Magda Trott

Pucki


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sehr wohl sein.«

      »Soll ich dir nicht die Geschichte lesen, wo der liebe Gott in den Himmel fliegt?«

      Die Lippen der alten Frau bewegten sich, und Pucki hörte die geflüsterten Worte:

      »Ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein.«

      Pucki kannte diese Worte, sie standen auch in dem Buche, das ihr gehörte. Wenn die Schmanzgroßmutter diese Geschichte hören wollte, würde sie sie lesen. Freilich, das ging nicht so glatt wie die andere, die sie sich daheim sehr oft vorgelesen hatte.

      Die Schmanzgroßmutter lag still, in den gefalteten Händen die blauen und weißen Blümchen. Sie hatte die Augen geschlossen und sah aus, als ob sie schliefe.

      Leise, wie es die Mutter wünschte, begann Pucki zu lesen:

      »Und es war um die sechste Stunde, und es ward eine Finsternis über das ganze Land bis in die neunte Stunde. Und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. Jesus rief laut und sprach: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.«

      Die Kleine wollte weiterlesen, aber zunächst blieb ihr Blick wie gebannt an dem Gesicht der Schmanzgroßmutter hängen. Es schien heute noch heller zu leuchten als damals, als Rose der Alten zum ersten Male eine Geschichte vorgelesen hatte.

      »Großmutter«, sagte sie leise flüsternd, »ist's sehr schön, was ich dir vorlese? – Großmutter, bist du eingeschlafen? – Großmutter – Schmanzgroßmutter – –«

      Eine Tür wurde geöffnet. Die Bäuerin schaute in das Zimmer, trat leise an das Bett heran, betrachtete die Schlafende und begann zu weinen.

      »Nun ist sie gestorben, die gute Mutter.«

      Leises Erschauern überlief den Körper des Kindes. Aber vor der guten Schmanzgroßmutter konnte sie keine Angst empfinden. Sie lag mit so freundlichem Gesicht in den Kissen, als ob sie einen wunderschönen Traum hätte.

      Die Bäuerin weinte noch immer leise.

      »Wir wollen ganz still sein«, sagte Pucki, »wenn sie schläft, darf man sie nicht stören.«

      »Dein Leben ist Mühe und Arbeit gewesen, Mutter, du hast dir die ewige Ruhe verdient. Der liebe Gott wird dich mit Freuden in seinen Himmel aufnehmen.«

      Da horchte Pucki auf. – Was hatte die Großmutter vorhin gesagt, ehe sie eingeschlafen war? Der liebe Gott solle der Schmanzgroßmutter die Himmelstür gnädig aufschließen. – Ob er es wohl tat? – Freilich, der liebe Gott war ja so gut.

      Vorhin, als sie mit dem Vater aus dem Walde gekommen und über die Wiesen geschritten war, hatte das Kind viele Himmelschlüssel gesehen, die gerade jetzt zum Osterfest erblüht waren.

      »Ich weiß«, flüsterte der Kindermund, »jetzt bringe ich der guten Großmutter einen Himmelschlüssel. Dann schließt sie sich die Tür zum lieben Gott selbst auf, damit sie dort oben froh und glücklich sein kann.«

      Lautlos huschte Pucki aus dem Zimmer, wählte draußen auf der Wiese das schönste Himmelschlüsselchen aus, das sie finden konnte, und trug es bewegten Herzens hinein zur Schmanzgroßmutter. Vorsichtig steckte sie es zu den anderen Blumen in die gefalteten Hände der Toten.

      »Jetzt wirst du schon in den Himmel hineinkommen, Schmanzgroßmutter. – Soll ich dir nun noch was vorlesen? Wie der liebe Gott in den Himmel fuhr?«

      Die Schmanzbäuerin weinte noch immer, sie kümmerte sich nicht um das kleine Mädchen. Da nahm Pucki erneut das Buch vor und flüsterte leise:

      »Und der Herr, nachdem er mit den Jüngern geredet hatte, ward aufgehoben in den Himmel und sitzet zur rechten Hand Gottes.«

      Erst als der Vater zurück zur Schmanz kam, trippelte Pucki ihm entgegen und sagte leise, dass die Schmanzgroßmutter nun für immer schliefe.

      »Denke dir, Vati, sie ist eingeschlafen, als ich ihr eine Geschichte vorgelesen habe. Sie macht auch beim Schlafen ein frohes Gesicht. – Nun ist sie glücklich, denn sie kann gleich in den Himmel hinein.«

      Förster Sandler nahm seine Tochter in die Arme und küsste sie innig. Er freute sich darüber, dass seine Pucki der alten Schmanzgroßmutter noch kurz vor dem Sterben eine große Freude hatte bereiten dürfen.

       3. Band: Pucki und ihre Freunde

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      1. Kapitel: Tausend Freunde

      Hedi, die achtjährige Tochter des Försters Sandler, die man weit und breit nur als Pucki Sandler kannte, stand auf einem Stuhl und betrachtete mit nachdenklicher Miene den dicken Abreißkalender, der im Wohnzimmer an der Wand hing. Ihr um vier Jahre jüngeres Schwesterchen Waltraut blickte ebenfalls voller Erwartung zu den Blättchen auf, die Pucki durch die Finger gleiten ließ.

      »Es dauert noch lange, bis wir den Kuchen bekommen.«

      »Wie lange noch?« fragte Waltraut.

      Pucki suchte im Abreißkalender und behielt ein ganzes Päckchen Blätter zwischen den Fingern.

      »Diese Blättchen müssen alle erst abgerissen sein, dann hat der Vati Geburtstag, dann kommt der große Freund, und dann gibt es endlich den Kuchen mit den vielen Rosinen. – Ach, der schmeckt so gut!«

      »Och«, sagte Waltraut betrübt, »noch so viele Blättchen! – Wollen wir nicht machen, dass wir schneller den Kuchen bekommen?«

      Pucki tippte mit dem Fingerchen auf den 24. Mai. »Hier gibt es Kuchen, bis dahin müssen wir noch furchtbar lange leben. Jedes Blatt ist ein Tag. – Ach, sieh mal, Waldi, so oft müssen wir noch schlafen gehen!«

      Waldi bemühte sich ebenfalls, auf den Stuhl zu steigen, doch gelang es der Vierjährigen nicht.

      »Waldi will auch sehen, wann es Kuchen gibt!«

      Pucki nahm den Kalender von der Wand, legte ihn auf den Stuhl, und dann beugten sich die beiden Kinder interessiert über die Blätter.

      »Wo gibt's Kuchen?« fragte Waldi noch einmal.

      Abermals suchte Pucki im Kalender, bis sie den 24. Mai gefunden hatte.

      Da lachte Waltraut lustig auf. Ihre kleinen Hände ergriffen mehrere Blättchen und rissen sie ab. Pucki legte beide Hände auf den Rücken und schaute wortlos dem Treiben der kleinen Schwester zu. Als der Fußboden mit zahlreichen Zetteln besät war, sagte Pucki nachdenklich:

      »Es wird uns nichts nützen, wir werden was auf die Finger bekommen, aber keinen Kuchen.«

      Waltraut hingegen jubelte hell auf und meinte, man brauche nun nicht mehr so oft schlafen zu gehen, und der Kuchen mit den vielen Rosinen müsse bald gebacken werden. Sie war gerade im Begriff, nach der Küche zu eilen, um die Mutti an diese wichtige Arbeit zu erinnern, als die Försterin ins Zimmer trat.

      »Was ist denn hier geschehen?«

      Pucki stand noch immer unbeweglich da, während Waltraut strahlend auf den Kalender wies: »Waldi hat gemacht, dass der Vati jetzt Geburtstag hat! Bäckst du nun den Kuchen?«

      »Wer hat euch erlaubt, den Kalender von der Wand zu nehmen und die Blätter abzureißen?«

      »Es hat so furchtbar lange gedauert, Mutti, bis der Vati Geburtstag hat«, erklärte Pucki. »Wir haben uns den Kalender immerfort angesehen.«

      Die Folge war, dass die beiden Kinder einige Klapse auf die Finger bekamen und die Blätter zusammensuchen mussten.

      »Für dich wäre es besonders schlimm, Pucki, wenn der Vater heute Geburtstag hätte, denn dein Geschenk ist noch lange nicht fertig. Oder hast du heute