Magda Trott

Pucki


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doch ein schlimmes Bein.«

      »Kleine Pucki, das verstehst du nicht. Es ist eben verboten, am Montag oder Donnerstag im Walde Holz zu sammeln. An den anderen Tagen kann die Frau ruhig kommen.«

      »Weil sie doch gestern keine Zeit hatte und kein Holz holen konnte, ist sie heute in den Wald gegangen, weil sie friert und weil sie sich in der Küche kein Feuer anmachen kann. Wenn man friert, ist das sehr schlimm, das hat auch Thusnelda gesagt, und Fräulein Caspari sagt, man soll keine Leute hungern und frieren lassen.« Unwillkürlich schluckte Pucki an den aufsteigenden Tränen. »Du lässt die arme Frau kein Holz holen. Nun ist sie vor Angst mit dem schlimmen Bein ganz schnell weggelaufen, und das Bein wird noch schlimmer. Aber ich hab' ihr geholfen, und wenn sie wiederkommt – – helf' ich ihr wieder.«

      Oberförster Gregor betrachtete sprachlos die kleine Anklägerin. So etwas war ihm noch nicht vorgekommen. Hedi schien ernstlich entrüstet darüber zu sein, dass er an gewissen Tagen das Holzsammeln nicht erlaubte. Dieses kleine, aufgeweckte Mädchen machte ihm unendlichen Spaß. So legte er die Stirn in Falten und sagte:

      »Du hast mit Holz gesammelt? – Darfst du das? Am heutigen Tage ist es verboten. Du als Försterkind müsstest das wissen.«

      »Die alte Frau ist aber kein Försterkind, sie hat es nicht gewusst, und dann hat sie doch nur ein ganz klein wenig von der Erde aufgesammelt. Wenn die alte Frau zu mir gekommen wäre und zum Vati, der hätte ihr viel Holz gegeben.«

      »Morgen kann sie wiederkommen, nicht heute.«

      »Onkel Oberförster, in der großen Stadt mit den vielen Häusern sind so viele Kinder, die krank sind, weil sie keinen Wald haben und kein Holz holen können. Dann frieren sie. Und weil die alte Frau auch so gefroren hat, hat sie aucheinen kranken Fuß bekommen. Ich habe einem kleinen Mädchen, das keine Schuhe hatte, meine Schuhe geschenkt, und Mutti hat ihr noch ein Kleidchen gegeben.«

      Es war dem Oberförster kaum möglich, Pucki zu beruhigen. Pucki machte ein gar finsteres Gesicht und sprudelte die Worte nur so heraus.

      »Du meinst also, ich sollte allen Leuten, die frieren, Holz geben?«

      »Ja, Onkel Oberförster, das sollst du.«

      »Dann würde der Wald bald keine Bäume mehr haben.«

      »Doch, der liebe Gott lässt immer wieder Bäume wachsen. Und Bäume wollen die Leute auch nicht haben, nur was von dem Holz, das der Wind 'runtergeworfen hat oder was der Vati abhacken lässt.«

      »Kleine Pucki, das alles verstehst du nicht. Aber ich will nicht, dass du den Onkel Oberförster für einen geizigen Mann hältst. In den nächsten Tagen kann dir dein Vati erzählen, dass der Onkel Oberförster den armen Leuten, die frieren, eine ordentliche Portion Holz schenken wird.«

      Pucki sah den Oberförster ein wenig misstrauisch an, denn seine strengen Worte klangen ihr nach wie vor in den Ohren.

      »Gibst du auch der Frau mit dem kranken Bein was?«

      »Ja!«

      »Und der Mutter von der Thusnelda?«

      »Auch der. Ich will nicht, dass du mit mir böse bist. – Na, Pucki, wollen wir uns nun wieder vertragen?«

      »Wenn du der alten Frau und der Thusnelda Holz schenkst, hab' ich dich wieder sehr lieb. – Ach, bitte, Onkel Oberförster, sei nicht mehr böse auf die alte Frau, sie hat sich so erschreckt.«

      »Pucki, höre mal, wer schreit denn da so sehr?«

      »O je – das ist die Waldi, die habe ich vergessen!«

      Pucki machte kehrt, lief querfeldein durch den Wald der laut schreienden Kinderstimme nach und fand das Schwesterchen, das mehrfach über Wurzeln gefallen war und auch jetzt wieder am Boden lag.

      Pucki erschrak. Sie hatte der Mutti versprochen, recht gut auf Waldi zu achten. Mit zärtlichen Worten tröstete sie die Kleine.

      »Weine mal nicht, Waldi, der Onkel Oberförster schenkt der alten Frau viel Holz, dann freut sie sich. – Nu wollen wir uns beide auch freuen.«

      Waltraut verstand zwar nicht, warum sie sich freuen sollte, doch ihre Tränen versiegten gar schnell. Dann kehrten beide Kinder zum Vater und zu den Holzfällern zurück.

      »Vati«, sagte Pucki strahlend, »der Onkel Oberförster schenkt allen Leuten Holz. Ich war ganz böse mit ihm, weil er eine alte Frau ausgeschimpft hat.«

      Förster Sandler war nicht gerade freudig überrascht, als er diese Worte hörte. Wahrscheinlich hatte Pucki wieder etwas angerichtet. Seine Sorge schwand allerdings bald wieder, denn schon eine Stunde später sprach der Oberförster ihn an.

      »Aus Ihrer kleinen Tochter wird mal ein hilfreicher Mensch werden. Erst hilft sie einer alten Frau den Wagen mit Holz schieben, den sie mit voll gesammelt hat, dann zankt sie mich gründlich aus, weil ich ein Geizhals sei. Das habe ich mir hinter die Ohren geschrieben. Jetzt wollen wir mal eine größere Menge Armenholz verteilen lassen.«

      Förster Sandler wollte das Verhalten seiner kleinen Tochter ein wenig entschuldigen, doch der Oberförster wehrte ab.

      »Lassen Sie nur, lieber Sandler, Ihre Kleine hat das Herz auf dem rechten Fleck, von der wird noch mancher Erwachsene lernen können. Schelten Sie sie nicht, sie hat es gut gemeint.«

      5. Kapitel: Ein Kuss und seine Folgen

      Im Forsthausgarten saß Frau Niepel und unterhielt sich eifrig mit Frau Sandler.

      »Haben Sie schon an die Volkswohlfahrt geschrieben wegen der Ferienkinder, die wir aufnehmen wollen?«

      »Ich bin leider noch nicht dazu gekommen, Frau Niepel, will es aber heute noch tun. – Wollen Sie auch ein Mädchen während der großen Ferien aufnehmen?«

      »Für uns wäre es wohl besser, wenn ein Knabe käme, aber mein Mann möchte durchaus ein Ferienmädel.«

      »Ich nehme auch ein Mädchen.«

      »Hat sich sonst in der Umgegend oder in Rahnsburg noch jemand gemeldet, der ein Großstadtkind aufnehmen möchte?«

      Die Förstersfrau wurde ein wenig verlegen. »Ich hatte in letzter Zeit sehr viel zu tun und bin selten in die Stadt gekommen. Die Kollegenfrauen habe ich seit längerer Zeit nicht gesehen; vielleicht hätte man noch manches bedürftige Kind unterbringen können. Ich habe wohl etwas versäumt, doch heute will ich wegen der beiden Kinder schreiben, die wir aufnehmen wollen, denn der erste Juli steht vor der Tür, und die Volkswohlfahrt wird längst auf meine Antwort warten.«

      »Ich will mich auch noch erkundigen; es wäre doch nett, wenn wir mehreren Kindern die Wohltat des Landaufenthaltes angedeihen lassen könnten.«

      »Wie geht es Ihrem Walter?«

      »Es war eine tüchtige Erkältung. Nun ist er wieder aus dem Bett; es verlohnt sich kaum, ihn noch zur Schule zu schicken, denn in acht Tagen beginnen die Sommerferien.«

      »Ich hoffe, dass die Ferienkinder recht gekräftigt in die Großstadt zurückkehren werden. Die Kleine, die wir bekommen,wird hoffentlich kein allzu wildes und unartiges Kind sein. Unsere Pucki nimmt gar zu gern Unarten an.«

      Die beiden Frauen trennten sich. Frau Sandler, die den Brief an die Volkswohlfahrt nicht länger aufschieben wollte, ging sogleich in ihr Zimmer, um zu schreiben. Gar mancher andere Brief wartete auch noch auf Beantwortung; vor allen Dingen hatte die Großmutter schon zweimal angefragt, wie es im Forsthause stände. Heute musste sie unbedingt auch an Frau Blake schreiben, damit sie sich nicht ängstigte.

      Aber auch jetzt kam wieder etwas dazwischen, und erst am Nachmittag saß die Förstersfrau in der weinumrankten Veranda ihres Hauses und füllte Seite um Seite. Erst kam der Brief an die Mutter, dann folgte eine Bestellung nach der Stadt, und schließlich die Mitteilung an die Volkswohlfahrt, dass sie zwei Mädchen schicken möge, Mädchen im Alter von sechs bis acht Jahren, die die Sommerferien auf dem Lande oder in einer Försterei verbringen sollten.