Magda Trott

Pucki


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      Frau Perler war die verwitwete Schwester des Oberförsters, die in Rotenburg wohnte und Pensionäre bei sich aufnahm. Zu ihr hatte Oberförster Gregor seine beiden Söhne gegeben, denn er wusste sie bei seiner Schwester in den allerbesten Händen. Rotenburg war eine ansehnliche Stadt, die außer einem Gymnasium auch eine landwirtschaftliche Schule, ein Technikum und mehrere Fabriken aufzuweisen hatte.

      Pünktlich um ein Uhr fuhr der Oberförster am Forsthause vor. Er saß selbst am Steuer, und Claus holte Pucki aus dem Forsthause. Sie kam sich sehr wichtig vor, als sie auf dem weich gepolsterten Sitz neben dem großen Claus saß. Sie wippte auf dem Polster auf und nieder und sagte glücklich:

      »Wie eine große Frau bin ich jetzt. Ob Schneewittchen auch einen so schönen Wagen gehabt hat, als es zur Hochzeit fuhr?«

      Schnell ging es weiter hin zum Niepelschen Gutshause. Walter und Fritz waren dem Wagen ein gutes Stück entgegengelaufen und hielten ihn mit lautem Lärmen an.

      »Nun, wo ist denn der Dritte?«

      »Der darf nicht mit!«

      »Warum denn nicht?«

      »Weil er viele Tadel hat und nicht versetzt ist. Der Vater sagte, ein fauler Junge brauche auch nicht Auto zu fahren«, antwortete Walter.

      »Oh, das wäre aber schrecklich«, rief Pucki erregt, »er hat sich gewiss mächtig darauf gefreut. Wir wollen ihm schnell sagen, dass er doch mitkommen kann.«

      Schon stieg Pucki aus dem Wagen. Im Vorgarten trafen die Kinder Herrn Niepel und dessen Frau.

      »Onkel Niepel, gelt, du lässt den Paul nach Rotenburg mitfahren. Das ist eine so schöne Stadt mit einer Kirche. Die hat einen runden Turm. – Sieh mal, sooo – –. Der Paul hat sich so furchtbar darauf gefreut! Lass ihn doch einsteigen.«

      »Nein, Pucki, der Paul bleibt hier. Die Fahrt ist eine Belohnung für fleißige Kinder.«

      »Was macht er denn dann, wenn wir weg sind?«

      »Er weint«, rief Walter laut.

      Puckis Gesichtchen wurde sehr traurig. »Ach, lass ihn doch mitfahren, Onkel Niepel. Wenn der Paul weint, ist es sehr schlimm.«

      Sie erblickte Paul. Er kam mit verweinten Augen soeben aus dem Hause und drückte sich scheu hinter einen Baum, als er der anderen ansichtig wurde. Pucki eilte sogleich zu ihm.

      »Weine doch nicht, lieber Paul, du musst deinem Vati versprechen, dass du von morgen an viel lernen willst.«

      Pauls Tränen flossen erneut. Da lief Pucki wieder zu Onkel Niepel, legte bittend die Händchen ineinander und bat nochmals:

      »Sieh mal, lieber Onkel, wie er weint.«

      Doch Onkel Niepel blieb unerbittlich. Eindringlich schilderte er dem kleinen Mädchen, dass Faulheit Strafe verdiene, und dass Paul sich das Vergnügen selbst verdorben hätte, weil er gar zu träge gewesen sei.

      »Es wird ihm eine Lehre sein, Pucki.«

      Der Oberförster drängte zum Weiterfahren. Nochmals streichelte das Kind den weinenden Knaben, dann kehrte es betrübt zu dem Wagen zurück.

      »Es wäre noch viel schöner, wenn der Paul dabei wäre. – Ach, der arme Paul.«

      Bald war die Traurigkeit Puckis wieder verflogen, als man Rotenburg erreichte, und Claus die drei ein wenig durch die Stadt führte, um schließlich Tante Grete aufzusuchen.

      Das war eine sehr liebe ältere Dame, die die Kinder mit Kaffee und Kuchen bewirtete und ihnen viel Schönes erzählte. Nur zu rasch vergingen die Stunden. Der Oberförster kam, blieb noch ein Weilchen bei seiner Schwester, dann wurde die Heimfahrt angetreten.

      »War es schön?« fragte er Pucki, als er sie aus dem Auto hob.

      »Ach ja, sehr schön, Onkel Oberförster. Aber – es wäre noch viel schöner gewesen, wenn der Paul nicht hätte weinen brauchen, wenn er mitgekommen wäre.«

      »Gutes, weichherziges Mädchen«, lobte der Oberförster.

      »Es ist eben meine kleine Pucki mit dem goldenen Herzen«, sagte der große Claus und strich dem Kinde zärtlich über die Wange.

      Pucki wies stolz auf das goldene Herzchen am Halse.

      »Hier hängt es, großer Claus, und immer denke ich an dich.«

      »Unser guter, kleiner Waldpuck! Mögest du immer so bleiben, kleines Mädchen!« – – –

      Am Ostersonnabend drängte Pucki, es wollte nun endlich zur alten Schmanzbäuerin gehen, um ihr von Ostern vorzulesen.

      »In meinem Buch steht eine sehr schöne Geschichte vom Herrn Jesus, die muss die Schmanzgroßmutter hören, gerade weil Ostern ist. Ich kann sie schon ganz fix lesen.«

      »Pucki, die Großmutter liegt noch zu Bett.«

      »Dann hat sie gar keine Freude mehr, nur noch wenn ich ihr was vorlese. – Ach, Mutti, lass mich doch hingehen. Der große Claus hat gesagt, wir sind dazu da, die Menschen zu erfreuen, und auch zu Ostern muss man Freude machen. – Mutti, bitte, lass mich zur Schmanzgroßmutter gehen.«

      »Meinetwegen, so begleite den Vater, der heute nachmittag über die Schmanz gehen muss. Aber sei nicht laut, mein Kind, denke immer daran, dass die Schmanzgroßmutter krank ist.«

      »Ich will ihr dann ganz leise vorlesen. Aber sie freut sich doch immer so sehr.«

      So wurde am Ostersonnabend von Förster Sandler und seiner Tochter die Schmanz besucht. Die Bäuerin empfing die beiden und sagte betrübt:

      »Es will mit der Mutter gar nicht mehr gehen. Ich glaube, sie macht es nicht mehr lange.«

      »So will ich Pucki nicht mehr zu ihr hineingehen lassen.«

      »O doch, Herr Förster, die Mutter freut sich immer sehr über das Kind. Ich will gleich mal zu ihr gehen und sehen, was sie macht.«

      Pucki, die unterwegs für die Schmanzgroßmutter einen Strauß Waldanemonen und Leberblümchen gepflückt hatte, sagte bittend, indem sie der Bäuerin das Buch hinhielt:

      »Lass mich doch zu ihr, ich habe eine sehr schöne Geschichte. Sie freut sich, wenn ich ihr vorlese, und die Blümchen will ich ihr auch geben.«

      Die Bäuerin kam sehr bald wieder zurück und sagte, dass die Mutter zwar sehr schwach sei, aber trotzdem Pucki sehen möchte.

      Auf den Zehenspitzen ging die Kleine ins Zimmer. Da lag die Schmanzgroßmutter im Bett, hatte eine weiße Haube auf und sehr kleine, müde Augen. Auch schien es Pucki, als sei das faltenreiche Gesicht heute viel kleiner geworden.

      »Schmanzgroßmutter«, sagte sie leise, »ich bin da und habe dir Blümchen mitgebracht. Dann lese ich dir wieder was vor, um dich glücklich zu machen. Ein Osterei kann ich dir nicht bringen, ich habe noch keines. Aber von Ostern kann ich dir vorlesen.«

      »Du liebes, gutes Kind, du meine ganze Freude in meinen letzten Tagen.«

      »Hier hast du Blümchen.«

      Die zitternde Rechte der Alten tastete sich zu Puckis Fingerchen hin, dann nahm sie den Strauß in die Hände, die sie gefaltet auf die Bettdecke legte.

      »Wenn du mir nun noch etwas vorlesen wolltest – ach, das wäre schön. Dabei lässt es sich gut einschlafen.«

      »Bist du müde, Schmanzgroßmutter?«

      »Ja, mein gutes Kind, müde von der langen Wanderung, die hinter mir liegt, müde von aller Arbeit, die ich verrichtet habe. Die alte Großmutter möchte nun endlich ausruhen und bittet den lieben Gott, dass er ihr die Augen schließen möge.«

      »Willst du in den Himmel zu ihm, Schmanzgroßmutter?«

      »Wenn mir der liebe Gott die Himmelstür gnädig aufschließt, wird die Großmutter die ewige Herrlichkeit bald sehen und sehr glücklich