keines ins Wasser geht«, sagte Frau Niepel.
»Mutter«, ertönte es von jenseits, »ich rutsche mit dem nassen Hosenboden hin und her, er ist beinahe trocken.«
Fräulein Irma sah den Knaben, der auf dem Waldboden vergnügt umherrutschte. Die Nadeln klebten an den Höschen. Gott sei Dank, man hatte den Kindern keine guten Sachen angezogen.
»Er hat mich ins Wasser gestoßen«, heulte es von drüben. Und wieder mussten einem Mädchen Schuhe und Strümpfe ausgezogen werden, die zum Trocknen in die Sonne gelegt wurden.
»Wie das Wasser schön schmeckt«, meinte eine andere.
»Warte mal ein bisschen«, flüsterte Pucki, »ich habe was Feines!«
In größter Heimlichkeit holte sie die Flasche mit Himbeersaft aus dem Schulranzen, zerrte Paul am Anzuge und sagte leise zu ihm:
»Kannst du sie nicht aufmachen?«
»Kleinigkeit, ich habe ein Messer mit einem Korkenzieher.«
»Komm hinter den Baum, damit es keiner steht. – Au, wie werden sie sich freuen, wenn wir ihnen gutes Himbeerwasser bringen.«
Mit dem Korkenzieher ging es nicht so glatt, wie man es sich gedacht hatte. Stückchenweise wurde der Pfropfen herausgeholt, der Rest in die Flasche gestoßen. Dann kamen die Kinder strahlend wieder an den Bach.
»Hört mal alle«, rief Pucki, »ich habe feinen Himbeersaft ... Nu gibt es was zu trinken!«
Einen Becher hatten die Kinder nicht. Aber es ging auch so. Sie formten die Hände zu einer Schale, dann goss Pucki einige Tropfen Saft hinein, und damit liefen sie zur Quelle, um Wasser darüber laufen zu lassen.
»Es geht nicht«, zürnte eines der Mädchen.
»Dann hole ich 'ne Tasse.«
Pucki stellte die Flasche mit dem Saft auf den Waldboden und sprang davon. Immer mehr Kinder kamen zur Quelle.
»Ich bin der Wirt«, rief Paul, »wer kauft Himbeerwasser? Passt mal auf, ich gieße ein bisschen ins Wasser, und ihr trinkt da unten die Limonade aus. Das wird schon gehen.«
Einige Kinder legten sich lang ausgestreckt an den Bach und versuchten, mit den Lippen das Wasser zu erreichen. Paul goss am Ausfluss der Quelle langsam den Saft ins Wasser, das sich rötlich färbte. Zehn Kinder versuchten die süße Flüssigkeit zu trinken. – Da, ein Klirren! Paul, der auf einen vom Wasser überspülten Stein getreten war, glitt aus und suchte nach einem Halt, dabei glitt ihm die Flasche mit dem Saft aus der Hand und fiel auf einen Stein.
Mit einem Satz eilte er fort, denn er sah Pucki kommen, die achtsam einen Becher trug.
»Alles ist kaputt«, rief man ihr entgegen, »der Paul hat die Flasche zerschlagen!«
»Meine schöne Flasche! – Der dumme Junge!«
Sie entdeckte den Freund, der hinter dem Stamme eines Baumes hervorschaute. Schon stürmte Pucki herbei, um ihm eine Tracht Prügel zukommen zu lassen. Wildes Jagen setzte ein. Schließlich stolperte Paul, lag auf der Erde, Pucki stolperte über ihn, und beide Kinder wälzten sich in wildem Ringen auf dem Boden. Es setzte gegenseitig Püffe und Stöße, bis Pucki atemlos sagte:
»So, nu haste genug. – Warte, dafür esse ich die Schlagsahne. Unten steht eine große Schüssel voll. – Ich geh' jetzt hin. Wenn ich zuerst da bin, bekomme ich am meisten.«
In diesem Augenblick wurde zum Kaffeetrinken gerufen. Man hatte den Platz sehr nett hergerichtet. Mehrere Tischtücher waren auf dem Waldboden ausgebreitet. Darauf standen die Becher, die mit dampfendem Kaffee gefüllt waren. Neben jedem Becher lagen einige Stücke Kuchen. Frau Niepel hatte eine Schüssel Schlagsahne in der Hand und war dabei, jedem Kinde einen tüchtigen Löffel voll in den Becher zu geben.
Es mundete allen vortrefflich. Zwar wurde bald hier, bald da ein Becher vergossen, doch damit hatten die drei Erwachsenen gerechnet. Wider Erwarten ging das Kaffeetrinken gut ab. Die Kinder kauten mit vollen Backen, und die lebhafte Unterhaltung geriet ins Stocken.
Man war noch beim Essen, als das Auto des Oberförsters angefahren kam, das ihn und seine beiden Söhne, Claus und Eberhard, zu der Ruine brachte.
»Da komme ich ja gerade zurecht«, lachte der kinderliebe alte Herr. »Hat es geschmeckt?«
Pucki sprang sogleich dem großen Claus entgegen und erzählte ihm, dass er auch Himbeersaft hätte bekommen sollen, doch nun sei die Flasche kaputt.
»Wenn ihr mit Essen fertig seid«, rief der Oberförster mit weithin schallender Stimme, »gehen wir hinauf zur Waggerburg, zu der alten Ruine aus dem sechzehnten Jahrhundert. – Soll ich euch einmal die Geschichte von der Burg erzählen?«
»Ach ja – ach ja!« ertönte es vielstimmig.
»Wenn ihr schon einmal solch eine Ruine seht, müsst ihr auch deren Geschichte kennen, denn jede Burg hat ihre Geschichte. Das werdet ihr später in der Schule lernen. – Nun passt mal gut auf. In der Waggerburg wohnte vor fünfhundert Jahren ein schlimmer Ritter mit seiner Schwester. Sie ließen keinen Wanderer in Ruhe. Wenn Leute auf der Straße vorüberzogen, kam der Ritter Kunibert herbei mit seinem Tross und den Landsknechten. Die nahmen die Leute gefangen und sperrten sie in die Waggerburg.«
»Sind die Leute nicht fortgelaufen?« fragte Pucki.
»Das konnten sie nicht, denn der Ritter und seine Schwester bewachten die Gefangenen.«
»War die Schwester auch so garstig wie der Ritter?«
»Ja, es war eine gar böse Frau. Sie half dem Ritter Kunibert, die Leute auszuplündern. Sie näherte sich ihnen mit freundlichen Worten, und da sie sehr schön war, misstraute ihr niemand. Sie trug stets ein weißes Kleid mit langer Schleppe. Manchmal verschleierte sie sogar ihr Gesicht und sagte den Gefangenen, sie wolle ihnen zur Flucht verhelfen, wenn man sie wissen ließe, wo deren Angehörige wohnten. Zu denen wolle sie Boten senden, damit man ihnen zu Hilfe käme. Doch alles das war Lüge. Die böse Schwester wollte nur wissen, wo die Leute lebten. Dann schickte der Bruder Boten hin, um ein Lösegeld zu erlangen. Kamen die Verwandten der Gefangenen, wurden auch sie in den Turm gesperrt.«
»Pfui, ist das eine hässliche Gesellschaft.«
»Wenn ich gekommen wäre«, rief Paul, »ich hätte ein Messer genommen und die Frau mit dem weißen Kleide erstochen.«
»Hättest du dich nicht gefürchtet? Wenn der Ritter am Abend durch den Wald ging, liefen alle, die in der Umgegend wohnten, schnell fort, denn er war ein gar gefährlicher Mann.«
»Ha, ich wäre nicht weggelaufen, und seine Schwester hätte ich mächtig verkeilt. – Ich fürchte mich vor keinem, der durch den Wald geht.«
»Schließlich ist dem lieben Gott das schlimme Treiben des Ritters Kunibert zu arg geworden. Er ließ ein schweres Gewitter kommen, und der Blitz zerstörte die Waggerburg. Den Ritter Kunibert hat man tot unter den Trümmern hervorgezogen.«
»Die Schwester auch?« riefen viele Stimmen.
»Die Schwester war verschwunden. Es heißt, man habe sie später manchmal in der Ruine gesehen, in einem weißen Kleide und jammernd und wehklagend, weil es ihr sehr leid getan hätte, dass sie so schlimm gewesen war.«
Die Augen fast aller Kinder richteten sich ängstlich aus das alte Gemäuer.
»Ist sie jetzt auch wieder da?« fragte Pucki.
»Quatsch«, rief Paul. »Onkel Oberförster, ich weiß, dass du flunkerst, das ist ja Unsinn.«
»Na na, mein Junge, du würdest schon laufen, wenn die Weiße Frau käme.«
»Ich wollte, sie käme heute! – Passt mal auf, wie ich mit der reden würde. – Die liefe im Galopp davon!«
»Ich kenne ein schönes Sprichwort«, sagte Claus,