du nicht artig bist, werfe ich dich auf die Wiese. Doch nun komm, Rose, jetzt gehen wir.«
Zögernd betrat Rose den Kuhstall. Als aber die Kuh ein freudiges Brüllen hören ließ, lief Rose rasch wieder aus dem Stall hinaus. Sie fürchtete sich vor dem großen Tier mit den Hörnern.
»Hahaha«, lachte Pucki. »Da musst du erst mal zu Onkel Niepel kommen, der hat einen großen Stall mit vielen Kühen und mit Pferdchen. Aber ich habe auch vor den Pferdchen keine Angst.«
Dann liefen die beiden Kinder zurück in den Garten und hinaus in den Wald.
»Sieh mal«, sagte Pucki und wies auf die vielen Blaubeersträucher, die umherstanden, »das sind Blaubeeren, die dürfen wir später pflücken und essen.«
»Blaubeeren kenne ich«, sagte Rosel mit leuchtenden Augen, »die esse ich gern. Kann ich welche haben?«
»Nein. Grünes Obst dürfen wir nicht essen, sonst werden wir krank. Wenn die Blaubeeren grün sind, müssen wir noch warten.«
»Die sind aber rot.«
»Ja«, meinte Pucki, »wenn sie rot sind, dann sind sie eben noch grün. Erst wenn sie blau sind, sind sie nicht mehr grün.«
Rosel schien diese Weisheit nicht recht zu begreifen. Sie pflückte einige der unreifen Beeren ab und erhielt dafür von Pucki einen Klaps auf die Hand.
»Das darfst du nicht, der Wald gehört dem Onkel Oberförster, na, der kann böse werden, wenn man ihm was wegnimmt. Aber wenn die Beeren reif sind, dürfen wir nehmen, so viele wir wollen, dann sagt er nichts. Du musst eben noch warten.«
Als Rose vor einem großen schwarzen Käfer laut aufschrie, begann Pucki herzlich zu lachen.
»Ach, solch niedliches Tierchen!«
Wie staunte Rose darüber, dass Pucki alle Bäume kannte, wenn sie ihr erklärte, das sei eine Eiche, das eine Fichte, eine Esche oder eine Lärche. Und zudem wusste sie alle Blumen zu benennen: Männertreu, Salomonsiegel, Waldanemone und so weiter.
»Darf man die pflücken, oder ist der Oberförster dann auch böse?«
»Man darf sie pflücken, aber nicht die Beinchen mit ausreißen. Sich mal, so macht man es.«
Sehr vorsichtig pflückte Pucki einige Blüten ab. »Daheim müssen wir sie in Wasser stellen, weil sie Durst haben. Und wenn sie jeden Tag frisches Wasser bekommen, lachen sie uns mit ihren Blumenaugen noch lange an und sagen: Dankeschön, dass ich zu dir in die Stube kommen durfte, denn hier ist es sehr hübsch.«
Alles das, was das kleine Försterkind sagte, war für Rose etwas vollkommen neues. Dass Blumen lachen und danken konnten, dass die Vögel durch ihr Gezwitscher den Menschen Botschaft zukommen ließen, hatte Rose noch niemals vernommen.
»Pass nur auf, was sie sagen. Wenn wir jetzt wieder nach Hause, kommen, werfe ich ihnen Krümchen hin, und gleich kommt ein großer Haufen an. Dann sagen die anderen: Piep, piep, gib mehr! Dann muss ich rasch gehen und noch viel mehr Krümchen holen, sonst sind sie mir böse.«
Das Füttern der Vögel bereitete Rose großes Vergnügen. Manches Tierchen hatte sie noch niemals gesehen, und aufgeregt fragte sie stets die Förstersfrau, was das für ein Vogel wäre, der einen leuchtend gelben Schnabel hätte und so komisch umherhüpfte.
»Eine Amsel, mein Kind.«
»Und der, vorne mit dem roten Latz?«
»Das ist ein Rotkehlchen. Du kannst es leicht an seinen zierlichen Bewegungen und an dem wippenden Schwanze erkennen. Wenn du abends einen gar süßen Gesang hörst, so weißt du, dass es fast immer das Rotkehlchen ist, denn es lässt seine Lieder bis zum späten Abend hören.«
So öffnete sich vor Roses Augen eine ganz neue Welt. Das Stadtkind aus dem Arbeiterviertel, das nichts vom Waldvogelgezwitscher wusste, konnte nicht genug staunen. Es war glücklich, wenn es im Garten sitzen, dem Gesang der Vögel lauschen oder ihnen Futter streuen konnte. Ach, wie herrlich alles hier war! Nur der eine Gedanke schmerzte, dass es mit allem, was sie hier sah, erlebte und genoss, bald wieder zu Ende sein würde.
»Mutti, sie ist gar zu ulkig, sie kann immerzu sitzen und gucken.«
»Lass sie ruhig sitzen, Pucki, Rose freut sich an der herrlichen Gotteswelt, die sie in ihrer ganzen Schönheit bisher nicht erblickt hat. Sei glücklich, dass du in einer so gesunden und schönen Gegend aufwachsen darfst.«
»Darum kriege ich auch kein Scharlach, wie die Freunde vom großen Claus.«
»Kleines Dummerchen! – Du wirst langsam erkennen, dass du es viel besser hast als alle die Kinder, die vor wenigen Tagen hierherkamen. Du hast immer dein gutes Essen, dein schönes Bettchen, den grünen Wald; das haben die anderen Kinder nicht. Jeden Tag siehst du, wie es Rose schmeckt, wie sie sich erfreut an den Tisch setzt.«
»Ja, Mutti, und wenn du ihr früh noch ein Butterbrot gibst, dann isst sie es nicht auf.«
»So, – was macht sie damit?«
»Das verwahrt sie.«
»Wo verwahrt sie es denn?«
»Im Schrank, Mutti. Da hat sie schon eine ganze Menge.«
Mach dieser Mitteilung hielt Frau Sandler es für angezeigt, einen Blick in den Schrank des kleinen Mädchens zu werfen. – Tatsächlich fand sie darin eine Anzahl belegter Brote, sorgsam übereinandergelegt. Um alle war ein Stück Papier geschlagen.
Die Förstersfrau ging in den Garten hinaus, wo Rose spielte.
»Sage mal, mein liebes Kind, wozu legst du die Butterbrote, die ich dir gebe, in den Schrank? Wenn du satt bist und die Brote nicht essen kannst, brauchst du es nur zu sagen.«
Rose senkte errötend den Kopf.
»Es ist doch schade, wenn das Brot dort verdirbt«, meinte die Förstersfrau, »ich habe alles herausgenommen. In Zukunft darfst du keine Brote mehr in dem Schrank verwahren.«
Die Kinderaugen füllten sich mit Tränen. »Ich habe mich so gefreut.«
»Worüber, mein Kind?«
»Ich war doch schon satt, da wollte ich die Brote mit nach Hause nehmen. So schöne Brote haben sie dort nicht.«
»Aber Rose, du kannst doch die Brote nicht wochenlang verwahren, sie werden steinhart, und niemand kann sie mehr essen.«
»Wir essen immer hartes Brot.«
»Nein, Rose, die einzelnen Brotscheiben kann man nicht so lange aufbewahren. Und im Kleiderschrank darf man Esswaren auch nicht aufheben. Ich gebe dir Wurst und Butter mit, wenn du heimfährst. Nun weine nicht, du hast es gewiss sehr gut gemeint, aber es wäre zwecklos, das Brot so lange Zeit zu verwahren.«
Wieder gab es für Pucki etwas zu staunen. Dass Rose Brot verwahrte, um es den Geschwistern mitzubringen, weil sie daheim nicht genügend zu essen hatten – das wollte nicht in ihr kleines Köpfchen hineingehen. Die Mutti hatte immer viel Brot, und auch bei Tante Niepel lagen stets große Brote in der Küche. Sie atmete schwer, als die Mutter ihr erzählte, dass es gar viele Menschen gäbe, denen das Brot fehle.
»Mutti, wollen wir dann nicht immer ein bisschen mehr kaufen und es den Leuten geben, die nichts haben?«
»Das überlasse den Erwachsenen, mein Kind. Jedenfalls wollte ich dir sagen, dass man mit dem Brot achtsam und sparsam umgehen muss, weil – –«
»Ich weiß schon, Mutti, weil es eine liebe Gottesgabe ist.« –
* * *
Der Schmanzbauer Gottlieb Teck besaß eine bescheidene Landwirtschaft, mitten im Walde. Die »Schmanz« war etwa eine halbe Stunde vom Forsthause Birkenhain entfernt. Ganz einsam lag das kleine Haus mit dem schmucken roten Ziegeldach. Schon der Großvater des Gottlieb Teck war in diesem Hause geboren, der Besitz erbte sich vom Vater auf den Sohn fort.
Der Schmanzbauer galt als ein seltsamer Mann, der keinen Umgang suchte und ganz