Magda Trott

Pucki


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kleinen Trillerpfeife wieder. »Hier hast du sie, das ist genau so, als wenn ein Vogel singt. Der Vati wird sie mir schon geben. Damit ruft er nämlich den Harras. Aber ich schenke sie dir. Wenn du im finstern Hof darauf bläst, denken alle, die Vöglein singen. – So, die nimmst du mit.«

      Förster Sandler tauschte die Trillerpfeife tags darauf gegen eine kleine Vogelpfeife um, die er aus der Stadt mit heimbrachte. Das klang freilich, als zwitschere ein Vöglein sein lustiges Lied. Beglückt nahm Rose das Geschenk entgegen.

      »Ich werde immer an die lieben Vöglein hier im Walde denken.«

.

      An einem Sonnabend schlug die Trennungsstunde. An Sandlers, Niepels und überall, wo Ferienkinder untergebracht waren, war ein Schreiben gekommen, dass die Kinder am Sonnabend, vormittags elf Uhr, auf dem Bahnhofe zu Rahnsburg sein sollten, wo sie von der Transportleiterin in Empfang genommen werden würden. Niepels wollten mit dem Wagen beim Forsthause vorfahren, um Rose abzuholen und zur Stadt zu bringen. Frau Sandler und Pucki begleiteten selbstverständlich die kleine Freundin. In Roses kleinem Koffer steckten allerlei Geschenke und verschiedene Lebensmittel, denn man hatte erfahren, dass bei der Scheeleschen Familie große Not herrschte. Rose hatte sich über die Gaben nicht recht freuen können, denn zu groß war der Abschiedsschmerz. Und als nun der Wagen mit den Knaben und den vier Ferienkindern vorgefahren kam, als es hieß: einsteigen, waren Roses Augen so voller Tränen, dass sie nichts mehr erkennen konnte. Sie schluchzte am Halse des guten Onkels, sie umarmte Minna, ja sogar den treuen Harras, der zu wissen schien, dass die kleine Freundin nicht so bald wiederkäme. Traurig sah er sie an und bellte leise.

      Nun saß sie im Wagen. Roses Tränen tropften auf den großen Strauß Blumen, den sie in den Händen hielt. Am liebsten wäre sie wieder vom Wagen gesprungen.

      Von allen Seiten kamen die Ferienkinder herbei. Wer hätte in diesen rotwangigen Mädchen die blassen Kinder wiedererkannt, die vor fünf Wochen auf demselben Bahnsteige gestanden hatten und bangen Herzens in ihre Quartiere gegangen waren. Diese Ferienzeit war allen zu einem herrlichen Erlebnis geworden, war eine schöne Erinnerung, die sich nicht mehr auslöschen ließ.

      Das junge Mädchen, das die Kinder in Empfang nahm, staunte über deren gesundes Aussehen. Herzliche Dankesworte wurden gewechselt. Alle Pflegemütter hatten sich auf dem Bahnhofe eingestellt, noch einmal wurden Umarmungen und Abschiedsküsse getauscht, dann stiegen die Kinder in den Zug und drängten sich an die Fenster.

      Rose lag noch in den Armen Frau Sandlers; sie war vielleicht die einzige, die in den letzten Minuten nichts sagen konnte. Pucki plauderte munter daraus los, sprach vom Wiederkommen, vom Schneemann, den man gemeinsam bauen wollte, und vielleicht käme auch sie mal und besuchte Rose. Aber das Stadtkind hörte kaum, was die kleine Freundin sagte.

      »Du musst nun einsteigen, mein Kind.«

      Frau Sandler brachte Rose selbst in den Wagen. Es schien, als wollte sich das Kind an ihr festklammern. Dann saß es auf der Bank, ganz still für sich.

      Mit schwerem Herzen stieg die Försterin aus dem Zuge. Am Fenster sah sie Rose nicht mehr. Aus dem fahrenden Zuge aber winkten gar viele Kinderhände ein letztes Lebewohl, und auch Pucki schwenkte ihr Taschentuch aus Leibeskräften.

      »Mutti, kommt die bald wieder?«

      »Hoffentlich im nächsten Jahre.«

      »So, Mutti, nu müssen wir heim, jetzt muss ich lesen lernen, damit die alte Schmanzgroßmutter reich und glücklich wird.«

      Obwohl Rose im Forsthause niemals Lärm gemacht hatte, erschien es allen darin in den nächsten Tagen still und einsam. Auch Pucki vermisste die Freundin überall, aber sie tröstete sich mit dem Schwesterchen, dem sie sich von nun an mehr widmete als bisher.

      »Und jetzt, Mutti, muss ich in der Schule ganz genau aufpassen. Weißt du, die Schmanzgroßmutter will nur, dass ich lesen lerne, da werde ich in Zukunft nicht mehr so viel schreiben. Das brauche ich nicht, das kann die Schmanzgroßmutter doch nicht sehen.«

      »Aber Rose wartet doch auf einen Brief von dir. Rose wird uns bald Nachricht von sich geben. Ich dachte, es würde dich freuen, wenn du deiner kleinen Freundin antworten könntest.«

      Einige Augenblicke überlegte Pucki, dann nickte sie ernsthaft mit dem Köpfchen.

      »Ja, dann wird wohl nichts anderes übrig bleiben, dann muss ich auch schreiben lernen.«

      9. Kapitel: Ein schöner Spruch

      Mit Pucki war seit den großen Ferien in der Schule eine staunenswerte Veränderung vor sich gegangen. Die Lehrerin, Fräulein Caspari, konnte sich nicht genug über den Eifer des Mädchens wundern, das, besonders im Lesen, überraschend schnell alle Mitschüler und Schülerinnen überflügelte. Wenn sie Pucki fragte, weshalb sie diesen Eifer zeige, so sagte sie stolz:

      »Die Schmanzgroßmutter möchte gern reich und glücklich sein. Sie wartet auf mich.«

      Der Leseeifer der kleinen Försterstochter trug ihr mitunter allerlei kleine Verletzungen ein. Auf dem Schulwege hatte Pucki stets das Buch vor der Nase, und nicht selten geschah es, dass sie plötzlich gegen einen Baum lief oder über eine Wurzel stolperte und hinfiel. Auch daheim griff sie nach allem Gedruckten, einerlei, ob es die Zeitung, der Mutter Kochbuch oder sonst ein Buch war, das irgendwo herumlag.

      Bei diesem Eifer verging die Zeit recht schnell. Sie staunte, als die Herbstferien herankamen, freute sich, als der große Claus ihre Lesekünste bewunderte, und lief zur Schmanzgroßmutter, der sie allerdings mit ihren geringen Lesekünsten noch nicht viel bieten konnte.

      »Warte noch, Schmanzgroßmutter, bis zu Weihnachten, dann kann ich noch besser lesen.«

      Der Herbst verging, der erste Schnee lag auf den Zweigen der Tannen.

      »Mutti, kann die Rose nicht zu Weihnachten herkommen?«

      »Nein, Pucki, das geht nicht, doch im Sommer kommt sie wieder.«

      Rose Scheele schrieb regelmäßig alle vierzehn Tage einen ausführlichen Brief. Aus jeder Zeile sprach die Sehnsucht nach dem Walde, nach den guten Förstersleuten, nach Pucki und Waltraut. Staunend lauschte die kleine Försterstochter den Berichten, die Rose gab. Alle die Pflichten, die Rose an ihren kleineren Geschwistern erfüllte, waren für Pucki neu und ungewohnt. Rose konnte schon eine Stube auskehren, sogar aufwischen, sie pflegte die Mutter, als sie krank war, hatte nebenbei Schule, machte ihre Schularbeiten und versuchte, kleine Näharbeiten zu machen.

      »Mutti, was sie alles kann, das kann ich nicht.«

      »Du bist auch zwei Jahre jünger, mein Kind, außerdem hast du es auch leichter im Leben als Rose, die keinen Vater hat, der für sie sorgt.«

      »Ach, wie traurig!«

      »Zu Weihnachten wollen wir Rose und ihre Geschwister beschenken, damit auch im Scheeleschen Hause eine richtige Weihnachtsstimmung herrscht.«

      Weihnachten! Das war ein Wort, das Pucki in Begeisterung versetzte. Das Weihnachtsfest blieb doch das schönste aller Feste, und ungeduldig zählte sie nun die Tage bis zum vierundzwanzigsten Dezember. Aber vorher gab es viel zu bedenken. Vater und Mutter sollten ein Weihnachtsgeschenk bekommen. Die Kinderhände strickten unter schweren Seufzern der Mutter einen Topflappen für die Küche. Minna musste oft helfen, wenn eine Masche von der Nadel fiel oder wenn in der Baumwolle ein Knoten war. Pucki stöhnte oft laut bei ihrer Arbeit, doch der Gedanke, dass sich die Mutti über ihr Geschenk freuen würde, ließ sie nicht ungeduldig werden.

      Vati bekam etwas ganz Feines! Einen Aschenbecher aus dünnen Stäbchen. Innen war eine schöne gelbe Schale. Pucki hatte schon manches Stäbchen zerbrochen, und es erschien ihr sehr schwierig, all die kleinen, dünnen Hölzchen in die rechte Lage zu bringen. Doch nun war auch diese Arbeit beinahe beendet.

      Draußen fiel der Schnee in großen Flocken und bedeckte den Waldboden. Sehr oft wurde Pucki im Niepelschen Schlitten nach der Schule gefahren. Das war eine