das Schönste gewesen, was es bisher erlebt hatte.
8. Kapitel: Ach, Scheiden ist ein Wort so schwer
Nur zu schnell vergingen die schönen Ferientage. Der Schulanfang kam in immer bedrohlichere Nähe, und oft konnte Pucki ihre neue Freundin Rose beobachten, wie sie im Garten stand und mit schwermütigen und sehnsüchtigen Blicken Wald und Flur betrachtete. Alles das würde wie ein schöner Traum verschwinden. Jetzt ging es wieder zurück in den engen Hof, in die kleinen Stuben, in denen Mutter und Geschwister lebten. Sie würde bald nicht mehr das Rauschen der hohen Tannen, nicht mehr das Zwitschern der Vögel hören.
Rose öffnete den Mund weit, sie sog mit Behagen die würzige Waldluft ein. Das tat wohl! Ihr war es, als bekäme sie dadurch Stärke und Kraft, sie wurde ordentlich ein anderer Mensch. Rose beneidete Pucki, beneidete alle Kinder, die den Wald so nahe hatten. Was wussten die von den engen Höfen der Großstadt, in die kaum ein Sonnenstrahl fiel. Hier draußen war überall Sonne. Man brauchte nur vor die Haustür zu gehen, ach nein, man brauchte nur das Fenster zu öffnen – es war wundervoll! Wie gut hatte sie es gehabt, was konnte sie alles den Geschwistern daheim erzählen. Wie ein Märchen würde es ihnen erscheinen, und sie, Rose, war die verwunschene Prinzessin, die all das Schöne hatte genießen dürfen.
Frau Sandler strich dem kleinen Stadtkinde liebevoll über das Haar. Sie ahnte, was in dem Herzen des kleinen Mädchens vorging.
»Wenn es uns allen gut geht, wenn wir gesund bleiben, kommst du im nächsten Jahr wieder zu uns in den Wald.«
»Liebe Tante Sandler, du liebe, gute Tante, ich, ich –«. Rose begann zu weinen. Das Herz wollte ihr schier zerspringen. Sie dachte an die bevorstehende Trennung, an den Abschied von diesen guten Menschen, von Wald und Vögeln.
»Ein Jahr vergeht schnell, meine liebe Rose, wir haben dich alle herzlich lieb gewonnen und werden dir öfters Briefe senden, damit du weißt, wie es hier aussieht. Pucki kann dir freilich noch nicht schreiben, aber ich will dir über deine kleine Freundin berichten.«
»Ich möchte gern noch einmal zur Schmanzbäuerin gehen.«
»Gewiß, Rose, das wollen wir tun. Dort hat man dich auch lieb gewonnen, dort sollst du Lebewohl sagen.«
»Tante, wie froh bin ich, dass ich der alten Schmanzbäuerin ein bisschen Freude bringen konnte. Ich habe es hier so gut gehabt, ich konnte dir gar nichts schenken, und wollte dir doch auch etwas Liebes antun.«
»Du hast mir oftmals Blümchen aus dem Walde gebracht, mein gutes Kind, warst immer artig und brav, gar oft habe ich mich über dich gefreut.«
»Das ist alles nicht genug, Tante, das ist nicht genug«, schluchzte Rose, »ich möchte dir zeigen, wie gut ich dir bin.«
»Du hast dich recht nützlich gemacht, mein liebes Mädchen, hast unsere kleine Waldi liebevoll betreut und geduldig mit ihr gespielt. Waltraut wird dich sehr vermissen. Doch nun trockne deine Tränen, wir alle müssen uns sagen, dass es im Leben nicht nur schöne Tage geben kann. Nach der Freude kommt wieder die Pflicht.«
Rose trocknete sich die Augen; sie wollte tapfer sein, wollte ihr großes Trennungsweh verbergen, aber jedes Mal überkam sie aufs neue der Schmerz, wenn sie an das Scheiden dachte. Pucki tröstete sie, so gut es ging, und wiederholte unzählige Male:
»Rose, du kommst doch bald wieder. Wenn der Wald wieder grün ist, bist du wieder da.«
Zu der Schmanzbäuerin war Rose in der Ferienzeit öfters hingegangen. Die alte Frau hatte inständig darum gebeten, ihr kleiner, guter Engel möge sich recht oft bei ihr sehen lassen; jedes Mal las Rose der alten Frau etwas vor; jedesmal bemerkte Rose, dass sie der fast Blinden dadurch eine große Freude bereitete.
Am heutigen Nachmittage sollte Rose sich von der Schmanzbäuerin verabschieden. Die Försterin gab den Kindern das Geleit.
Zum letzten Male sollte Rose den Wald in seiner ganzen Schönheit sehen, denn gerade um die Schmanz herum standen so herrliche Buchen und Birken wie nirgends sonst.
Und wieder hockte Rose neben der alten Frau. Zum letzten Male für lange Zeit las sie ihr die Geschichte von der Himmelfahrt Christi vor.
»Ich glaube«, murmelte die alte Frau, »dass auch ich nicht mehr lange auf der Erde bin.«
»Großmutter, ich darf im nächsten Jahr wiederkommen, dann lese ich dir noch viel mehr vor. In drei Tagen fahre ich ab.«
»Und kommst nicht mehr zu mir?«
»Ich muss heim, muss wieder in die Schule.«
»Dann wird es wieder dunkel um die alte Großmutter werden, denn dann ist niemand mehr da, der ihr ein wenig Licht in das Herz scheinen lässt.«
»Großmutter«, fragte Pucki, »hat die Rose das getan?«
»Ja, mein Kind, es ist die einzige Freude für mich alte Frau. Die anderen haben keine Zeit, sie müssen um das tägliche Brot arbeiten. Aber die liebe Kleine hier, die hat die alte Großmutter reich und glücklich gemacht.«
»Großmutter, ich kann noch nicht lesen, aber bald kann ich es auch. – Mach' ich dich dann auch reich und glücklich, wenn ich zu dir komme und dir was aus dem dicken Buch vorlese?«
»Das wäre sehr schön, Pucki. Die alte Großmutter hat nichts weiter als das liebe, heilige Buch.«
»Dann lerne ich ganz gewiss sehr schnell lesen, ich möchte dich auch reich und glücklich machen. – Hast du keinen, der dir sonst was vorliest?«
»Nein, mein Kind.«
»Sei mal nicht traurig«, sagte Pucki und strich zärtlich über die welken Hände der Alten, »dann will ich fleißig lernen. Dann komme ich her und lese dir immerfort was vor. – Freust du dich dann auch?«
»Du gutes, gutes Kind! Ja, darauf freut sich die alte Großmutter von ganzem Herzen.«
Wohl eine Stunde lang las Rose vor, dann mahnte Frau Sandler zum Heimgehen.
»Leb wohl, Großmutter«, sagte Rose bewegt, »bleibe gesund und – und Pucki wird kommen und dir vorlesen. Wenn ich im nächsten Jahr wieder hier bin, komme ich auch, dann kann ich viel besser lesen.«
»Gott segne dich, mein Kind! Sollte die alte Großmutter, wenn du im nächsten Jahre wiederkommst, nicht mehr am Leben sein, darfst du dir immer sagen, dass du sie an ihrem Lebensabend sehr glücklich gemacht hast. Das wird dir der liebe Gott in deinem künftigen Dasein reich vergelten.«
Dann kam der Abschied vom Schmanzbauer und dessen Frau. Der sonst mürrische Mann hatte das zarte Stadtkind, das seiner Mutter so viele schöne Stunden bereitete, langsam lieb gewonnen. Er klopfte der Kleinen derb auf die Schulter und sagte:
»Bist uns immer willkommen, Mädel, kehre gesund im nächsten Jahre zurück und vergiss uns nicht.«
»Niemals!«
»Das nimmst du mit, und nun leb wohl.«
Der Schmanzbauer ging davon, nachdem er Rose ein großes Paket in den Arm gelegt hatte. Es waren zwei mächtige Dauerwürste, Würste von der besten Sorte, die im Schornstein hingen. Wenn der Schmanzbauer von diesen etwas hergab, stand es fest, dass er den Beschenkten gar gern hatte, sonst opferte er nichts von seiner Lieblingswurst.
Frau Sandler sorgte dafür, dass der Abschied von der alten Bäuerin nicht zu lange und zu schmerzlich wurde. Sie stimmte ein Wanderlied an, und im Marschschritt gingen die drei dem Forsthause wieder zu.
Dort wartete bereits Besuch.
»Ach, großer Claus!«
Mit ausgebreiteten Armen flog Pucki dem Primaner entgegen.
»Ich komme, um mich zu verabschieden. Die Ferien gehen zu Ende, die Schule beginnt.«
»Du willst fort?« Es war Pucki auf einmal, als stecke ihr ein Kloß im Halse.
»Ja, Pucki, wir alle müssen wieder an die Arbeit, wir alle. Bedenke doch, dass