförsterei.«

      Während man dort Vorbereitungen traf, die unerwarteten kleinen Gäste unterzubringen, ging Claus Gregor zu bekannten Familien in Rahnsburg. Überall erzählte er lachend von dem Kuss, den Pucki der Großmutter hatte schicken wollen, und der an die falsche Adresse gekommen war. Überall, wo man das hörte, stimmte man in sein Lachen ein.

      »Es ist eben Försters Pucki!«

      »Auf dem Tun der Kleinen liegt sichtbar Gottes Segen«, sagte die Pastorin. »Durch den Kuss ist für zwanzig Großstadtkinder gesorgt worden, die sonst wahrscheinlich nicht hinaus aufs Land gekommen wären. Selbstverständlich nehme ich zwei Kinder auf.«

      Claus Gregor kehrte in das Forsthaus mit dem Bescheid zurück, dass er acht weitere Kinder in Rahnsburg untergebracht hätte. Von drei Forsthäusern waren inzwischen ebenfalls Zusagen eingegangen. So konnte Claus nur noch mit fünf kleinen Mädchen abmarschieren.

      »Die lass nur ruhig hier«, meinte Pucki und wies auf eines der Kinder, »die muss erst rote Backen bekommen. Die anderen kannst du mitnehmen. – Wie heißt du denn?«

      »Rose«, klang es scheu zurück.

      Pucki lachte. »Du bist doch keine Rose! Eine Rose ist schön rot oder weiß oder gelb. – Na warte mal, ich geh' mit dir in den Wald, du trinkst Milch, und dann wirst du dick und rund.«

      Als die Leiterin des Transportes zur Bahn gehen musste, waren die zwanzig Kinder ordnungsgemäß untergebracht.

      6. Kapitel: Rose sieht viel Neues

      Pucki Sandler und Rose Scheele standen sich in den ersten Tagen ihres Zusammenseins vollkommen fremd gegenüber. Pucki, die stets die herrliche Natur um sich gehabt hatte, die im Walde herangewachsen war, begriff es nicht, dass ein Mädchen noch nie einen Wald durchstreift, noch nie Kühe und Schweine gesehen hatte. Hunderte von Fragen stellte sie an die anfangs recht scheue Rose, und alles das, was ihr erzählt wurde, erschien dem Stadtkind höchst sonderbar. Oft lief Pucki zur Mutter, um ihr zu erzählen:

      »Mutti, denke doch, die Rose hat noch keinen Schweinestall gesehen, immer nur auf Bildern. – Mutti, die Rose hat niemals in solche Ställe geguckt!«

      »Rose kommt aus einer großen Stadt, in der es keine Schweineställe gibt; Rose wird dich noch manches fragen, wird gar vieles anstaunen. Wenn du einmal in die große Stadt kommst, Pucki, wird dir auch gar vieles fremd erscheinen.«

      »Sie will nicht mit mir in den Wald kommen, Mutti, sie fürchtet sich, wenn die Bäume rauschen. Sie sagt, es gibt im Walde schlimme Menschen, die einem was tun wollen. – In der Stadt gibt es viele schlimme Menschen. Mutti, ist das wahr?«

      »Rose braucht sich in unserem Walde nicht zu fürchten, besonders dann nicht, wenn ihr in der Nähe des Forsthauses bleibt. Du sollst auch nicht zu tief in den Wald hineingehen.«

      »Aber zur Oberförsterei und zum Schmanzbauer dürfen wir doch gehen.«

      »Nur in Begleitung des Vaters, oder wenn ich mitkomme.«

      »Oder mit dem großen Claus?«

      »Auch dann dürft ihr gehen. – Hast du daran gedacht, Pucki, dass in zwei Tagen die alte Mutter des Schmanzbauern neunzig Jahre alt wird? Du wolltest der guten alten Frau doch etwas schenken.«

      »Ach, Mutti, so 'ne alte Frau! Ja, in zwei Tagen gehe ich zu der alten Mutter. – Weißt du, ich flechte ihr aus den bunten Streifen eine kleine Decke, dann freut sie sich. Oder kann sie nicht mehr sehen, weil sie so trübe Augen hat?«

      »Die kleine Decke wird sie sicherlich noch sehen können.«

      »Was schenkt ihr denn Rose?«

      »Rose kann nicht viel schenken, sie ist zudem fremd hier und war noch nie auf der Schmanz. Wenn Rose ein paar Blümchen pflückt und sie der Großmutter bringt, genügt das vollauf.«

      »Dann werde ich ihr lieber die Blümchen pflücken, und die Rose kann die Decke flechten.«

      »Du kleiner Faulpelz! Ich glaube schon, dass die alte Schmanzbäuerin sich sehr über dein Geschenk freuen würde. Geh nur hurtig an die Arbeit. Rose kann auch ein solches kleines Deckchen flechten, es wird ihr gewiss Spaß machen.«

      Schon eine Stunde später saßen die beiden Kinder über die Flechtarbeit gebeugt. Rose Scheele zeigte sich viel anstelliger als Pucki; sie war daher viel eher fertig. Da schob Pucki ihr die eigene Arbeit zu und sagte:

      »Du freust dich doch, wenn du flechten kannst, nun flechte mal weiter, und nachher gehen wir zur Kuh.«

      »Ach nein, wir wollen nicht zur Kuh gehen.«

      Pucki lachte belustigt. »Die Kuh tut uns gar nichts, die gibt uns nur gute Milch. Bekommst du zu Hause auch Milch von der Kuh?«

      »Nein.«

      »Bekommst du gar keine Milch?«

      »Doch, vom Milchmann.«

      »Aber der Milchmann holt sie doch von der Kuh! Ach, du bist zu ulkig! Nicht mal Waldi fürchtet sich vor der Kuh, und Waldi ist doch viel kleiner als du.«

      Die Schwester, die im Nebenzimmer spielte, hörte ihren Namen und kam herbeigelaufen. Als sie die beiden bunten Flechtarbeiten sah, griff sie mit ungeschickten Händen danach.

      »Lässt du das liegen.«

      »Waldi will das haben.«

      »Nein, nicht! – Hast du auch solche ungezogene Schwester zu Hause, Rose?«

      »Noch viele.«

      »O je, ich habe an der einen genug! – Du sollst das liegenlassen, Waldi, das ist für die ganz alte Schmanzbäuerin. – So, und nun gehen