Franz Braumann

Die Feuer der Wildnis


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Es fand seine Grenze verschwommen in fernen Bergen, von denen durch Dunst und Wolken noch Schnee schimmerte.

      Peter Sattler und seiner Frau zog es langsam das Herz zusammen. Wo gab es das Weideland, das sie suchten?

      Eine dumpfe, drohende Einsamkeit wallte den Schauenden aus der Unendlichkeit der Tannenwälder entgegen. Das farblose Grauschwarz wechselte in der Ferne allmählich in ein dünnes Blaugrün. Verloren und abgeschlossen wie die einzigen Menschen auf der Welt fühlten sich die sechs Ranchers.

      Mac Lean hatte eine Weile mit zusammengekniffenen Augen in die Ferne gestarrt. Die Falten um seinen Mund und in den Wangen hatten sich vertieft, und Bill neben ihm schien es, als verbisse der Cowboy einen kernigen Fluch.

      Auf einmal aber verwandelte sich sein Gesicht. Er blickte auf Peter Sattler hinüber und lächelte: „Hast du’s gesehen?“

      Peter Sattler hatte langsam den Mut sinken lassen. Der Traum vom Weideland im Norden, nun war er ausgeträumt!

      Jetzt hob er den Kopf und schaute fragend auf seinen Kameraden.

      Mac Lean hob den Arm und wies vor sich hin: „Eine schmale grüne Schneise dort unten! Die müssen wir zuerst erreichen!“

      „Und dann?“ fragte Peter Sattler mit spröder Stimme.

      „Wir stehen zu niedrig, um über das absinkende Land auch auf die Weiden hinauszuschauen!“ Mit einer kühnen Armbewegung wandte er sich nach rückwärts: „Was ist mit den weiten Sümpfen, an denen wir endlos entlanggeritten sind? Wohin sind die nun entschwunden?“

      Er grinste mit breitem Gesicht. „Die Weiden warten! Kommt, reiten wir hinab!“

      Peter Sattler folgte ihm ungläubig und doch wieder leise hoffend. Bill und Peer blickten sich an. Ihre Augen leuchteten auf, und mit einem hellen Schrei galoppierten sie dem kleinen Zug voraus, nach Norden hinab.

      Das Haus am Entiako-See

      Peter Sattler trieb die Kühe, die auf der kurzgrasigen, ziemlich steilen Weide schon wieder auseinandergeschwärmt waren, hinter den Pferden her. Sie folgten unwillig, als ahnten sie, daß sich unten bald wieder der dichte Urwald rauh und ohne saftige Gräser über sie schließen würde.

      Mit einem Auge aber suchte er auf dem Abstieg immer noch nach dem großen Weideland, von dem sie auf der ganzen Fahrt geträumt hatten. Von der Höhe tauchten aus dem gewaltigen Waldmeer schmale, hellgrüne Streifen, Taleinsenkungen mit dunklen Seeaugen und da und dort zarte Nebelschleier, unter denen Schluchten voll brausender Wasser verborgen lagen. Dies alles aber unterbrach kaum die ungeheure Einsamkeit und Leere des Waldlandes nördlich der Algack-Berge.

      Auch dieser Tag verschleierte sich allmählich. Die unsichtbare Sonne mußte schon über die Mittagshöhe hinausgeschritten sein, als mit dem ersten niedrigen Kieferngebüsch sich auch die obere Waldgrenze wieder ankündigte. Langsam stieg die kleine Karawane zwischen abgestorbenem Gebüsch und klobigen Felsbuckeln tiefer. Die Fernen sanken unter den Horizont hinab. Auch die tröstlichen schmalen Waldlichtungen am Fuße des Bergzuges verbargen sich hinter der schweigenden Linie der Wälder.

      Aus einem Bergspalt brauste ein weißgischtendes Wasser hervor, das von dem schmelzenden Schnee auf den höheren Hängen genährt wurde. Mac Lean hob die Hand. „Stopp, hier ist der richtige Lagerplatz! In dem verdammten Walddickicht unten kommen mir nachts immer so düstere Träume.“

      Die Ranchers saßen auf den Pferden und lauschten. Worauf warteten sie? Auf das dunkle, ferne Klingen, das noch an jedem stillen Tag aus der Endlosigkeit heraufgestiegen war? Peer, der neben Rossy ritt, schauderte zusammen. Ohne sichtbaren Grund empfand er auf einmal geheime Angst.

      Aber Bill sprang bereits vom Pferd, schlang den Leitriemen um ein Kiefernstämmchen und ging auf Holzsuche aus. Er kehrte bald mit einem ganzen abgestorbenen Busch aus der Schlucht zurück. Die dürren Flechten brannten wie Zunder an, und bald stieg eine steile Flamme in den gelbschleierigen Abendhimmel.

      Jeder tat ohne lange Worte seine Arbeit. Zur Feier des Eintritts in das neue Land kochte Mutter Sattler wieder einmal duftenden Kaffee. Selbst die Pferde, die in der Nähe angepflockt standen, hoben schnuppernd die Köpfe. Nur die Kühe wiederkäuten gleichmütig in dem riemenumfriedeten Gehege. Peter Sattler hatte sich schon vor Jahren auch zum Melker ausgebildet; nun versah er seit dem Abmarsch vom Anahim-See dieses Amt an der Melkkuh, die neben den Zuchttieren eingekauft worden war. Diesmal floß der Strahl der Milch wieder besonders reichlich. Die Hungertage im Urwald der südlichen Algack-Berge waren überwunden.

      Mac Lean hob am Feuer die Tasse mit heißem Kaffee.

      „Verdammt, es müßte Whisky sein, damit wir den Eintritt ins neue Land richtig feiern könnten! Aber lassen wir es uns nicht verdrießen und wollen wir heute unsere verrückte Idee mit diesem Gebräu hochleben lassen. Niemand wird uns dreinreden, wo wir unsere Hütten aufbauen. Jeder Tag gehört uns, und unser Leben wird so frei sein wie noch nie!“

      Peter Sattler nickte dem Gefährten zu. In ihm bohrte noch eine leise Ungewißheit, doch jetzt ließ er sie nicht gelten. „Nur der Schleier der Wälder liegt noch vor dem Land, das wir suchen. Eines Morgens werden sie zu Ende sein, und unser Weideland nimmt uns auf. Dann soll ein fröhliches Bauen und Ranchen beginnen!“

      Mac Lean zwinkerte mit den Augen Bill und Peer zu. „Hört euch das an, ihr Greenhorns! Und wer wird unser Nachbar sein? Die Grizzlys und die schwarzen Wölfe werden verwundert den Rauch aus unsern Kaminen schnuppern; die wilden Gänse werden die Hälse verdrehen, wenn sie in den Tetachuk-See einfallen; die Ulgatchos werden um unsere Weidezäune schleichen, und wir werden die schmutzigen Boys zu Tisch laden. All devils, es wird ein feines Leben sein!“

      Er wandte sich rasch um und hob seinen Revolver. Kurz und scharf peitschte der Knall zweier Schüsse in die Dämmerluft, daß die Pferde erschreckt hochstiegen. Es war der Salut zum Einzug der Ranchers in das neue Reich.

      Dieser Abend jenseits des Passes hätte auch recht traurig sein können. Unter welchen Mühsalen hatten die Ranchers diese Höhe erreicht, und was hatten sie in Wirklichkeit dann gesehen? Nicht viel mehr als eine unübersehbare Wüste von Wald! Nur Mac Lean hatte die Hoffnung von neuem angefeuert. Die Sattlers waren ein ernsterer Schlag Menschen.

      Als Bärbi Sattler sich an diesem Abend im Zelt in die Decken wickelte, konnte sie den Tränen nicht wehren. Sie hatte unter der Decke die Hände gefaltet. Bis jetzt hatte Gott immer seine Hand über die kleine, mutige Schar gehalten. Mit seinem Segen würden sie auch in der Zukunft finden, wessen sie bedurften.

      Mit Tagesanbruch waren die Ranchers wieder auf den Beinen. Auf dieser Höhe wehte eine empfindlich kühle Morgenluft, und der heiße Tee tat den ausgefrorenen Körpern gut. Der fahle Himmel wechselte bald in ein zartes Grün. Die Morgensonne blitzte über hohe Felsgrate im Osten und versprach einen schönen Wandertag.

      Solang es anging, wollten die Ranchers an der Baumgrenze entlang nach Norden weiterziehen. Vor ihnen zog sich ein Bergausläufer weit gegen Westen hinaus und hatte auch gestern einen Teil des nördlichen Horizontes verdeckt. Peter Sattler und Mac Lean hatten darum beschlossen, auch diese Höhe noch zu überqueren, ehe sie endgültig in die Tiefe der Wälder hinabtauchten.

      Von neuem wuchs eine heimliche Spannung, als die Ranchers aus einer niedrigen Senke wieder zu dem Bergrücken emporstiegen. Auf dem letzten Stück zeigte sich der Grashang sogar von schmalen Felsbändern durchsetzt, und die Tiere mußten eines hinter dem andern in langen Kehren bergan steigen. Es fielen keine Worte mehr, jeder hatte scharf auf jeden Tritt zu achten.

      Der Bergkamm zeigte sich vom Wind überweht und mit flachen Blättchen von Schiefergestein bedeckt. Drüben fiel eine hohe Wand jäh ab.

      Diesmal saßen die Reiter eine lange Weile stumm auf ihren Pferden. Peter Sattler fuhr sich über die Augen. War es Wahrheit oder nur Gaukelei der Phantasie, was er jetzt sah?

      Wald, Wald – aber in der Ferne ein dunkler, regloser See-Spiegel und an seinem Ufer, scharf abgehoben von dem Schwarzgrau der Tannen, eine weite zartgrüne Fläche.

      „Das Land, das Weideland!“ sprach der Mann halblaut.