Bill und Peer wollten begeistert losbrüllen, aber Mac Lean hob die Hand: „Diesmal haltet den Mund, Boys; Frau Sattler soll das erste Wort sprechen.“
Als Bärbi Sattler alle Augen auf sich gerichtet sah, wurde sie rot bis hinter die Ohren. Was sollte sie jetzt sprechen? Sollte sie gar unter Männern eine Rede halten?
„Gott sei Dank!“ sprach sie schlicht. Und das war auch alles, was sie in diesem Augenblick sagte.
„Na, seht ihr!“ lachte Mac Lean. „Keiner von uns darf behaupten, daß wir besonders schlau wären. Aber wir haben dennoch hergefunden. Man braucht nur etwas zu tun. Und folgt man einem bestimmten Ziel, dann stellt es sich doch einmal einem vor die Nase!“
Noch immer ließ keiner die Augen von dem offenen Weideland am See. In einer majestätischen Weite lag es meilenweit nördlich des Waldgürtels, den die Ranchers noch durchqueren mußten. Und jetzt erst begriffen sie es ganz, in welch unsicheres Unternehmen sie sich hinausgewagt hatten. Alle Angaben waren ungewiß gewesen, aber sie hatten dennoch das Risiko auf sich genommen.
„Los, vorwärts!“ rief Mac Lean. „Was sollen wir noch länger hier auf diesem armseligen Bergrücken?“
Mac Lean ging sparsam mit seinen wenigen Zigaretten um. In dieser Stunde aber paffte er eine nach der anderen und hüllte sich in ganze Wolken von Rauch. Er bot auch Peer und Bill davon an, aber ein Blick des Vaters verbot den Söhnen, die Zigaretten anzunehmen. Wozu hatten sie den Kaugummi in ganzen Bündeln mitgenommen?
Die Ranchers mußten weit nach Westen hinüber ausweichen, bis sie den steilen Felsabhang umgangen hatten. Unten empfing sie wieder dichtes Gefilz von Kiefern und niedrigen Erlen. Die Rinder verschwanden bis zum Rücken in dem raschelnden Gebüsch, und sie wüsteten in dem jungen Geäst, daß die Zweige flogen. Nun ritten die zwei Männer voran, die Boys mußten sich um die Kühe kümmern. Halfter an Halfter gespannt, folgten hinter Bärbi Sattler und Rossy die ruhigen Tragpferde.
„Werden wir die Richtung auch einhalten können?“ fragte Peter Sattler einmal.
„Wozu haben wir die Sonne! Übrigens habe ich auf dem Hang oben meinen Kompaß eingestellt, wenn sich die gute Mutter am Himmel vor uns verbergen sollte.“
Mac Lean pfiff wohlgemut vor sich hin. Was sollte ihm auch jetzt noch Sorge machen, da die Weide unmittelbar auf sie wartete? Immer näher ließ sich das Rauschen eines Gewässers hören. Doch die Föhren standen so dicht, daß die Ranchers den Flußlauf erst sahen, als sie schon knapp an seinem Ufer standen. Steil fiel der Uferrand ab, und drüben stieg er ebenso jäh wieder an.
„Der Bach quert unsere Wanderrichtung. Aber hier können wir nicht über das Wasser“, stellte Peter Sattler fest.
„Mal flußabwärts zotteln, vielleicht wartet irgendwo eine Brücke auf uns!“
Aber Mac Lean dachte dabei nicht an einen Übergang, den Menschenhand geschaffen hatte; vielleicht breitete sich das Gewässer einmal aus, und die Reisenden konnten den Bach durchwaten. Sie mußten sich länger als eine Stunde durch wildes Strauchgewirr einen Pfad bahnen, bis sich endlich beide Flußufer allmählich senkten.
Mac Lean sprang vom Pferd und lockerte den Sattelgurt, damit das Pferd richtig atmen konnte, wenn es ins Wasser geriet. „Vielleicht müssen wir drüberschwimmen. Ich will es einmal für mich versuchen.“
Er zog die Stiefel von den Beinen und hängte sie über den Sattel, dann stieg er barfuß in den Steigbügel und schwang sich wieder auf das Pferd. Die Sattlers beobachteten seine Vorbereitungen mit ziemlicher Sorge.
Der Bach war hier etwa dreißig Meter breit, und da das Wasser ruhig floß, konnte man vom Ufer aus auch auf den Grund des Baches sehen. Man erblickte Steine, Geröll, aber keinen der gefährlichen, unter Wasser abgesunkenen Bäume.
Mac Lean trieb seinen Braunen behutsam in das langsam fließende Wasser hinab, Anfangs reichte es bis an die Brust des Pferdes, wurde aber rasch tiefer, und auf einmal sank das Pferd bis zum Rücken in die Flut. Schnaubend begann es zu schwimmen. Mac Lean hatte die Füße aus dem Steigbügel gezogen und hielt sich mit den Händen an der Mähne fest. In der Tiefe mußte eine stärkere Strömung des Wassers ziehen, denn der Braune wurde schnell abwärts getragen.
„Hüh, hüh!“ drückte Mac Lean mit der linken Hand am Zügel und mit der rechten an der Mähne den Kopf des Pferdes gegen das jenseitige Ufer.
In diesem Augenblick kippte das schwimmende Pferd um und schlug mit den Beinen brausend das Wasser. Mac Lean war abgeglitten und untergetaucht.
Die Hufe, die Hufe! Wenn sie den schwimmenden Mac Lean trafen, dann war er verloren.
Aber dieser tauchte abseits von seinem Braunen auf. Er hatte die Zügel nicht aus den Händen gelassen. Jetzt schwamm er mit raschen Schlägen gegen das Ufer zu und versuchte, das Pferd hinter sich herzuziehen. Auch der Braune gewann wieder Mut und schwamm ruhig weiter.
Tropfnaß kletterten Pferd und Reiter drüben aus dem Wasser. Sie mußten achten, daß sie auf den glatten Steinen nicht ausglitten, und tappten langsam höher empor. Jetzt erwies es sich, wie gut es gewesen war, daß Mac Lean seine Stiefel fest an den Sattelknopf gebunden hatte.
Während sich das Pferd schüttelte, daß ein weiter Sprühregen davonstob, riß Mac Lean Rock und Hemd herunter und wrang sie aus. Die Luft hatte sich wieder erwärmt, aber dennoch klapperte er laut mit den Zähnen.
Die Sattlers hatten das Abenteuer Mac Leans vom Ufer aus mit Schrecken verfolgt. Bill war vom Pferd gesprungen und hatte das Lasso schwingend in der Hand gehalten, bereit, es Mac Lean zuzuwerfen, wenn er Hilfe brauchte. Die Kühe brüllten unruhig und störrisch, und die Pferde wichen vor dem heimtückischen Wasser zurück.
„Hallo, nichts zu machen!“ rief Mac Lean von drüben. „Wir müssen für euch eine andere Furt suchen!“
So kam es, daß die Ranchers nun getrennt zu beiden Seiten des Wassers abwärts zogen. Mac Lean führte sein Pferd am Zügel nahe am Wasser und spähte immer wieder auf den ruhig fließenden Bergbach hinab. Doch hörte er ein stärkeres Rauschen in der Ferne, und es schien ihm jetzt, als könnte man das seichtere Wasser mit stärkerer Strömung leichter überqueren.
Aber seine Hoffnung erfüllte sich nicht. „Verdammte Geschichte, wir werden uns ein Floß bauen müssen“, knirschte Mac Lean. Wie sollte er sonst die Frauen trocken und heil über den Fluß bringen? Sie waren es nicht gewöhnt, auf Pferden durch das Wasser zu schwimmen.
Das fast eben auslaufende Tal nahm kein Ende. Der Nachmittag rückte weiter. Das dichte Gestrüpp hatte allmählich wieder hochstehenden Tannen Platz gemacht. Der kleine Ranchertrieb kam wieder rascher von der Stelle, aber er näherte sich mit keinem Schritt dem ersehnten Ziel im Norden.
„Hallo, hallo, Mac!“ schrie Bill. „Ist es dir recht, wenn wir ein Floß zusammenzimmern?“
„Ganz meine Idee!“ rief Mac hinüber. „Sucht euch Stangen, spannendick, zehn, zwanzig Stück, hackt sie auf halbe Länge und bindet sie quer übereinander. Werft mir das Lasso dann zu, dann ziehe ich die erste Traglast herüber.“
Die Karawane hielt an, und bald hallten Axtschläge durch die schweigende Einsamkeit. Bärbi Sattler und Rossy hielten die Kühe zusammen, und Peter Sattler trug Stange um Stange an das Ufer. In einer Stunde schwamm ein schwankendes kleines Floß auf dem Wasser. Peer und Bill versuchten, darauf zu stehen, aber sie sanken noch bis über die Knöchel in das Wasser.
„Noch einmal einen Stangenrost darüber“, riet Mac Lean.
Dann war die Tragkraft des Floßes so groß, daß einer der Jungen mit Packen und Kisten darauf Platz nehmen konnte. Bill schwang das Lasso, und Mac Lean fing es drüben auf.
„Eine brillante Seilfähre!“ lachte Mac Lean, als er die erste Fracht in Empfang nahm. „Jetzt aber Packen um Packen über den Fluß, und zuletzt sollen Mammy Sattler und Rossy drankommen!“
„Und die Pferde und Rinder?“ fragte Peer erschrocken.
„Die hängen wir mit Lassos zusammen.