Franz Braumann

Die Feuer der Wildnis


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Schulter zurück. Bärbi Sattler trieb mit freundlichen Zurufen eines der Rinder an den Pferden vorbei. „Geh, geh nur!“ drängte sie das Tier langsam auf den feuchten Wiesenboden hinaus. Die Kuh zögerte erst, dann schritt sie langsam und tappend auf dem leise glucksenden Boden dahin. Mac Lean und Bill folgten ihr in einem kleinen Abstand. Meter um Meter wagte sich der Zug der Ranchers immer weiter voran. Die Kuh rupfte bald da, bald dort ein Büschel Gras, hob lauschend die Ohren und wagte sich allmählich immer tiefer nach links hinaus.

      „Wohin führt uns das Biest?“ murmelte Bill unruhig.

      „Nur ruhig Blut! Kühe sind die besten Wegführer über unsicheres Land!“ beruhigte ihn Mac Lean.

      Später sahen sie an der Stelle, auf die sie zureiten wollten, einen moosbedeckten Sumpf. Unter der harmlosen Oberfläche lauerte dort drüben eine tödliche Tiefe. Die Kuh aber steuerte nun unentwegt auf den gegenüberliegenden Waldrand zu.

      „Ist das nicht kühn!“ lachte Bill. „Wir hätten uns todsicher in dem Sumpf verirrt, und wer einmal eingebrochen ist, wird verschlungen.“ Mit einem dankbaren Aufatmen erreichte die Karawane wieder den trockenen Waldboden. Die Männer blickten zurück. In einem Zickzack-Zug waren sie über die Wiesenfläche gezogen.

      „Ein guter Lagerplatz für diese Nacht!“ stellte Peter Sattler fest. Nur das Wasser fehlte. Aber Mac Lean wußte sich zu helfen. Er zog einen Spaten aus dem Gepäck und stach eine kleine Grube auf der feuchten Wiese draußen aus. Sogleich stieg darin das Wasser hoch. Als sich die Trübung nach einer Weile gelegt hatte, besaßen sie genug, um Tiere und Menschen damit zu laben.

      Nun machten die Rinder keine Anstalten mehr, wieder umzukehren. Sie weideten vorsichtig am festen Waldrand entlang, und die schnaubenden Pferde wagten sich noch weniger weit in die grüngraue Unendlichkeit hinaus.

      In aller Frühe brachen die Ranchers wieder auf. Nun schlossen sie auch von Norden her die Berge ein, und es schien, als müßten sie nun endlich einen Durchbruch über die Höhe suchen.

      Der Wald rückte dicht und dunkel heran, und die Wieseneinschnitte blieben zuletzt ganz zurück. Am Vormittag bereits begann es zu regnen. Es war zuerst nur ein zartes Rieseln und Nebelziehen, bald aber gerieten Menschen und Tiere mitten in eine schwere graue Wolke hinein, und ehe sie sich versahen, rann das Wasser in dichten Schnüren vom Himmel. Zum Mittag fühlten sich alle bis auf die Haut durchnäßt. Niedriges Gestrüpp auf dem Boden machte das Vorwärtskommen schwer. Mac Lean und Bill mußten ihre Bowie-Messer aus dem Gürtel nehmen und das gröbste Gesträuch abhauen.

      „All devils!“ versuchte Mac Lean noch immer zu spaßen. Über hohe Wurzeln und umgesunkene, halb vermoderte Tannen hinweg schleppten sich die schwer beladenen Tiere weiter. Nur der Kompaß zeigte ihnen jetzt den Weg nach Norden. Die Rinder brüllten hungrig, glitten aus und erhoben sich keuchend.

      Unerwartet sank eine frühe Dunkelheit herab. Es ließ sich keine Spur eines offenen Lagerplatzes finden, auf dem die Ranchers ihre Zelte aufschlagen und die Tiere sich niederlassen konnten. Bis ein kleiner Fleck Boden halbwegs gesäubert und die Zelte aufgestellt waren, umgab sie schon tiefe Nacht. Die Rinder standen eng zusammengedrängt und erwärmten sich gegenseitig mit ihren Leibern. Die Pferde ließen die Köpfe hängen und knabberten mißmutig am Gebüsch. Nach vieler Mühe erst konnten die Erschöpften ein rauchiges Feuer entfachen, und es dauerte noch eine lange Weile, bis jeder einen heißen Schluck Tee in den Magen bekam. Naß bis auf die Haut krochen die sechs Ranchers in ihre Zelte. Allmählich fühlten sie sich zwischen den feuchten Decken warm werden und dachten mit Sorge an die armen, ungeschützten vierbeinigen Gefährten, die die ganze Nacht dem Regen preisgegeben standen.

      „Ade, elendes Regenloch“, fluchte Mac Lean, als am nächsten Morgen die Tiere wieder gesattelt standen und Schritt um Schritt aufwärts weiterstiegen. Die Mutter blickte besorgt auf Rossy, doch es stellte sich heraus, daß das Mädchen den besten Mut besaß. Es zeigte fröhlich trotzend seine weißen Zähne, und heute war es sogar bereit, von Bill einen Streifen Kaugummi entgegenzunehmen.

      Langsam schlichen die Stunden dahin. Auf einer freien Blöße voll vermoderter Stämme, die vor vielen Jahren ein Wirbelsturm niedergerissen hatte, wurden die Ranchers auf einmal von ganzen Schwärmen Moskitos überfallen. Jeder schlug um sich, soviel er konnte, aber bald quollen Wangen und Hände von den Stichen auf. Die Rinder stellten die Schweife steil empor und versuchten brüllend auszubrechen. Bill und Mac Lean aber waren auf der Hut. Sie trieben ihre Pferde durch das dichteste Gebüsch und ließen die Lassos sausen, bis auch das letzte Rind wieder trottend hinter den andern einherging.

      „He, der Regen hat aufgehört!“ stellte Mac Lean fest. Hinter schleierigen Nebeln war die Sonne zu ahnen, und wäre nicht die Moskitoplage gewesen, so hätten die Ranchers schon wieder Hoffnung gefaßt.

      Diesmal lagerten die Ranchers schon früher am Nachmittag. Sie entfachten ein gewaltiges Rauchfeuer, in dessen Dunst Tiere und Menschen von den Moskitos verschont blieben. Sowie sich aber der Rauch wieder ein wenig emporhob, versetzte das eintönige Summen der Moskitos die Welt in eine schwüle, seltsame Unwirklichkeit. Feuer, Rauch, Stille.

      In der Tiefe der abweisenden Wälder wälzten sich sechs Menschen unruhig im Zelt hin und her. Wohin waren sie geraten? Wann nahm der endlose Hang an diesem Berg ein Ende? Tagelang hatten sie Sumpfwasser getrunken, ein unaufhörlicher Durchfall war die Folge. Erschöpft erhoben sie sich am Morgen wieder, und mit Unlust stopften sie feuchtes Brot und heißen Tee in den Mund.

      „Die Kühe haben Hunger!“ stellte Peter Sattler fest. In ihrer Gier versuchten sie Ahorn- und Birkenlaub zu knabbern, aber sie spien es mit einem grünen, zähen Schleim wieder aus.

      Bill war eine Strecke vorangeritten. „Ein Pfad! Ein Pfad!“ schrie er plötzlich und kehrte um.

      Dieses Wort weckte alle Lebensgeister wieder auf, und bald fanden Mac Lean und die übrigen höher oben durch das Dickicht so etwas wie einen Pfad. Vielleicht war es nur ein Wildwechsel der Elche oder Karibus, die im Winter über die Berge gezogen waren. Einerlei, jetzt führte er die Ranchers und ihre Tiere in einem fröhlicheren Aufstieg rasch höher hinan. Auch der Wald breitete sich wieder parkartig aus. Statt der bärtigen Tannen waren dichte Schwarzkiefern der beherrschende Baumbestand geworden. Da und dort blinkten niedrige rote Felswände herein.

      Auch an diesem Tag versank die Sonne wieder hinter weißen ziehenden Wolken am Horizont und warf ihr rotes Licht auf einen unermeßlichen Urwald zu Füßen der Wandernden. Der weite, graue Sumpf war zwischen den Wäldern untergetaucht, und Woge um Woge verlor sich der Urwald nach Westen ins Blaue.

      In dieser Nacht loderte ein rotes Feuer hoch zwischen den Kiefern empor. Bill und Mac Lean hatten auch für die Rinder ein Gehege aus Lassos erstellt. Sie hatten von Baum zu Baum die Riemen gespannt, und die erschöpften Tiere ließen sich bald auf das Waldmoos nieder.

      Mac Lean saß eine Weile stumm am Feuer. „Warum singst du nie, Rossy?“ fragte er lächelnd.

      „Singen?“ Sie hob den Kopf und verstand. „Bill und Peer, kommt her! Wir werden alle drei ein Lied singen!“ Und sie begannen zu singen: „Amerika, Amerika, du Land so weit, so schön!“

      Zuletzt summten auch die Erwachsenen mit. Das Kiefernfeuer knatterte. An diesem Abend kehrte auch die Zuversicht wieder zurück.

      Die Ranchers stiegen auch am nächsten Tag weiter auf dem Elchwechsel bergan. Immer niedriger wuchsen die Bäume, auf einmal standen sie vor einem weiten, grasbewachsenen Hang. Die Rinder stürzten sich mit einem frohen Schnauben darauf und ließen sich erst nach Stunden mit viel Mühe forttreiben. Heute trugen sie wieder gewölbte Bäuche, und auch die Pferde wieherten fröhlicher und trugen geduldiger an den schweren Lasten.

      Peter Sattler ritt neben seiner Frau. Er blickte gespannt nach einer Krümmung des Hanges hinüber. Da riß weit vorne Bill seinen Cowboyhut in die Höhe. Was er schrie, verstanden die Sattlers nicht, aber sie wußten es dennoch: Die Sattelhöhe der Algack-Berge war erreicht!

      Auf einmal hielt es keinen Menschen mehr, langsam hinter dem Treck herzureiten. Alle vier gaben den Pferden die Sporen und ritten an den Rindern vorbei, so schnell sie konnten, der Höhe zu.

      Mac Lean