wir möchten bei dir bleiben und spielen.«
»Ihr müsst euch aber ruhig verhalten, denn Mutti hat Briefe zu schreiben.«
»Was schreibst du denn, Mutti?«
»An die gute Großmama. Du kannst ihr nachher auch ein Küsschen schicken.«
»Au ja, Mutti!«
Fast in jeden Brief, der an die Großmutter abging, zeichnete die Kleine ein Küsschen ein. Es war eine sorgsam gezirkelte Null oder ein Osterei, wie Fräulein Caspari sagte. Auf den Kreis wurden dann die Lippen gedrückt. So konnte die Großmutter sich das Küsschen wieder aus dem Briefe herausholen.
»Mutti, kann ich gleich ein Küsschen schreiben?«
»Nein, erst wenn die Mutti fertig ist.«
Die beiden Kinder spielten miteinander, es dauerte jedoch nicht lange, da ging es wieder recht lebhaft zu. Waltraut stampfte mit den Füßen und Pucki schalt.
»Nein, das kriegst du nicht!«
Frau Sandler schaute vorwurfsvoll zu den Kindern hinüber.
»Streitet ihr euch schon wieder? Ihr braucht euch doch nicht immer zu zanken.«
»Wir zanken uns doch gar nicht!«
»Warum schiltst du denn?«
»Weil die Waldi meine Puppe haben will, und meine Puppe kriegt sie nicht.«
»Wenn ihr nicht artig seid, müsst ihr fortgehen. Mutti braucht Ruhe, denn sie hat noch einen Brief zu schreiben.«
Die strengen Worte nützten. Die beiden Kinder verhielten sich längere Zeit sehr ruhig, bis Pucki endlich wieder an den Tisch trat und fragte:
»Kann ich nun der Großmutter ein Küsschen schicken?«
»Ja, Pucki, der Brief ist fertig, nur noch einen Augenblick.«
Da klingelte im Zimmer das Telefon. Frau Sandler erhob sich, um an den Apparat zu gehen. Pucki stand noch immer am Tisch und betrachtete die darauf liegenden Briefe. Sie konnte Geschriebenes selbstverständlich noch nicht lesen, sie freute sich nur an den schönen vielen Krakeln, die die Mutti für die Großmama gemacht hatte.
»Jetzt schicke ich der Großmutti ein Küsschen!«
Den Federhalter nahm Pucki nicht, denn vor der Tinte hatte sie seit dem Unglück mit dem Lampenteller großen Respekt. Aber dort lag ein schöner, gelber Bleistift, und mit diesem zeichnete Pucki eine schöne Null mitten in die Krakeln der Mutti hinein. Die Großmutter würde schon wissen, dass das ein Kuss von Pucki war. Dann drückte die Kleine die Lippen in den Kreis und sagte herzlich:
»So, liebe Großmutter, hier hast du einen süßen Kuss von deiner Pucki.«
Nun war auch diese Arbeit erledigt, draußen schien die Sonne herrlicher denn je. Pucki fasste Waldi bei der Hand, und dann liefen die Kinder aus der Veranda. Frau Sandler, die zurückkehrte, setzte noch rasch ihre Unterschrift unter den eben vollendeten Brief. Die Zeit drängte, der Postbote musste jede Minute erscheinen, und der sollte die Briefe mitnehmen. Sie schob die Bogen in die fertigen Umschläge und warf sie in den im Hausflur befindlichen Briefkasten. Im Vorgarten liefen ihr die Kinder entgegen.
»Schickst du den Brief an die Großmutter?«
»Ja, Pucki. – Du sollst doch ein Küsschen mitsenden.«
»Das habe ich auch gemacht, Mutti.«
Frau Sandler ahnte nicht, was Pucki mit diesem Kuss für eine Verwirrung heraufbeschworen hatte. – –
Umgehend traf ein Brief des Wohlfahrtsamtes ein, das sich mit herzlichen Worten bedankte, dass Frau Förster Sandler Ferienkinder haben wollte. Man schrieb ihr, eine Aufseherin würde die Kinder begleiten und diese sogleich in das Forsthaus bringen, damit Frau Sandler von dort aus die Verteilung der Kinder vornehmen könnte. Sie würden am ersten Juli mit dem Mittagszuge in Rahnsburg eintreffen. Alles weitere überlasse man Frau Sandler.
Die Försterin benachrichtigte das Gutshaus, und Frau Niepel erklärte sich sogleich bereit, am ersten Juli zum Mittagszuge einen Wagen nach Rahnsburg zur Station zu schicken, um die Ferienkinder abzuholen.
»Ich setze bei Ihnen im Forsthaus eins der Mädchen ab; die Aufseherin wird gewiss sogleich wieder heimfahren. Auf diese Weise ist bereits am Nachmittag jedes Kind an Ort und Stelle.«
Pucki war voller Erwartung auf das Stadtkind. Vater und Mutter erzählten, dass das Mädchen wahrscheinlich noch niemals einen so schönen Wald gesehen hätte, wie der, in dem Pucki lebte.
»Unser Ferienkind kommt aus einer großen Stadt, ist zwischen hohen Häusern aufgewachsen und hat gewiss nur einen engen Hof zum Spielen. Du musst sehr nett zu ihm sein und darfst dich nicht mit ihm streiten.«
»Wir werden sehr nett sein, Mutti, wir werden in den Wald gehen und der alten Frau Holz sammeln helfen, damit sie nicht zu frieren braucht. – Weißt du, Mutti, ich habe jeden Tag im Walde kleine Häufchen zusammengetragen, und wenn dann die Leute mit den Wagen kommen, finden sie es gleich und nehmen es mit.«
Pucki unterbrach sich selbst in ihrer Erzählung, denn sie sah ihren neuen Freund, den großen Claus, daherkommen, der direkt auf das Forsthaus zugeschritten kam.
»Mutti, der große Claus kommt!«
Der älteste Sohn des Oberförsters war noch immer im Elternhause. Auf dem Gymnasium, das er besuchte, war kurz nach Pfingsten Scharlach ausgebrochen; verschiedene Klassen hatten geschlossen werden müssen. So gab es unfreiwillige Ferien, während derer die beiden Söhne des Oberförsters in der Oberförsterei weilten. Claus, der Älteste, schien eine große Vorliebe für Pucki Sandler zu haben. Er kehrte öfters im Forsthause ein und ließ sich von der Kleinen mancherlei erzählen. Das letzte Mal hatte sich das Försterkind sehr erregt über den Oberförster ausgesprochen, der einer alten Frau ein bißchen Holz habe fortnehmen wollen. Nun war Claus von seinem Vater abgesandt worden, um Pucki mitzuteilen, dass gestern an viele arme Leute klafterweise Holz abgegeben worden sei.
»Der Vater lässt dir sagen, Pucki, dass er allen armen Leuten Holz gibt.«
»Auch der Frau mit dem kranken Bein?«
»Ja, auch der.«
»Auch der Mutter von der Thusnelda?«
»Wahrscheinlich auch. Die armen Leute aus Rahnsburg sollten sich melden, und jeder, der sich gemeldet hat, bekommt eine Klafter.«
»Das ist schön! Aber die Frau mit dem kranken Bein wird die Klafter doch nicht fortziehen können. – Du, großer Claus, wir gehen dann zusammen in den Wald, dann fahren wir der Frau das Holz nach Hause.«
»Wir? –«
»Ja – du bist das Pferdchen, und ich schiebe hinten.«
Der Primaner machte ein betretenes Gesicht. »Das ist nicht nötig, Pucki, der alten Frau helfen andere Leute, und für dich ist das viel zu schwer.«
»Warum willst du denn nicht?«
»Jeder Mensch hat seine besondere Arbeit. Ich habe fleißig zu lernen, damit ich vorwärts komme. Mein Vater möchte doch, dass ich zu Ostern mein Abiturium mache.«
Verständnislos schaute Pucki den großen Claus an, dann sagte sie lebhaft: »Und meine Mutti will, dass ich ihr zu Weihnachten ein Nadelbuch mache. Das wird gestickt, da muss ich mit der Nadel immer in die Löcher stechen.«
»Ich will zu Ostern das Abiturium machen.«
»Ach so – –«
»Dazu muss ich viel lernen. Das ist ein Examen, damit ist dann die Schulzeit zu Ende.«
»Ach, dann wird der Paul auch lernen, um sein Habi–turum zu machen, der möchte auch