ihr verkehrt das eigene Bild entgegen. Als das Mädchen drüben aufatmend ans Ufer sprang, erschien es ihr, als wäre nun die letzte Verbindung mit der Welt jenseits der Urwälder abgeschnitten. Die Fähre glitt an einem zweiten Lasso zurück. Auch Mammy Sattler gelangte auf diese Weise über den schwarzen tiefen Fluß.
Bill und Peter hatten indessen die Pferde an Halfterstricken hintereinandergebunden. Der Zügel des ersten Reittieres wurde an das Lasso der Fähre gebunden. Jetzt kam der gefährlichste Augenblick. Widerstrebend folgten die Pferde dem anfeuernden Ruf Peter Sattlers, der auf dem Fährfloß stand und ein Tier nach dem andern zu sich auf das Wasser herabzog. Als das erste Pferd schwamm, überwanden auch die anderen ihre Furcht. Schnaubend und fast lautlos schwamm die Pferdeherde über das Wasser. Die Rinder brüllten nun verloren und verlassen, nur von Bill mühselig zusammengehalten. Und noch bevor Peter Sattler wieder an das Ufer zurückgekehrt war, tappten die ersten Rinder aus eigenem Antrieb an den Fluß hinab und folgten den Pferden durch die Flut.
Etwas abwärts wuchs hohes Schilfgras an einer sumpfigen Uferstelle. Dorthin wandten sich die Köpfe der Kühe, und schnaubend stiegen sie an das schlammige Ufer.
„Ah, darauf einen Dry Gin!“ stöhnte Mac Lean zufrieden, als alles auf dem Ufer versammelt war. „Jetzt aber ein großes Feuer und eine lange Wäscheleine dazu. Ich will endlich meine nassen Klamotten loswerden!“
Diesem Wunsch konnte rasch entsprochen werden. Bald loderte eine hohe Flamme empor, und in dem warmen Luftzug schwangen Hose, Hemd und Jacke Mac Leans an der Leine.
„Hoffentlich ist das der letzte Fluß vor dem Weideland“, sagte Peter Sattler, „sonst brauchen wir eine Woche länger, bis wir ankommen.“
„Bah!“ lachte Mac Lean „Allmählich bekommen wir ja Übung!“
Diesmal gab es zum Abend gebratenen Fisch. Noch niemals schien in diesem Gewässer jemand eine Angel ausgeworfen zu haben, denn kaum schwankte die Fliege über dem Wasser, schnellten die großen glänzenden Lachsforellen schon danach empor. So wuchs doch noch so etwas wie Freundschaft zu dem schwarzen Fluß in den Herzen der Ranchers.
Friedliche Nacht! Ab und zu ein Stampfen der Pferde oder ein wiederkäuendes Aufgurgeln der Rinder.
Ein blanker Morgen färbte den Himmel über den Tannen. Als die Pferde wieder gepackt standen und auch die Rinder endlich aus der schlammigen Suhle längs des Ufers heraufgetrieben waren, setzte der Treck seinen unterbrochenen Weg fort.
Der Boden stieg langsam an. Es war zu erwarten, daß hinter dieser Bodenwelle ein neues Wasser von den Bergen herabkam. Sobald der Grund wieder eben auslief, hielt der kleine Treck an. Mac Lean hatte schon nach schlanken Tannen Ausschau gehalten. Jetzt winkte er Bill heran: „Willst du nicht einmal deine Kletterkünste versuchen?“
Bill blickte fragend auf ihn. „Warum nicht?“
„Wir müßten eigentlich schon in der Nähe der ersten schmalen Weide sein. Vielleicht nimmt sich von dort oben die Gegend freundlicher aus.“
Bill schwang sich mit schnellen Griffen an den Ästen der schlanken Tanne hoch, dann und wann krachte ein dürrer Zweig auf den Boden herab, und zuletzt verschwand der Junge im grünen Gestrüpp des Baumes.
Lange hörten die Wartenden nichts. Bill schien bis zum letzten Ast emporgeklettert zu sein.
„He!“ rief Peter Sattler. „Was kannst du von oben erkennen?“
„Vater, Vater, ihr solltet alle heroben sein! Der See liegt schon vor uns. Eine Meile oder zwei noch, dann stehen wir an seinem Ufer!“
Bill kam ganz erregt vom Baum herunter. „Wir wären fast falsch gegangen. Der See liegt links von uns!“
„Wir brauchen die Weide, nicht den See!“ brummte Mac Lean.
„Das Land ist fast eben – die Weide sah ich nicht“, gab Bill verlegen zu.
„Na, dann an den See!“ knurrte Mac Lean. „Es wird wohl derselbe sein, den wir vom Berg oben sahen.“
Schweigendes, bedrücktes Dahinreiten. War das Weideland wieder untergetaucht, hatte sie der Blick in die Ferne nur genarrt? An diesem Tag erfaßte die Gemüter eine neue Niedergeschlagenheit. Mußte noch einmal ein Nachtlager unter den Tannen aufgeschlagen werden?
Bill und Peer hatten sich ausgebeten, eine Strecke vorausreiten zu dürfen. Sie tauchten zwischen Stämme hinein, und eine Weile später war auch der dumpfe Hufschlag nicht mehr zu hören.
„Wir kehren nicht eher um, bis wir diesen verdammten See gefunden haben!“ knurrte Bill.
„Die Entfernungen trügen im Wald. Vielleicht sind es noch viele Stunden bis zu dem Wasser“, gab Peer zu bedenken.
„Was, Stunden? Ich hab’ doch meine Augen im Kopf. Vor uns muß das Wasser liegen, zum Greifen nahe muß es sein!“
Vor den Jungen lichtete sich der bärtige Tannenwald immer mehr. Plötzlich erhob sich ein Rudel Hirsche aus einem nahen Gestrüpp und brach in wilder Flucht vor ihnen davon. Aber die Hirschkühe rannten nicht weit. Hundert Schritt vor ihnen blieben sie stehen, drehten sich um und betrachteten mit erhobenen Köpfen die seltsamen Wesen, die sie wohl noch nie gesehen hatten.
Unwillkürlich hielten die Jungen die Pferde an. „Sieh’ dort hinüber“, flüsterte Peer dem Bruder zu. Er schielte nach links. Dort standen unbewegt zwei Elchkühe in einer kleinen Senke, und vor diesen spiegelte sich Wasser.
„Der See, der See!“ flüsterte Bill. „Endlich haben wir ihn gefunden!“
Die Elchkühe wateten schwerfällig und langsam durch das hohe Schilf. Bill und Peer ahnten nicht, wie gefährlich diese urwelthaften Tiere gerade während der Sommermonate sein konnten. Es war jetzt die Zeit, da sie ihre Kälber säugten. Wer sich einem solchen nähern wollte, den traten die Muttertiere kurz und klein.
Die Jungen aber hatten jetzt nur Augen für den See. Sie hatten sein Ufer an einer schmalen Bucht erreicht. Als sie zwischen den letzten Tannen hinausblickten, dehnte er sich nach Norden und Westen viele Meilen weit, eingesäumt von dunklen Tannenwäldern.
„Wir müssen an der Bucht entlangreiten. Vielleicht finden wir sie dann!“
Die Jungen sprachen es nicht aus. Es ging nur um eines: um die Weide!
Bill und Peer durchquerten eine vorspringende schmale Landzunge. Sie ließen Spuren genug zurück, daß ihnen die Ranchers zu folgen vermochten. Als sie die leichte Bodenwelle überritten hatten, lichtete sich drüben von neuem der Blick. Die Jungen trieben die Pferde mit heftigen Bewegungen nach vorn. Sie konnten es nicht mehr erwarten.
Das Seeufer hatte sich zurückgezogen, vor ihnen lag die Weide!
Die Pferde schnupperten nach dem dichten, saftigen Gras, und als Bill und Peer aus den Sätteln gesprungen und ihnen die Zügel gelöst hatten, begannen sie schnaubend auf der Stelle zu weiden.
Staunend starrten die Jungen auf die grüne, blühende Welt, die sich plötzlich vor ihnen geöffnet hatte. Eine riesige Wiese zog sich längs des Sees unabsehbar weit dahin.
„Hier finden hundert Kühe Weide genug“, gab Peer endlich seinen Gedanken Stimme und Lauf.
„Was, hundert? Tausend Rinder haben hier genug zu fressen!“ lachte Bill überlegen.
Tausend Rinder, das waren viele! Peer schüttelte langsam den Kopf. „Da müßte es noch mehr solcher Weideländer geben!“
Bill hatte auf einmal einen neuen Einfall. „Reiten wir längs des Waldes noch eine Meile oder zwei. Bis die Ranchers am See eintreffen, sind auch wir wieder zurück!“
Endlich befanden sich die jungen Cowboys wieder in ihrem Element. Mit einem Jubelruf schwangen sie sich in die Sättel ihrer Pferde und ritten los. Sie jagten über die feste, trockene Wiese und ließen den Rand des Waldes nicht aus den Augen. Je weiter sie nach Norden kamen, desto mehr zog der Wald sich gegen Osten zurück. Zuletzt war der große See im Westen nur noch ein ferner, spiegelnder Streifen. Jetzt sahen sie auch im Norden wieder