Magda Trott

Pucki


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unterbrechen.«

      »Jetzt bin ich ganz still, Mutti. Bitte, bitte, erzähle weiter, wie du das kleine Kindchen behüten wolltest.«

      »Deine Mutti wusste nun gar nicht, was sie beginnen sollte. Sie wollte etwas lernen und hatte kein Geld dazu. Da schrieb mir eines Tages meine Freundin Erika, ich möchte mich ruhig als Säuglingsschwester anmelden, denn die Ausbildung koste nicht so viel, wie ich anfangs glaubte. Deine Mutti bekam auch bald den Bescheid, dass man sie für wenig Geld annehmen wolle. So wurde es mir möglich, meine Ausbildung als Schwester zu beginnen. Ich war sehr erfreut darüber, dass man von mir viel weniger Geld verlangte als von meinen Mitschülerinnen, doch konnte ich mir das nicht erklären. Ich machte das Examen, nahm eine Stellung an und habe dann bald geheiratet.«

      Pucki blickte die Mutter verständnislos an.

      »Als ich verlobt war, suchte ich meine Freundin Erika auf. Sie hatte eine Stellung als Stütze bei einer Hausfrau angenommen, eine schwere Stellung. Sie musste von früh bis spät arbeiten und hatte kaum eine freie Stunde. Erika sah sehr abgearbeitet und elend aus. Ich stand in ihrem Stübchen und erwartete sie, weil sie von der Hausfrau gerufen worden war. Da sah ich ein Buch auf dem Tisch liegen, das ich aufschlug. Es war Erikas Tagebuch.«

      »Da haste rasch ein bißchen gelesen?«

      »Ich hätte es nicht tun dürfen, Pucki. Meine Augen fielen gerade auf meinen Namen. Da las ich, dass Erika fast meine gesamte Ausbildung bezahlt hatte. Sie selbst gönnte sich während meiner Ausbildungszeit kein Vergnügen. Jeden Pfennig sparte sie für mich, weil sie wusste, dass ich nichts besaß und das Examen machen wollte. In dem Buch stand, dass sie sich gern einmal ein Vergnügen gegönnt hätte. Doch es ging ja nicht, weil sie für mich alles hingab.«

      »Mutti, hat sie sich nicht mal ein Stückchen Schokolade gekauft?«

      »Nein, mein Kind, nicht die kleinste Leckerei konnte sie kaufen. Sie hatte ihre leichte Stelle aufgegeben und eine viel schwerere angenommen, weil sie dort besser bezahlt wurde. Sie brauchte mehr Geld, weil meine Ausbildung immer teurer wurde. Ich habe nichts davon geahnt und freute mich nur, dass ich so vieles lernen konnte. Niemals habe ich daran gedacht, dass Erika meinetwegen entbehren musste. – Siehst du, das geschah aus Liebe, aus treuer Freundschaft zu mir. Sie hat es gern getan. – Und nun wirst du begreifen, meine kleine Pucki, was Freundschaft ist.«

      »Nicht mal ein Stückchen Schokolade! – Ist sie auch nicht ins Kasperletheater gegangen oder Karussell gefahren?«

      »Alles Geld, das sie verdiente, hob sie für mich auf.«

      »Mutti«, sagte Pucki kleinlaut, »muss man das immer so machen, wenn man Freunde hat?«

      »Man muss stets daran denken, dem anderen etwas Liebes zu erweisen. Doch vorläufig bist du noch viel zu klein, um den wahren Sinn der Freundschaft zu erfassen. Später wirst du es lernen.«

      »Ich möchte es aber bald lernen, Mutti, denn ich will recht viele Freunde haben. – Mutti, es muss schön sein, viele Freunde zu haben.«

      »Ja, Pucki, Freundschaft macht sehr glücklich.«

      »Steht nun in deinem Tagebuch auch so was Schönes drin?«

      »Gewiss, Pucki, liebe und traurige Erinnerungen.«

      »Weißt du, Mutti, ich möchte auch ein Tagebuch haben! Ich habe doch auch traurige Erinnerungen. – Weißt du noch, wie der Paul vom Baum gefallen ist? Und wie sich der liebe Harras den Schwanz einklemmte, und wie die alte Schmanzgroßmutter gestorben ist?«

      »Das brauchst du vorläufig noch nicht niederzuschreiben, mein Kind.«

      »Na, ich wünsche mir zu meinem Geburtstag auch so ein Tagebuch, dort schreibe ich alles rein. Und wenn es mir mal irgendwo weh tut, schreibe ich es auch auf.«

      In diesem Augenblick ertönte aus dem Garten lautes Schreien. Waltraut lag auf der Nase und hatte sich beide Knie blutig geschlagen. Harras, der Jagdhund, stand neben ihr und rieb seinen braunen Kopf an Waldis Rücken, als wolle er die Weinende trösten.

      »Lauf rasch, Pucki, hole Waltraut herein, damit wir ihr die Knie abwaschen.«

      »Ach ja«, seufzte Pucki und lief schnell aus dem Zimmer.

      Draußen schrie sie Waltraut an: »Fall doch nicht immerzu hin! Wenn du noch nicht richtig laufen kannst, bleibe hübsch sitzen!«

      Waltraut lief schluchzend ins Haus. Pucki nahm Harras um den Hals und sagte zärtlich: »Nicht wahr, lieber Harras, wir beide sind zusammen gute Freunde. Wenn ich erst mal Geld verdiene, spare ich für dich und kaufe dir eine große Wurst. – Hast du mich auch lieb, Harras? Bist du auch mein großer Freund?«

      Da setzte sich Harras auf die Hinterbeine und reichte Pucki beide Vorderpfoten, als wolle er dadurch seine große Freundschaft bekräftigen.

      Pucki hatte von der Mutter den Auftrag bekommen, dem Vater die Kaffeetasse auf den Tisch zu stellen und dafür zu sorgen, dass er einen warmen Nachmittagstrunk hätte, wenn er aus dem Walde käme. Pucki war über solche Aufträge stets hocherfreut und machte Minna, dem treuen Hausmädchen, damit das Leben schwer. Mehrfach musste Minna dem Kind verweisen, den Finger nicht in den Kaffeetopf zu stecken, um zu fühlen, ob der Kaffee für Vati auch warm genug sei. Pucki trug selbst den Zucker, die Milch und das Brot auf den Tisch und lief, wenn alles fertig war, immer wieder ungeduldig zur Gartenpforte, um nachzusehen, ob der Vati nicht bald käme.

      So war Pucki auch heute wieder voller Ungeduld. Nachdem sie sich überzeugt hatte, dass der Kaffee in der Küche dampfte, nahm sie an der Gartenpforte Aufstellung und wartete. Harras kündigte durch lautes Bellen das Kommen des Försters an und eilte dem kleinen Mädchen schweifwedelnd entgegen.

      »Weidmannsheil, Vati, heute mache ich dir den Kaffee, er ist ganz heiß. Ich habe mir beinahe den Finger verbrannt.«

      »Weidmannsdank, Pucki, der Vati freut sich auf den Kaffee und auf die Ruhestunde, der Vati ist heute ganz besonders müde.«

      »Das ist schön, Vati, dann legst du dich nachher auf das Sofa, und ich decke dich zu.«

      Wenige Minuten später kam der Förster an den Kaffeetisch. Pucki rückte ihm den großen Stuhl zurecht und schrie aufgeregt nach Minna, die die Kanne mit dem Kaffee hereinbringen sollte.

      »Ist er auch schön heiß?« fragte Pucki.

      Minna lachte nur und ging wieder hinaus. Sie musste sich um die kleine Agnes kümmern, da die Försterin heute mit Waltraut nach Rahnsburg gegangen war.

      Förster Sandler setzte sich in den bequemen Stuhl.

      »Pucki, lauf und hole mir noch ein Kissen, der Vati hat heute einen krummen Rücken.«

      Pucki brachte ein Kissen herbei und stopfte es dem Vati so energisch in den Rücken, dass er einen leisen Schmerzensschrei hören ließ. Dann zog er das Kissen ein wenig höher.

      »Hast du noch ein Kissen, Pucki? Der Vater möchte heute recht mollig sitzen.«

      Das kleine Mädchen drehte sich auf dem Absatz einige Male um sich selbst und ließ die Augen im Zimmer herumgehen. »Auf einem sitzt du schon, Vati, eins hast du im Buckel, und das andere habe ich rasch dem Harras hingetragen, weil er vielleicht auch sehr müde ist.«

      »Dann hole mir aus dem Nebenzimmer das hübsche gelbe Kissen.«

      »Darf ich nicht, Vati – das Kissen mit der schönen Bommel darf ich nicht nehmen. Weißt du, Mutti hat mal gescholten.«

      »Nun, dann lassen wir es sein, Kind, es geht auch ohne das Kissen.«

      »Wenn du doch aber so müde und krumm im Rücken bist, Vati? – Soll ich dir meinen Mantel holen? Ich roll' ihn ganz fest zusammen; das macht der Paul Niepel immer so, wenn er sich im Wald niedersetzt.«

      »Lass nur, Pucki. – Nun erzähle mir mal, was du heute gemacht hast.«